Mitwirkungsverzug
Recht & Verwaltung03 November, 2022

Mitwirkungsverzug gegenüber dem Überwacher?

Unter welchen Voraussetzungen ein Überwacher einen störungsbedingten Ausgleichsanspruch geltend machen kann, ist nach wie vor weitgehend ungeklärt. Schwierigkeiten treten hierbei auf, wenn die Vergütung des Überwachers nicht nach Zeit bemessen, sondern pauschaliert ist.

VRiKG Björn Retzlaff

Die störungsbedingten Ansprüche von Bauunternehmern waren in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand von Urteilen des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte. Der Stillstand oder die zeitliche Ausweitung von Bauarbeiten können aber auch bei einem bauüberwachenden Architekten zu Mehraufwand führen. Unter welchen Voraussetzungen ein Überwacher einen störungsbedingten Ausgleichsanspruch geltend machen kann, ist nach wie vor weitgehend ungeklärt, insbesondere wenn die Parteien für diesen Fall keine vertragliche Regelung getroffen haben.

Schwierigkeiten gibt es hier vor allem, wenn die Vergütung des Überwachers nicht nach Zeit (Stunden-, Tages- oder Monatssätze) bemessen, sondern pauschaliert ist, etwa in Form eines gemäß der HOAI für die Leistungsphase 8 ermittelten Betrags. Der Nutzen solcher Pauschalierungen besteht darin, dass sie einfach sind und Planungssicherheit für die Parteien bringen. Dies ist aber nur solange von allen Beteiligten erwünscht, wie das Bauvorhaben nach Plan verläuft. Führen Störungen dazu, dass es die Arbeitskraft des Architekten viel länger bindet als ursprünglich gedacht, stellt sich die Frage nach einer Mehrvergütung, auf die eine Pauschale keine Antwort liefert.

Nicht selten sehen Architektenverträge eine Bestimmung vor, wonach der Architekt eine näher bezifferte Mehrvergütung pro Woche oder Monat erhält, wenn die Dauer der zu überwachenden Bauarbeiten eine zeitliche Obergrenze überschreitet. Aber wenn eine solche Regelung fehlt oder der Architekt sie nicht für auskömmlich hält: Welche Ansprüche gegen den Bauherrn ergeben sich dann aus dem Gesetz?

Ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs dürfte in aller Regel ausscheiden. Genau wie gegenüber einem Bauunternehmer trifft den Bauherrn auch gegenüber einem Überwacher grundsätzlich keine Nebenpflicht, für den vertraglich vorausgesetzten Baufortschritt zu sorgen, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn die Parteien ein verbindliches Zeitfenster für den Auftragnehmer vorgesehen haben.

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Anspruch aus § 642 BGB

Somit richtet sich der Blick auf § 642 BGB: Gerät der Bauherr in Mitwirkungsverzug gegenüber einem Architekten, wenn die zu überwachenden Bauarbeiten nicht so voranschreiten wie bei Vertragsschluss anzunehmen war? Das ist durchaus möglich. Ein Überwacher befindet sich im Grundsatz in derselben Situation wie ein ausführender Bauunternehmer. Er hat in einem bestimmten Zeitfenster Leistungen auf einer Baustelle zu erbringen.
Da die Rechtzeitigkeit dieser Leistungen für den Bauherrn wichtig sind und ihr Verzug sanktioniert ist, besteht auch für den Überwacher Anlass, die erforderlichen Produktionsmittel im vorgesehenen Zeitraum vorzuhalten. Der Anspruch aus § 642 BGB ist nichts anderes als der Preis, den der Bauherr für diese Veranlassung zu zahlen hat, wenn solche Produktionsmittel nicht eingesetzt werden können – insbesondere, wenn die zu überwachenden Bauarbeiten komplett stillstehen.


Wie wäre ein solcher Anspruch zu ermitteln?

Der Bundesgerichtshof konnte sich schon einmal mit einer Vertragsbestimmung in einem Architektenvertrag befassen, wonach einem überwachenden Architekten bei verlängerter Bauzeit eine zusätzliche Vergütung für seine „Mehraufwendungen“ zustand (BGH, Urt. v. 10.05.2007 – VII ZR 288/05). Dort hat der VII. Zivilsenat betont, dass die Anforderungen an die Darlegung dieser Mehraufwendungen nicht überspannt werden dürfen. Insbesondere müsse der Architekt keine Soll-Ist-Gesamtabrechnung vorlegen, sondern es genüge die Darlegung der Ist-Aufwendungen, die ihm in der Zeit entstanden sind, in der die Bauarbeiten eigentlich schon hätten beendet sein sollen.

Auf einen Anspruch aus § 642 BGB lassen sich diese Überlegungen allerdings nicht übertragen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewährt § 642 keine Entschädigung für jeden störungsbedingten Nachteil, sondern nur für die Kosten des vergeblichen Vorhalts von Produktionsmitteln. Die Aufwendungen, die dem Überwacher durch die Fortsetzung seiner Leistungen über ihr ursprünglich geplantes Ende hinaus entstehen, sind in der Regel aber gerade keine Vorhaltekosten.

Somit müsste der Überwacher darlegen, wann er oder seine Mitarbeiter auf Grund des Stillstands der Arbeiten „nichts zu tun“ hatten. Das ist nicht schwierig, eine tabellarische Aufstellung genügt in aller Regel. Wenn eine Arbeitskraft – ggf. nach einer Phase der Umorganisation – auf ein anderes Projekt umgesetzt wird, endet allerdings ihr Vorhalt.

Plante ein Architekt von vornherein, seine Leistungen in einem Zeitraum parallel auf mehreren Bauvorhaben zu erbringen, kann ein „kleiner Soll-Ist-Vergleich“ notwendig werden. Dazu müsste der Architekt zum Beispiel darlegen, an wie viel Tagen pro Woche er bei ungestörtem Ablauf auf dem Projekt tätig gewesen wäre. Nur an diesen Tagen kann ihm durch die Störung ein entschädigungsfähiger Vorhalt seiner Arbeitskraft entstehen.

Von vornherein Zweifel über schützenswertes Vertrauen

Allerdings: Wenn ein Überwachungsauftrag auch bei regulärem Verlauf die Arbeitskraft eines Architekten (oder seiner Mitarbeiter) in einem Zeitabschnitt nicht ausgelastet hätte, sodass er auf anderen Aufträgen parallel tätig sein konnte, könnte dies zur Folge haben, dass der Architekt von vornherein im Zweifel kein schützenswertes Vertrauen auf einen störungsfreien Projektablauf hatte, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.

Denn die Auswirkungen einer etwaigen Störung sind wegen des nur begrenzten Vorhalts von Arbeitskraft dann ebenso von vornherein begrenzt – die Lage ist anders als bei einem Großprojekt, dass die vollständige Arbeitskraft eines oder mehrerer Überwacher durchgängig bindet.

Somit gilt: Je geringer der Auslastungsgrad ist, zu dem ein Projekt bei regulärem Verlauf beim Überwacher führt, desto geringer sind die Auswirkungen, die ein Projektstillstand auf seine Dispositionen hat. In einem solchen Fall kann die Vertragsauslegung gerechtfertigt sein, dass die Parteien selbst einen Stillstand der Arbeiten nicht als entschädigungsfähigen Mitwirkungsverzug des Bauherrn gegenüber dem Überwacher werten wollen. Dann bestünde schon dem Grunde nach kein Entschädigungsanspruch.

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Retzlaff_Bjoern
Autor
VRiKG Björn Retzlaff

Vorsitzender Richter des 21. Zivilsenats am Berliner Kammergericht, der für Bausachen zuständig ist.

Mitherausgeber der Zeitschrift „baurecht“.

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