Was kann der Unternehmer tun, wenn der Bauablauf gestört ist?
Recht & Verwaltung08 August, 2023

Was kann der Unternehmer tun, wenn der Bauablauf gestört ist?

Das BGH-Urteil zur Entschädigung des Unternehmers vom Besteller nach § 642 BGB hat für viel Aufregung gesorgt, die selbst heute noch anhält. Wir blicken auf das Urteil und gehen auf seine Konsequenzen ein.

RA Claus Rückert


Was ist passiert?

In einer grundlegenden Entscheidung hat der BGH entschieden, dass der Unternehmer vom Besteller eine Entschädigung nach § 642 BGB nur für die Dauer des Annahmeverzugs verlangen kann (BGH, Urteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17). Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers, aber erst nach dessen Beendigung anfallen (nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung), sind vom Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB nicht erfasst.


Welche Folgen hat das Urteil?

Aufgrund des Urteils gerät der Unternehmer in eine schwierige Situation. Denn in vielen Fällen (etwa bei fehlenden bauseitigen Vorleistungen) bleibt dem Unternehmer als Anspruchsgrundlage nur § 642 BGB. In solchen Fällen liegt regelmäßig weder eine Anordnung des Bestellers vor, seine Leistungen einzustellen (diese wäre z.B. notwendige Voraussetzung für einen Mehrvergütungsanspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B), noch eine schuldhafte Vertragspflichtverletzung (notwendige Voraussetzung z.B. für einen Anspruch nach § 6 Abs. 6 VOB/B).

Der Unternehmer muss daher damit rechnen, dass er Mehrkosten aufgrund von Materialpreissteigerungen und Sekundärfolgen des Annahmeverzugs (z.B. Mehrkosten aufgrund der Verschiebung der Bauleistung in eine ungünstigere Jahreszeit) nicht bezahlt bekommt.


Welche Möglichkeiten bleiben dem Unternehmer?

In dem Urteil vom 26.10.2017 verweist der BGH den Unternehmer auf die Möglichkeit, den Vertrag gemäß § 643 BGB zu kündigen. Wörtlich heißt es im Urteil (vgl. dort Rn. 30):

„Diese Entschädigung umfasst nicht sämtliche dem Unternehmer infolge des Annahmeverzugs des Bestellers entstehenden Nachteile. Dies ergibt sich mittelbar daraus, dass dem Unternehmer nach § 643 BGB für den Fall, dass der Besteller die ihm obliegende Mitwirkungshandlung binnen einer ihm gesetzten Frist nicht nachholt, ein Kündigungsrecht zusteht. Diese Regelung wäre entbehrlich, wenn der Unternehmer ohnehin nach § 642 BGB eine nahezu vollständige Entschädigung für die infolge des Annahmeverzugs des Bestellers entstandenen Mehrkosten erhalten sollte (vgl. Sienz, BauR 2014, 390, 391).“

Mit anderen Worten:

Der Unternehmer bekommt nach § 642 BGB nicht für alle Folgen des Annahmeverzugs eine Entschädigung. Zum Ausgleich dieses Nachteils hat er nach § 643 Satz 1 BGB die Möglichkeit, den Besteller aufzufordern, die fehlende Mitwirkungshandlung nachzuholen. Er muss ihm hierzu eine angemessene Frist setzen. Gleichzeitig muss er dem Besteller erklären, dass er den Vertrag kündige, wenn die Handlung nicht bis zum Ablauf der Frist vorgenommen werde. Mit fruchtlosem Ablauf der Frist gilt der Vertrag als aufgehoben, § 643 Satz 2 BGB. Einer gesonderten Kündigung bedarf es dann nicht.

Zu beachten ist, dass aufgrund besonderer vertraglicher Regelungen zusätzlich eine Kündigung notwendig sein kann (etwa nach § 9 Abs. 2 VOB/B). Sicherheitshalber sollte der Unternehmer daher ggf. direkt nach fruchtlosem Fristablauf ausdrücklich die Kündigung des Vertrages unter Bezugnahme auf den fruchtlosen Fristablauf erklären. Außerdem ist zu beachten, dass gemäß § 650h BGB die Kündigung des Bauvertrages der schriftlichen Form bedarf. Hierbei handelt es sich um die gesetzliche Schriftform. Daher reichen z.B. keine E-Mails aus. Vor diesem Hintergrund sollten sowohl die Aufforderung nach § 643 Satz 1 BGB als auch ggf. die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Schriftform an den Besteller versandt werden.


Gibt es andere (bessere) Möglichkeiten für den Unternehmer?

Der Unternehmer kann den Besteller vorab darauf hinweisen, in welche schwierige Situation er aufgrund des Annahmeverzugs gerät. Er kann hierbei deutlich machen, dass er für sich nur zwei mögliche Auswege sieht:

  1. Er kann von seiner Möglichkeit nach § 643 BGB (bzw. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VOB/B) Gebrauch machen.

  2. Beide Vertragspartner treffen eine Vereinbarung, in der sie eine für beide Seiten akzeptable Regelung zu den o.g. Problemen treffen. Dies betrifft insbesondere neue Vertragsfristen und die Vergütung der aufgrund des Annahmeverzugs entstehenden Mehrkosten (z.B. durch die unproduktive Vorhaltung von Personal und Gerät, aufgrund etwaiger Materialpreissteigerungen, wegen der Verschiebung in eine ungünstigere Jahreszeit etc.).

Entscheidend ist hierbei, dass sich der Unternehmer vom Besteller nicht hinhalten lässt! Denn sobald absehbar ist, dass der Annahmeverzug des Bestellers in Kürze endet, verliert der Unternehmer die Möglichkeit, den Vertrag nach § 643 BGB bzw. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VOB/B zu kündigen. Der Unternehmer muss daher darauf drängen, dass möglichst zeitnah konkrete Verhandlungen geführt werden und hierdurch eine schnelle (schon aus Beweisgründen möglichst schriftlich dokumentierte) Vereinbarung getroffen wird.

Der Unternehmer hat damit eine – zeitlich begrenzte! – effektive Möglichkeit in der Hand, eine schnelle und abschließende Lösung zu finden.

Nutzt der Unternehmer diese Möglichkeit nicht, dann ist das Ergebnis schon vorprogrammiert:

Der Unternehmer bekommt Materialpreissteigerungen und Sekundärstörungen nicht bezahlt. Außerdem kann er sich ggf. in jahrelangen und kostspieligen Prozessen mit dem Besteller darüber streiten, welche Entschädigung ihm nach § 642 BGB für die unproduktive Vorhaltung von Personal und Gerät zusteht.

Erfahrungen aus der Praxis

Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Besteller zunächst nicht (oder nicht mit der nötigen Geschwindigkeit) auf das Angebot des Unternehmers zu Verhandlungen eingeht. Daraufhin sollte der Unternehmer den Besteller konsequenterweise unter Setzung einer angemessenen Frist zur Nachholung der Mitwirkungshandlung auffordern. Diese Aufforderung muss er verbinden mit der Erklärung, dass er den Vertrag kündige, wenn die Handlung nicht bis zum Ablauf der Frist vorgenommen werde.

Üblicherweise erklärt sich der Besteller dann doch noch zum Abschluss einer Vereinbarung bereit. Oftmals geschieht dies erst am letzten Tag der gesetzten Frist.

Falls es nach Abschluss der Vereinbarung zu erneuten Bauablaufstörungen kommt, spricht auch nichts dagegen, diese Vorgehensweise ggf. zu wiederholen.

In den verbleibenden Fällen, in denen der Besteller nicht nachgibt, sollte der Unternehmer ernsthaft in Erwägung ziehen, den Vertrag dann tatsächlich auch zu kündigen. Er bekommt zwar anders als bei einer freien Kündigung des Bestellers nach § 648 BGB bzw. § 8 Abs. 1 VOB/B keine Entschädigung durch den Besteller für die aufgrund der Kündigung nicht mehr erbrachten Leistungen gezahlt. Vergütet werden daher nur die bis zur Kündigung ausgeführten Leistungen. Allerdings sind die oftmals noch nicht vollständig kalkulierbaren Risiken eines Verbleibs im Vertrag (z.B. aufgrund von steigenden Materialpreisen) für den Unternehmer häufig höher als die (meist schon absehbaren) Folgen einer Kündigung. Diese können im Einzelfall z.B. darin bestehen, dass der Unternehmer das für den gekündigten Vertrag einkalkulierte Personal und Gerät bis zur Akquise eines Ersatzauftrags nicht anderweitig einsetzen kann.

In einigen Fällen hat erst die Kündigung durch den Unternehmer dazu geführt, dass der Besteller zum Abschluss einer Vereinbarung bereit war.

In fast allen Fällen steht der Besteller in einer solchen Situation unter einem deutlich höheren Druck als der Unternehmer. Sobald sich das Zeitfenster (s.o.) schließt, kehren sich diese Verhältnisse um.

Letztlich muss der Unternehmer von Fall zu Fall entscheiden, welcher Weg für ihn mit mehr Chancen/Risiken verbunden ist.

Die gesamte Vorgehensweise erfolgt unter einem hohen Zeitdruck. Außerdem muss im Falle einer Kündigung sichergestellt werden, dass hierzu auch die notwendigen Voraussetzungen vorliegen. Ansonsten stellt die Kündigung eine Vertragspflichtverletzung dar, die seinerseits den Besteller zur außerordentlichen Kündigung berechtigen kann. Jede Fehlentscheidung des Unternehmers kann also gravierende Folgen haben. Vor diesem Hintergrund sollte sich der Unternehmer in solchen Fällen grundsätzlich immer anwaltlich beraten lassen.

Claus Rückert

Autor

Claus Rückert

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der auf das Baurecht spezialisierten Kanzlei Ulbrich § Kollegen mit Sitz in Würzburg.
Bildnachweis: Dastageer/stock.adobe.com
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