Hausbau - Bauboom, Finanzierung und Zinssteigerung
Recht & Verwaltung08 Oktober, 2024

Herausforderungen des Bauinsolvenzrechts

Das Bauinsolvenzrecht hat in den letzten Jahrzehnten erheblich an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch die zunehmende Komplexität von Bauprojekten und die damit verbundenen finanziellen Risiken. Ein vertieftes Verständnis des Bauinsolvenzrechts ist daher unerlässlich, um sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu steuern.

Die Insolvenz eines Baubeteiligten - sei es des Auftragnehmers, des Subunternehmers oder des Bauherrn - stellt für deren Vertragspartner immer eine Herausforderung dar. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex und die wirtschaftlichen Folgen oft erheblich. Gläubiger wie Auftraggeber, Nachunternehmer und Lieferanten müssen gut vorbereitet sein, um ihre Forderungen zu sichern und ihre Interessen durchzusetzen.

1. Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung des Bauinsolvenzrechts

Das Bauinsolvenzrecht hat sich nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahre 1999 zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt. Erst mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 und der zunehmenden Diskussion in der Fachliteratur wurde das Bauinsolvenzrecht als eigenständiges Rechtsgebiet wahrgenommen. Die InsO brachte wesentliche Neuerungen wie den Insolvenzplan, die Eigenverwaltung und die Sanierungsmöglichkeiten. Diese Neuerungen haben die rechtlichen Rahmenbedingungen für Bauinsolvenzen verändert und den Gläubigern neue Handlungsoptionen eröffnet.

Ein zentraler Wendepunkt war die Abkehr des Bundesgerichtshofes (BGH) von der Erlöschens- zur Suspesiertheorie im Jahr 2002. Diese Entscheidung ist ein Meilenstein, da vertragliche Erfüllungsansprüche danach (wieder) durch die Insolvenzeröffnung nicht automatisch erlöschen, sondern in ihrer Durchsetzbarkeit vorübergehend suspendiert werden. Damit rückte die Frage der Fortsetzung oder Beendigung eines Bauvertrages in den Vordergrund.

Wichtige Änderungen durch die InsO:

  • Erweiterte Sanierungsmöglichkeiten: Die InsO ermöglicht die Fortführung des Unternehmens durch Insolvenzplan und Eigenverwaltung. Für die Gläubiger bedeutet dies, dass eine insolvenzbedingte Vertragsbeendigung vermieden werden kann, was besonders wichtig ist, wenn sie am Fortbestand des Bauunternehmens interessiert sind.
  • Stärkung der Gläubigerrechte: Durch die Einführung von Gläubigerausschüssen und die Möglichkeit von Gläubigerversammlungen haben die Gläubiger mehr Einfluss auf den Verlauf des Insolvenzverfahrens erhalten. Gläubigervertreter sollten diese Instrumente aktiv nutzen.
  • Wahlrecht des Insolvenzverwalters: Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters, bestehende Verträge fortzuführen oder zu beenden, ist für Gläubiger von zentraler Bedeutung. Es bedarf einer genauen Analyse der rechtlichen Rahmen-bedingungen, um die besten Handlungsoptionen zu identifizieren.

2. Die Rolle der VOB/B und die rechtlichen Fallstricke bei insolvenzbedingten Lösungsklauseln

Die Einbeziehung der VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil B) hat Auswirkungen auf Bauinsolvenzen. Von besonderer Relevanz ist die Regelung des § 8 Abs. 2 VOB/B, die es dem Auftraggeber erlaubt, den Bauvertrag zu kündigen, wenn der Auftragnehmer insolvent wird. Diese Klausel wirft eine Reihe von Rechtsfragen auf, insbesondere im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Insolvenzrecht und dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. In der Praxis führt diese Regelung zu Unsicherheiten, da sie in engem Zusammenhang mit den insolvenzrechtlichen Vorschriften der §§ 103, 119 InsO steht.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mehrfach klargestellt, dass Lösungsklauseln den Vorschriften der Insolvenzordnung entsprechen müssen. Demgegenüber hat der VII. Zivilsenat am Beispiel des § 8 Abs. 3 VOB/B im Jahre 2023 die AGB-rechtlichen Auswirkungen des „gesetzgeberischen Zerstörungswillens“ gegenüber der VOB/B (Jurgeleit) in aller Deutlichkeit aufgezeigt.

Insofern gehören diese Lösungsklauseln zu den größten Herausforderungen des Bauinsolvenzrechts, da sie dem Auftraggeber das Recht einräumen, den Bauvertrag im Falle der Insolvenz des Auftragnehmers zu beenden. In der Praxis führt dies zu Rechtsunsicherheiten, da viele Bauverträge Lösungsklauseln enthalten, die den gesetzlichen Anforderungen allerdings möglicherweise nicht standhalten.

Die Diskussionen um die Wirksamkeit von Lösungsklauseln und die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf Bauverträge sind noch nicht abgeschlossen. Wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus den letzten Jahren - vom 27.10.2022 (IX ZR 213/21), 19.01.2023 (VII ZR 34/20) und 19.10.2023 (IX ZR 249/22) - zeigen, dass insoweit noch Unsicherheiten bestehen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Kodifizierung des Bauvertragsrechts im Jahr 2018, worauf in der Literatur hingewiesen worden ist. Insoweit wird man am Willen des Gesetzgebers nicht vorbeikommen.

Kritische Aspekte von § 8 Abs. 2 VOB/B aus Gläubigersicht:

  • AGB-rechtliche Wirksamkeit: Die AGB-rechtliche Wirksamkeit auch des § 8 Abs. 2 VOB/B wird zunehmend kritisch hinterfragt. Nach der Rechtsprechung ist die Klausel zwar (noch) wirksam. In der Literatur ist jedoch umstritten, ob § 8 Abs. 2 VOB/B nicht nur gegen die Vorschriften der §§ 103, 119 InsO verstößt, sondern auch mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar ist.
  • Anfechtungsmöglichkeiten: Ist eine Kündigung auf der Grundlage von § 8 Abs. 2 VOB/B ausgesprochen worden, sollte die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) geprüft werden.

3. Wirtschaftliche und strategische Überlegungen für Gläubiger im Bauinsolvenzrecht

Insolvenzen im Baugewerbe haben erhebliche wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Gläubiger. Eine Insolvenz kann nicht nur zu Zahlungsausfällen führen, sondern auch den Fortgang von Bauprojekten gefährden. Für Gläubiger ist es daher entscheidend, frühzeitig geeignete Strategien zu entwickeln, um ihre Interessen zu wahren.

Empfohlene Maßnahmen zur Sicherung von Forderungen:

  • Frühzeitige Sicherung durch Bürgschaften und Sicherungsübereignungen: Gläubiger sollten in Bauverträgen Sicherungsmechanismen wie Bürgschaften oder Sicherungsübereignungen vorsehen. Diese Instrumente können eine bevorzugte Befriedigung im Insolvenzfall sicherstellen und das Risiko eines Forderungsausfalls reduzieren.
  • Aufrechnungsstrategien: Die Möglichkeit der Aufrechnung kann Gläubigern eine effektive Strategie zur Durchsetzung von Forderungen darstellen. Zu beachten ist jedoch die Regelung des § 96 InsO, der bestimmte Aufrechnungen nach Insolvenzeröffnung verbietet. Eine genaue Kenntnis der Aufrechnungsverbote ist daher für die strategische Planung unerlässlich.
  • Vorsorgliche Maßnahmen bei Anzeichen einer drohenden Insolvenz: Gläubiger sollten auf Anzeichen einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Vertragspartners achten, wie z.B. Zahlungsverzug oder schleppender Baufortschritt. Frühzeitige Maßnahmen, wie die Erhöhung von Sicherheiten oder die Forderung von Vorauszahlungen, können das Risiko eines Forderungsausfalls deutlich verringern.

4. Verhandlungsstrategien und Kooperationsmöglichkeiten mit dem Insolvenzverwalter

In Bauinsolvenzverfahren spielt der Insolvenzverwalter eine zentrale Rolle. Er muss innerhalb kürzester Zeit über die Fortführung laufender Verträge entscheiden und steht dabei vor der Herausforderung, die Interessen der Gläubiger und des insolventen Unternehmens in Einklang zu bringen. Bauinsolvenzen sind für Insolvenzverwalter besonders anspruchsvoll, da sie häufig mit einer Vielzahl von Verträgen, Nachunternehmern und Lieferanten mit unterschiedlichen Interessen konfrontiert sind.

Zudem müssen sie sicherstellen, dass die finanziellen Mittel für die Fortführung der Bauprojekte ausreichen und keine Gläubiger benachteiligt werden. Eine besondere Herausforderung ist es, die Baustellen zu sichern, die Nachunternehmer zu koordinieren und die Bauarbeiten fortzuführen, ohne den Geschäftsbetrieb des insolventen Unternehmens zu gefährden. In diesen Fällen muss der Insolvenzverwalter eng mit den Banken zusammenarbeiten, da diese häufig Sicherheiten halten, die für die Fortführung des Unternehmens notwendig sind.

Eine enge Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter ist daher für die Gläubiger von zentraler Bedeutung, um eine möglichst hohe Befriedigungsquote zu erzielen. Der Insolvenzverwalter ist gesetzlich verpflichtet, die Insolvenzmasse zu maximieren, was letztlich auch im Interesse der Gläubiger ist, was nicht selten gar nicht wahrgenommen wird.

Effektive Verhandlungsstrategien:

  • Forderung nach Sicherheiten: Im Rahmen der Verhandlungen mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter können zusätzliche Sicherheiten gefordert werden. Dies kann die Position des Gläubigers stärken und das Risiko eines Forderungsausfalls verringern.
  • Einbindung in den Insolvenzplan: Wird ein Insolvenzplanverfahren angestrebt, sollten die Gläubiger aktiv daran beteiligt werden. Dadurch können sie die Restrukturierungsmaßnahmen mitgestalten und ihre Forderungen besser sichern. Auch Gläubigervertreter sollten insbesondere darauf achten, dass der Insolvenzplan den insolvenzrechtlichen Anforderungen entspricht.

5. Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG; StaRUG)

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) und dem darin enthaltenen Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) wurde ein neuer Rechtsrahmen geschaffen, der die Sanierung von Unternehmen außerhalb eines klassischen Insolvenzverfahrens ermöglicht. Das StaRUG ist zum 1. Januar 2021 in Kraft getreten und zielt darauf ab, die Restrukturierung von Unternehmen bereits in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu ermöglichen, um Insolvenzen zu vermeiden.

Mit dem SanInsFoG wurde die Restrukturierungsrichtlinie - RL (EU) 2019/1023 - mit ihrem Ziel einer „Kultur der zweiten Chance“ umgesetzt und ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen entwickelt, mit dem eine Sanierung nun auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens möglich sein soll.

Gerade in der Baubranche, in der Liquiditätsengpässe schnell zur Insolvenz führen können, bietet das StaRUG ein vielversprechendes Instrument. Unternehmen, die noch nicht zahlungsunfähig sind, denen aber die Zahlungsunfähigkeit droht, können mit dem sogenannten Restrukturierungsplan (§§ 2 ff. StaRUG) eine Sanierung anstreben. Dieser Plan orientiert sich an den Regelungen des Insolvenzplans, lässt aber mehr Flexibilität zu. So kann der Schuldner selbst entscheiden, welche Gläubiger in den Restrukturierungsplan einbezogen werden sollen. Dies ermöglicht eine zielgerichtete Sanierung, ohne dass alle Gläubiger einbezogen werden müssen. Gerade für kleinere Handwerksbetriebe im Baugewerbe, die häufig nur vorübergehende Liquiditätsprobleme haben, kann dies eine Möglichkeit sein, ihr Unternehmen zu retten und eine formelle Insolvenz zu vermeiden.

Kernbestandteil des StaRUG ist die Möglichkeit, bereits im Vorfeld einer Insolvenz Maßnahmen zu ergreifen, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Von besonderer Relevanz für Bauunternehmen ist dabei die Möglichkeit, sich durch einen Restrukturierungsplan nach § 8 StaRUG gezielt von bestimmten Gläubigeransprüchen zu befreien.

Dem steht allerdings entgegen, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit - als einer der Insolvenzgründe - nach der Regelung des § 8 Abs. 2 VOB/B einer insolvenzbedingten Kündigung mit der Rechtsfolge eines dem Auftraggeber zustehenden Schadensersatzanspruchs entgegensteht, was das Ziel der Restrukturierungsrichtlinie, eine „Kultur der zweiten Chance“ zu schaffen, konterkariert.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die so genannte Stabilisierungsanordnung, mit der das Restrukturierungsgericht Maßnahmen wie Zwangsvollstreckungen gegen das Unternehmen untersagen kann, um die Umsetzung des Restrukturierungsplans nicht zu gefährden.

Diese Regelungen sind insbesondere im Bauinsolvenzrecht von Bedeutung, da diese es einem Bauunternehmen ermöglichen, während der Verhandlungen über den Restrukturierungsplan die Fortführung von Bauprojekten sicherzustellen, ohne dass wichtige Vertragspartner wie Lieferanten ihre Leistungen einstellen oder rückständige Zahlungen einfordern können.

Einfluss des StaRUG auf das Bauinsolvenzrecht:

  • Bedeutung für kleinere Bauunternehmen: Gerade für kleinere Handwerksbetriebe bietet das StaRUG eine Chance, die Insolvenz zu vermeiden. Diese Unternehmen können das StaRUG nutzen, um bei vorübergehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten eine außergerichtliche Sanierung durchzuführen. Gläubiger sollten daher prüfen, ob eine Sanierung nach StaRUG sinnvoller ist als ein Insolvenzverfahren.
  • Rechtzeitige Antragstellung erforderlich: Der Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen des StaRUG setzt drohende Zahlungsunfähigkeit voraus, ohne dass bereits eine Insolvenzantragspflicht wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung besteht. Gläubiger sollten sich daher frühzeitig einschalten und das Verfahren aktiv begleiten.

Fazit: Erfolgreiche Gläubigervertretung im Bauinsolvenzrecht

Die erfolgreiche Vertretung von Gläubigern in Bauinsolvenzverfahren erfordert umfassende Kenntnisse des Insolvenzrechts und der bauinsolvenzrechtlichen Besonderheiten. Gläubigervertreter müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die aktuelle Rechtsprechung kennen und strategisch einsetzen.

Dies umfasst sowohl die rechtzeitige Sicherung von Forderungen und die Prüfung von Anfechtungsmöglichkeiten als auch die aktive Mitgestaltung von Insolvenzplänen und die Nutzung von Sanierungsinstrumenten wie dem StaRUG. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter und eine gezielte Verhandlungsstrategie können Gläubiger ihre Position im Insolvenzverfahren stärken und eine möglichst hohe Befriedigungsquote erzielen.

RA Prof. Dr. Andreas Koenen

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Honorarprofessor an der EBZ Business School – University of Applied Sciences,
Inhaber KOENEN BAUANWÄLTE mit Standorten in Essen, Hannover, Bielefeld und Münster. Geschäftsführer NETZWERK BAUANWÄLTE GbR.

Bildnachweis: Mediaparts/stock.adobe.com

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