Detaillierte Blick auf das KG-Urteil
Das KG verurteilt den AG im Wege der einstweiligen Verfügung zur Zahlung eines weiteren Teils der Mehrvergütung. Es sieht sowohl den notwendigen Verfügungsanspruch als auch den Verfügungsgrund gegeben.
I. Verfügungsanspruch
Anders als im früheren Urteil vom 02.03.2021 – 21 U 1098/20 (dort hatte es die fehlende Anordnung durch den AG nicht problematisiert) befasst sich das KG diesmal intensiv mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der AN vom AG trotz einer fehlenden Anordnung eine Mehrvergütung für die Ausführung einer geänderten Leistung verlangen kann. Eine wirksame Anordnung des Auftraggebers ist grundsätzlich Voraussetzung für einen Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers. Dies gilt sowohl für Mehrvergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 VOB/B (geänderte Leistung) bzw. § 2 Abs. 6 VOB/B (zusätzliche Leistung) als auch nach § 650c BGB für eine Anordnung nach § 650b BGB (hierfür ist sogar eine Anordnung in Textform erforderlich, § 650b Abs. 3 BGB).
Im vorliegenden Fall hatte der AG ausdrücklich erklärt, dass er keine Anordnung erteilen wolle. Gleichzeitig hat er vom AN verlangt, eine funktionstaugliche Leistung zu erbringen.
Objektive Sichtweise ist entscheidend
Aus Sicht des KG stellt sich die Frage, wie der AN diese Erklärung des AG in objektiver Hinsicht verstehen musste. Danach kommt es darauf an,
- ob die Leistungsänderung aus objektiver Sicht erforderlich ist, um ein funktionstaugliches Werk herzustellen und
- ob die Erbringung der geänderten Leistung aus objektiver Sicht noch nicht mit den vertraglich vereinbarten Preisen abgegolten ist.
Falls beide Voraussetzungen vorliegen, ist das Verhalten des AG aus objektiver Sicht widersprüchlich: Einerseits hat er erklärt, eine Leistungsänderung nicht anordnen zu wollen. Andererseits hat er gleichzeitig die Herstellung eines funktionstauglichen Werks verlangt. Das wiederum setzt jedoch in objektiver Hinsicht gerade voraus, dass der AN die Leistungsänderung ausführt (hier: Aufbringung des Haftputzes, dessen Ausführung nach dem Vertrag nicht vorgesehen war).
AG verstößt mit seinem widersprüchlichen Verhalten gegen bauvertragliches Kooperationsgebot
Dieses objektiv widersprüchliche Verhalten des AG ist unkooperativ und stellt im Rahmen der Durchführung eines Bauvorhabens einen Verstoß gegen das bauvertragliche Kooperationsgebot dar.
Entscheidet sich der AN in dieser Situation, die Werkleistung geändert auszuführen, kann sich der AG wegen seines eigenen Kooperationsverstoßes nicht darauf berufen, eine entsprechende Leistungsänderung weder begehrt noch angeordnet zu haben. Dies gilt auch, wenn eine wirksame Anordnung nach § 650b BGB wegen eines Verstoßes gegen das Textformerfordernis gemäß § 650b Abs. 3 BGB fehlt.
Der AG muss sich klar und eindeutig erklären
Aus Sicht des KG hätte es für den AG in dieser Situation nur eine Möglichkeit gegeben, die Zahlung einer Mehrvergütung zu vermeiden: Er hätte vor Ausführung der Leistungsänderung durch den AN klar und eindeutig erklären müssen, dass der AN unter keinen Umständen eine Leistung ausführen soll, die zu einer Mehrvergütung führt. In diesem Zusammenhang hätte der AG unmissverständlich klarstellen müssen, dass dies selbst dann gilt, wenn die Leistungsänderung zur Funktionstauglichkeit des Werks zwingend erforderlich ist.
Falls der AG erst noch Bedenkzeit für seine Entscheidung gebraucht hätte, hätte von ihm nach Ansicht des KG verlangt werden können, ausdrücklich den Stopp der Arbeiten anzuordnen. Hat er dies nicht getan, muss er konsequenterweise in Kauf nehmen, dass der AN die geänderten Leistungen ausführt und hierfür den Mehrvergütungsanspruch geltend macht.
Notwendige Voraussetzung: AN muss vorher Bedenken angemeldet haben
Das KG stellt klar, dass der AN durch dieses Prinzip keinen „Freibrief“ erhält, Leistungsänderungen vom AG unbemerkt auszuführen und hierfür nachträglich eine Mehrvergütung abzurechnen.
Neben den beiden o.g. Voraussetzungen (Leistungsänderung objektiv erforderlich und noch nicht mit den Vertragspreisen abgegolten) muss der AN vor der Ausführung Bedenken angemeldet haben. Erst dann kann er vom AG erwarten, dass dieser sich klar und eindeutig erklärt, ob die Leistungsänderung ausgeführt werden soll.
Geltung dieser Grundsätze für BGB- und VOB-Verträge
Das KG stellt außerdem klar, dass diese Grundsätze sowohl für § 650b BGB als auch für Anordnungen nach § 1 Abs. 3 bzw. 1 Abs. 4 VOB/B gelten.
Höhe des Mehrvergütungsanspruchs
Nach Auffassung des KG bestimmt sich die Höhe des Mehrvergütungsanspruchs nach § 650c BGB. Dies gilt aus Sicht des KG auch dann, wenn sich die Parteien über die Änderung des Leistungseinhalts eines Bauvertrags einig sind, dabei aber keine Vereinbarung über die Höhe getroffen haben.
Nach § 650c Abs. 1 S. 1 BGB maßgeblich sind die tatsächlich erforderlichen Kosten, zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten (AGK) sowie Wagnis und Gewinn (die Baustellengemeinkosten, kurz BGK, werden im Rahmen der tatsächlich erforderlichen Kosten vergütet).
Hat der AN vereinbarungsgemäß eine Urkalkulation beim AG hinterlegt, wird – wenn der AN dies nach seiner Wahl möchte – gemäß § 650c Abs. 2 S. 2 BGB vermutet, dass die auf Basis der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung der Vergütung nach § 650c Abs. 1 Satz 1 BGB entspricht.
II. Verfügungsgrund
Nach § 650d BGB wird zugunsten des Unternehmers widerleglich vermutet, dass ein Verfügungsgrund besteht. § 650d BGB ist nach Auffassung des KG auch nach Schlussrechnungsreife anwendbar.
Die Dringlichkeitsvermutung des § 650d BGB soll es einem Bauunternehmer erleichtern, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund kommt es nach Ansicht des KG allein auf die konkrete Vertragsbeziehung zwischen den Parteien an. Maßgeblich ist danach vor allem die Aussicht des Unternehmers, im Hauptsacheverfahren zu gewinnen.
Nicht entscheidend ist dagegen, ob der Unternehmer die zusätzliche Liquidität aufgrund seiner finanziellen Lage dringend benötigt. Im Gegenteil, eine schlechte finanzielle Lage des Unternehmers könnte nach Auffassung des KG eher gegen den Erlass einer Zahlungsverfügung sprechen.
Denn hierdurch bestünde die erhöhte Gefahr, dass der Unternehmer den ihm zugesprochenen Betrag nicht zurückzahlen kann, falls die einstweilige Zahlungsverfügung im Hauptsacheverfahren korrigiert wird.
Schnelle Antragstellung angebracht
Wenn der Unternehmer zu lange mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wartet, kann er durch dieses Verhalten die gesetzliche Dringlichkeitsvermutung (§ 650d BGB) im Ausnahmefall selbst widerlegen. Hierzu reicht es auch Sicht des KG aber noch nicht aus, dass seit der Stellung der Schlussrechnung bereits eineinhalb Jahre vergangen sind. Wenn der Unternehmer sein Abwarten nachvollziehbar erklären kann, liegt kein Fall der Selbstwiderlegung vor.
Im vorliegenden Fall hatte der AN bereits einen Teil seines Mehrvergütungsanspruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht (vgl. KG, Urt. v. 02.03.2021 – 21 U 1098/20).
Der AN hat erklärt, dass er dieses Verfahren nicht habe überfrachten wollen. Deshalb habe er mit der Geltendmachung des zusätzlichen Betrages abgewartet, bis das erste Verfahren beendet gewesen sei. Das KG hat diese Erklärung ausreichen lassen und keine Selbstwiderlegung durch den AN angenommen.