Suchtpraevention
Recht & Verwaltung11 April, 2021

Sucht und Suchtprävention am Arbeitsplatz

von Katrin Schiller | Unternehmensberaterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement, Trainerin und Coach, Firma Sinnfolger

Zum Umgang mit suchterkrankten Mitarbeiter*innen Statistiken zeigen: Suchterkrankungen nehmen zu – allen voran kritischer Alkoholkonsum. Am Arbeitsplatz belasten Betroffene damit ihr ganzes Team und das gesamte Unternehmen: die Unfallgefahr steigt, Fehlzeiten nehmen zu. „Mitzuspielen“ und die Sucht zu vertuschen, ist für Kitaleitungen keine Lösung und für Betroffene keine Hilfe. 

Fünf Prozent der Beschäftigten sind suchtgefährdet und bei jedem fünften Arbeits- und Wegeunfall ist Alkohol im Spiel. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Arbeitsausfälle, Frühverrentung oder Rehabilitationen summiert sich in ganz Deutschland auf rund 30 Mrd. € jährlich. Jedes Unternehmen kann seiner Führsorgepflicht nachkommen und sich dem Thema Alkohol am Arbeitsplatz widmen. Alkohol im Job ist ein Sicherheitsrisiko und kann ein Qualitätskiller sein!

Vielleicht fragen Sie sich: Was habe ich als Kita-Führungskraft davon, mich um eine*n Mitarbeiter*in zu bemühen, der*die mit großer Wahrscheinlichkeit alkoholkrank ist? Dafür gibt es viele gute Gründe:

  • verminderte Arbeitsleistung infolge von Konzentrationsschwächen oder verminderter Reaktionsfähigkeit, vermehrte Unpünktlichkeit,
  • erhöhte Unfallgefahr durch Konzentrationsschwäche, verminderte Reaktionsfähigkeit,
  • Zunahme der krankheitsbedingten Fehlzeiten.

Zusätzliche Auswirkungen beziehen sich auf das soziale Umfeld durch zunehmende Isolation der Betroffenen beruhend auf dem eigenen „Fluchtverhalten“ oder durch Aufbau von Distanz zum Umfeld zur Vertuschung der Symptome. Häufig kommt es zu einer Distanzierung der Kolleg*innen vom restlichen Kita-Team aufgrund erkennbarer Wesensveränderungen oder aufgrund des Eindrucks, für den*die Betroffene*n „mitarbeiten“ zu müssen.

Somit sind alle Lebensbereiche des*der Erkrankten eingeschränkt und indirekt betroffen.

Je früher eine Suchterkrankung erkannt und angesprochen wird, desto größer ist die Chance eines erfolgreichen Entzugs und damit zur Rückkehr in die Normalität.

Sollten Sie bereits eine Betriebsvereinbarung zum Thema Sucht abgeschlossen haben, ist das ein guter Anfang. Doch nun heißt es hinzuschauen und als Führungskraft aktiv zu werden. Denn eine Betriebsvereinbarung (BV) alleine reicht nicht aus. Aus meiner Beratungs- und Seminarpraxis weiß ich, dass die Handhabung und Umsetzung der BV/DV den Führungskräften vermittelt werden sollte. Ebenso gehört eine Schulung der Inhalte und Abläufe der Interventionsgespräche dazu, genauso wie Gesprächsführungstechniken, die in den Interventionsgesprächen hilfreich sind.

Risikofaktoren am Arbeitsplatz

Nicht selten entstehen Suchterkrankungen aufgrund von starkem und langanhaltendem Druck im Arbeitsalltag. Hier ist die Kitaleitung gefordert, einen guten Blick auf die Mitarbeiter*innen zu haben. Gerade Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl trauen sich häufig nicht, über eine schwierige Situation im Unternehmen zu klagen und um Hilfe zu bitten.

Die häufigsten Faktoren sind:

  • fehlende Anerkennung und Wertschätzung für die geleistete Arbeit,
  • Arbeitsumgebung, wie Lärm, Umgang mit problematischen Eltern (Helikoptereltern),
  • ständige Unter- oder Überforderung,
  • zu wenig Arbeit,
  • Arbeitsvolumen ist über einen sehr langen Zeitraum übermäßig hoch – Burnout ist oft ein Einstig in den Alkoholismus,
  • es arbeiten nicht ausreichend qualifizierte Menschen am entsprechenden Arbeitsplatz,
  • häufige Change-Prozesse in Unternehmen, doch wird auf die „Mitnahme“ der Mitarbeiter*innen wenig Rücksicht genommen,
  • soziale Isolation am Arbeitsplatz: der typische Außenseiter und Mobbing unter Kolleg*innen,
  • Konflikte im Team und soziale Spannungen unter Kolleg*innen,
  • schlechtes Betriebsklima,
  • Mobbing,
  • hohe Verfügbarkeit alkoholischer Getränke, hoher sozialer Druck oder Zwang zum (Mit-)Trinken.

Wie Sie Mitarbeiter*innen mit problematischem Konsum erkennen

Die Funktion als Führungskraft fordert ein hohes Maß an Sensibilität für die Wahrnehmung und Bewertung von Veränderungen bei jedem einzelnen Mitarbeitenden. Doch nicht jede Veränderung steht im Zusammenhang mit Drogenkonsum, sondern kann auch von Krankheiten und familiären und beruflichen Problemen kommen.

Auf jeden Fall sollten Kitaleitungen Veränderungen wahrnehmen und frühzeitig thematisieren. Merkmale bei Verdacht auf ein riskantes Konsumverhalten können recht unterschiedlich sein. Vermeintliche Anzeichen können auch Merkmale einer anderen Erkrankung und deren Symptome widerspiegeln. Leitungen sollen ihre auffälligen Mitarbeiter*innen gut beobachten und aufschreiben, wann ihnen was genau aufgefallen ist oder ihnen von anderen Angestellten zugetragen wird. Dabei ist auf gehäufte Anzeichen zu achten.

Es geht nicht nur um körperliche und psychische Auffälligkeiten, sondern auch um Verhaltensveränderungen und Leistungsabfall. Eine Kitaleitung sollte keine Diagnose stellen, sondern fürsorglich mit den Angestellten in Kontakt gehen.

Verändertes Arbeitsverhalten zeigt sich z.B. durch: 

  • häufige kurze nicht arbeitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz, ggf. um heimliche Alkoholvorräte aufzusuchen und Alkohol zu konsumieren,
  • Pausenüberziehung, Unpünktlichkeit, um ungestört Alkohol zu konsumieren,
  • häufige Kurzerkrankungen/Fehltage ohne ärztlichen Nachweis,
  • kurzfristige Kurzurlaube, Gleitzeitnahme ohne Voranmeldung, sofern dies betrieblich machbar ist,
  • sich wiederholende, unglaubwürdige Erklärungen oder Entschuldigungen durch Dritte (z.B. Ehepartner oder Freund),
  • starke, oft unerklärliche Leistungsschwankungen des Arbeitsverhaltens, der Arbeitsqualität, vermehrte quantitative und qualitative Mängel und Fehler, die Sie von den Betroffenen nicht gewohnt sind,
  • zunehmende Unzuverlässigkeit und nachlassender Arbeitseinsatz bei einem*einer sonst zuverlässigen Mitarbeiter*in,
  • auffällige Konzentrationsstörungen,
  • Vermeidung von Kontakten mit Vorgesetzten.

Persönlichkeitsveränderungen:

  • auf tatsächliche oder vermeintliche Kritik erfolgt eine Überreaktion – Unfähigkeit Kritik anzunehmen,
  • Stimmungsschwankungen im Umgang mit Kolleg*innen, Eltern, Kindern und Vorgesetzten, die vorher noch nicht vorhanden waren. Betroffene leiden unter Apathie, Nervosität, Reizbarkeit und sind zum Teil nicht ansprechbar,
  • in der Regel erfolgt ein zunehmender Rückzug von Kolleg*innen, bis hin zur Isolation,
  • depressive Stimmungslage mit Selbstvorwürfen und Minderwertigkeitsgefühl.

Häufig tritt zusätzlich zum Alkoholmissbrauch noch eine psychische Störung auf, wie eine Depression, Angststörung, Persönlichkeitsstörung und die Abhängigkeit von anderen psychischen Substanzen.

Körperliche Veränderungen:

  • Vernachlässigung der äußeren Erscheinung, mangelnde Körperpflege oder das genaue Gegenteil davon. Gerade Frauen können dazu neigen, die äußeren Veränderungen durch übermäßiges Schminken und auffällige Kleidung zu „überdecken“,
  • aufgedunsenes Aussehen im Gesicht oder dem ganzen Körper, mit geröteter Gesichtshaut und glasigen Augen,
  • Zittern der Hände,
  • starkes Schwitzen, 
  • Gleichgewichtsstörungen oder überkontrolliertes Gehen,
  • Artikulationsschwierigkeiten (z.B. Lallen),
  • verlängerte Reaktionszeiten auf sonst normale Aktionen.

Auch ein verändertes Trinkverhalten gehört zu den Auffälligkeiten. Da Alkohol gesellschaftlich akzeptiert wird, fällt ein verändertes Trinkverhalten häufig erst spät auf.

Nicht alle Auffälligkeiten müssen zur gleichen Zeit auftreten und sind zudem individuell ganz unterschiedlich.

Hemmnisse und gute Gründe, bei Betroffenen aktiv zu werden

Vielleicht war der*die Betroffene früher ein*e unmittelbare*r Kolleg*in oder die Kitaleitung ist sogar noch mit dem*der Betroffenen befreundet – dann kann es zu einem Loyalitätskonflikt kommen.
Auf der einen Seite werden durch den*die alkoholabhängigen Angestellte*n Fehler verursacht, die wahrscheinlich schon länger von den Kolleg*innen – vielleicht auch von der Kitaleitung selbst - „gedeckt“ wurden. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr von Arbeitsunfällen für den*die Betroffene*n und für die Kolleg*innen. 

Daraus resultiert häufig ein Zwiespalt der Führungskraft, denn im Grunde möchte keiner den Konflikt haben. Es droht die Gefahr, ein gutes Betriebs- und Arbeitsklima zu stören, wenn die Führungskraft durch konsequentes Handeln und Durchsetzungsfähigkeit auf die Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen pocht.

Doch der Erfolg des konsequenten Handelns als Vorgesetzte*r steht und fällt mit der konsequenten Wahrnehmung Ihrer Führungsaufgaben und der Akzeptanz im Team!

Gute Gründe, die Hemmnisse zu überwinden

Die Führungskraft ist verantwortlich für die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften zum Beispiel nach dem Arbeitsschutzgesetz §15 bzw. der DGUV Vorschrift 1. Das heißt, sie sollte sensibel sein für Probleme von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und klärende Gespräche führen, denn sie hat die Fürsorgepflicht und trägt die Verantwortung für die Mitarbeitenden.

Interventionsgespräche zu führen heißt: beobachten, Fakten sammeln und die negativen Veränderungen im Arbeitsverhältnis anzusprechen. Es heißt aber auch, Hilfen anzubieten und die betroffenen Angestellten zu motivieren, entsprechende Hilfen anzunehmen.

Gut ist es, wenn die Leitung auf eine Betriebsvereinbarung zum Thema Sucht zurückgreifen kann. Nach erfolgreichem Entzug ist es die Führungskraft, die eine gelungene Wiedereingliederung erleichtert und fördert.

Nicht wegschauen, sondern frühzeitig konfrontieren! Wegschauen ist bequemer und auf den ersten Blick konfliktfreier, hilft dem*der Betroffenen aber nicht, weil diese*r in der Regel „Druck von außen“ braucht, um sich das Problem einzugestehen und an einer Lösung mitzuwirken. Es ist wichtig, klare Konsequenzen aufzuzeigen, wie:

  • auf die Therapiebereitschaft zu drängen und die Chance zur Weiterbeschäftigung bei erfolgreicher Therapie zu eröffnen,
  • eine Kündigung für den Fall fehlender Therapiebereitschaft oder bei Rückfall anzudrohen.

Natürlich müssen die angedrohten Konsequenzen auch umgesetzt werden.

Die Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung Sucht

Durch eine Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung (BV/DV) kann ein eindeutiger rechtlicher Rahmen für das Betriebliche Suchtprogramm geschaffen werden. Sie wird von der Unternehmens- bzw. Geschäftsstellenleitung mit der jeweiligen Personalvertretung ausgehandelt und schriftlich festgehalten. Die Erarbeitung und Vorbereitung erfolgt häufig durch eine Steuergruppe bzw. einen Arbeitskreis Sucht. Nach ihrer Verabschiedung sollte die Vereinbarung allen Beschäftigten und Führungskräften bekannt und zugänglich gemacht werden.

Doch das alleine ist nicht ausreichend. Aus meiner Beratungs- und Seminarpraxis weiß ich, dass die Handhabung und Umsetzung der BV/DV den Führungskräften vermittelt werden sollte. Ebenso gehört eine Schulung der Inhalte und Abläufe der Interventionsgespräche dazu. Und sofern noch nicht in anderen Seminaren vermittelt, sollten auch Gesprächstechniken für diese speziellen Konfliktgespräche thematisiert werden, die gerade in diesen Stufengesprächen hilfreich sind.

Stefan Burggraf von Frieling

Unternehmensberaterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement, Trainerin und Coach, Firma Sinnfolger

 

Katrin Schiller

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