Das Thema ist nicht neu, aber dank des weltweiten Medienhypes um ChatGPT ist künstliche Intelligenz (KI) derzeit in aller Munde, und viele Menschen machen sich Gedanken darum, welche Auswirkungen die Weiterentwicklung von KI auf ihre Arbeit haben wird. Im Interview gibt Aswin Parkunantharan, Director Segment Legal Departments bei Wolters Kluwer Deutschland, Auskunft über seine Einschätzungen der Chancen und Risiken sowie aktueller und zukünftiger Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz in Rechtsabteilungen.
Wo stehen Rechtsabteilungen beim Thema KI?
Wegen ChatGPT steht das Thema KI spätestens jetzt auch bei Jurist:innen in Rechtsabteilungen weit vorn auf der Agenda. Prinzipiell befindet sich aber der gesamte Rechtsmarkt noch ganz am Anfang – wie viele andere Bereiche auch. Ohnehin ist der Rechtsmarkt einer der Märkte, die weiterhin vergleichsweise wenig digitalisiert sind, und so fängt er auch gerade erst an, sich damit zu beschäftigen, wie man KI nutzbringend und sicher einsetzen kann. Dieser Fragestellung widmen sich nun auch Rechtsabteilungen.
Was sind die Chancen und wo liegen die Risiken für Rechtsabteilungen?
In erster Linie ist KI eine große Chance für Rechtsabteilungen. Der wichtigste Punkt ist sicherlich, dass man die KI gut repetitive Aufgaben übernehmen lassen kann. Das heißt, der Legal Counsel oder der General Counsel kann sich mit Hilfe der KI beispielsweise künftig um die Kernaufgaben in der Rechtsabteilung kümmern. Zeitraubende, aber einförmige Aufgaben überlässt man dann der KI. In Sachen Risiken ist sicherlich das Feld der Falschinformation – unbeabsichtigt oder beabsichtigt – zu erwähnen. Nur weil Informationen aus einer KI kommen, heißt das ja noch lange nicht, dass sie alle richtig sind. Die Qualität der KI steht und fällt mit dem, was dort eingespielt wird. Und natürlich muss man sicherstellen, dass die KI am Ende nicht selbst Entscheidungen trifft, ohne dass ein menschlicher Entscheidungsträger involviert war. Dieser ist mit dem Einsatz von KI aber dann von gewissen Aufgaben entlastet und steigt erst ein, wenn es an die Prüfung geht und kann sich auf wesentliche Dinge konzentrieren.
Verlaufen die aktuellen Entwicklungen in Rechtsabteilungen anders als beispielsweise in Kanzleien?
Die Arbeitsweise ist schon verschieden. Jurist:innen in Rechtsabteilungen sind so digital wie ihr Unternehmen. Sie müssen abteilungsübergreifend arbeiten können. Wenn also die HR- oder die Marketingabteilung digital arbeitet, bleibt der Rechtsabteilung nichts anderes übrig, als auch digital zu sein. Der andere Punkt ist, dass man als Unternehmensjurist:in, anders als in vielen Kanzleien, mit unterschiedlichen Rechtsgebieten zu tun hat und es dadurch wichtiger ist, auf dem Laufenden zu sein. Oft muss man auch einen weiteren Horizont, etwa auf der europäischen Ebene, haben. Das geht eigentlich nur noch mit digitaler Unterstützung. Unternehmensjurist:innen sind mehr Generalist:innen, die auch in der Lage sein müssen, sich mit anderen Abteilungen zu vernetzen und am Ende des Tages eine Lösung zu finden, die für alle Abteilungen konsensfähig ist.
Wie schätzen Sie die Dynamik des Themas KI für Rechtsabteilungen ein?
Wie dynamisch sich das Thema KI entwickeln wird, hängt sehr vom Markt ab und davon, welche Wertigkeit dem Thema zugeschrieben wird. Am Ende des Tages haben aber alle Rechtsabteilungen mit demselben Thema zu kämpfen: Es geht um Effizienz. Die lässt sich eben dadurch steigern, dass sich Jurist:innen auf das Wesentliche konzentrieren können, und KI kann eine gute Möglichkeit sein, das zu erreichen. Ich kann mir gut vorstellen, dass man in einigen Jahren zum Beispiel NDAs oder AGBs von einer KI erstellen lässt.
Wo steht Wolters Kluwer aktuell beim Thema KI und wie soll sich das Thema in den kommenden Jahren entwickeln?
Für Rechtsabteilungen haben wir eine KI-gestützte Software für Rechtsabteilungen im Portfolio. 2022 haben wir Della AI, Anbieter führender KI-Technologie für Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien, gekauft. Vor dessen Integration in die Wolters-Kluwer-Familie haben wir bereits jahrelang mit dem Unternehmen zusammengearbeitet. Und jetzt ist die Technologie Teil von Legisway, unserem Hauptprodukt für Rechtsabteilungen, das aus verschiedenen Modulen besteht.
In das Modul “Contract”, also das Modul für Verträge, haben wir die KI integriert. Mit ihr lassen sich schnell bestimmte Vertragsinhalte finden. Sie liest den Vertrag nicht nur wörtlich, sondern auch inhaltlich. So zeigt sie zum Beispiel Abschnitte, in denen es um Haftung oder Kündigung geht, selbst wenn die Wörter Haftung oder Kündigung im Text gar nicht vorkommen. Zudem werden die Verpflichtungsdetails automatisch in das Tool übernommen, eine händische Eingabe ist also nicht mehr notwendig. Die Erstellung des Vertrags liegt natürlich weiterhin in der Hand von Jurist:innen, es geht rein um die Überprüfung, die bei umfangreichen Verträgen extrem zeitaufwendig ist. Die KI kommentiert auch nicht, sie ist eine Unterstützung, aber es macht in der täglichen Arbeit wirklich einen großen Unterschied, ob man einen 200-Seiten-Vertrag Wort für Wort auf der Suche nach bestimmten Themen durcharbeiten muss oder ob man vom System innerhalb weniger Sekunden gesagt bekommt, dass sich das gesuchte Thema auf den Seiten 98 und 127 findet. Das ist ein wirklich gutes Beispiel für einen praxisrelevanten Nutzen, weil wir so tatsächlich die Effizienz steigern und Mitarbeitende von immer wiederkehrenden Aufgaben entlasten.
Wir bekommen immer öfter die Frage gestellt: Was habt ihr zu künstlicher Intelligenz? Das entspringt sicherlich einer grundlegenden Neugier, was in diesem Bereich schon geht, aber auch der Erwartung, dass wir als Legal-Tech-Anbieter hier gut aufgestellt sind. Wir arbeiten auf globaler Ebene an diversen KI-basierten Lösungen und experimentieren sehr stark mit Technologien wie beispielsweise GPT. Wir sehen aber gleichzeitig auch, dass wir in vielen Bereichen zunächst einmal die Basics der Digitalisierung bei unseren Kund:innen implementieren müssen, bevor wir über KI reden können.
Wie erleben Sie denn die Haltung in den Rechtsabteilungen zum Thema KI?
Auf der einen Seite habe ich, seit ich im Rechtsmarkt unterwegs bin, noch kein Thema erlebt, das so heiß diskutiert wurde. Auf der anderen Seite spüren wir auch eine gewisse Zurückhaltung im Markt. Sicherlich auch aus dem Grund, weil Jurist:innen grundsätzlich eher vorsichtig sind – vielleicht auch aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz. KI ist jedoch im Rechtsmarkt heute und auch in den nächsten Jahren nicht dazu da, menschliche Arbeitskräfte überflüssig zu machen. Man muss sich wirklich keine Sorgen machen, dass die Arbeit von Jurist:innen ersetzt wird. Man muss sich jedoch fragen, inwiefern aktuelle Positionen vielleicht umdefiniert werden, also inhaltlich eine andere Ausrichtung bekommen, und wo der Einsatz von KI die Arbeit von Jurist:innen sinnvoll unterstützen kann.