Digitalisierung der Justiz, Gesetzgebung und technische Innovationen, digitaler Zugang zur Justiz für Bürger:innen: Mit diesen Herausforderungen und der gemeinsamen Entwicklung innovativer Legal-Tech-Lösungen beschäftigen sich Denker:innen und Macher:innen vom 16. bis 18. September auf dem Legal Hackathon 2022 im WKEINS, dem deutschen Headquarter von Wolters Kluwer in Hürth. In der hochkarätigen Jury, die die Ergebnisse der Teams beurteilt, ist in diesem Jahr unter anderem Katharina Bisset, Rechtsanwältin, Co-Founderin und Geschäftsführerin der Legal Tech-Unternehmen NetzBeweis und Nerds of Law vertreten. Wolters Kluwer sprach mit ihr über das Format des Hackathon und ihren eng damit verbundenen eigenen Werdegang.
Das Format Hackathon spielt auch in Ihrem eigenen Werdegang eine entscheidende Rolle. Welche genau und wie kam es dazu?
Ein Hackathon ist eine wertvolle Erfahrung. Ich habe vor gut zwei Jahren, damals noch als Doktorandin, selbst an einem Legal Tech Hackathon an der Universität Wien teilgenommen. Dort haben wir als gemischte Teams von Programmier:innen und Jurist:innen ein Wochenende lang virtuell die Möglichkeit gehabt, gemeinsam etwas zu entwickeln. Im Austausch mit der Mentorin Daniella Domokus, Head of IT und Legal Tech bei Hateaid, entstand die Idee, ob man etwas in Richtung Hass im Netz machen könnte. Und da in Österreich im Jahr 2021 ein Hass-im-Netz Bekämpfungsgesetz verschärft in Kraft getreten ist, passte das vom Timing gut. Dann habe ich aus meiner Praxis erzählt, denn in meiner Ausbildung zur Rechtsanwältin habe ich in Medienkanzleien gearbeitet, und da war das Thema Beweissicherung in der Praxis immer extrem mühsam. Ich war als „Nerdin“ immer für die richtige Sicherung der Daten zuständig. Da kam die Idee auf, ob das nicht einfacher geht. So ist die Vorversion von NetzBeweis entstanden. Mit diesem Projekt hat unser Team auch den Hackathon gewonnen. Die Entwicklung war zunächst nicht so einfach wie gedacht. Erst ein paar Monate später hat Thomas Schreiber, Jurist und Softwareentwickler, die erste Version von NetzBeweis gebaut, mit der wir dann im Februar 2021 live gegangen sind. Nach zwei Wochen haben wir eine Bewerbungseinladung von der Höhle der Löwen bekommen, wo wir schließlich von Carsten Maschmeyer und Nils Glagau ein Invest und von Nico Rosberg 10.000 Euro geschenkt bekommen haben. Das war alles sehr aufregend und das Geld hat es uns ermöglicht, die Browser Extensions zu bauen.
Sie haben ein Tool entwickelt, das Legal-Tech-Unternehmen NetzBeweis gegründet und sind damit sogar Unternehmerin des Jahres in Österreich in der Kategorie Start-ups geworden. Was ist NetzBeweis und wie funktioniert es?
Hass im Netz war der Auslöser für unsere Entwicklung und ist der wichtigste Anwendungsbereich. Im Kern kann man mit der Browser Extension aber eine Website als Beweismittel sichern: Die Einsatzbereiche reichen von der Dokumentation von Markenrechtsverletzungen durch Wettbewerber und Wettbewerbsverstößen über das Festhalten rechtlich kritischer Werbeaussagen bis hin zur Sicherung strafrechtsrelevanter Inhalte wie Hassbotschaften. Es funktioniert so: Man geht auf die Seite, die man sichern will, loggt sich in das Tool ein, und die Seite wird als PDF mit einer elektronischen Signatur und einem qualifizierten Zeitstempel versehen gesichert. Die Anwendung ist sehr einfach. Die Arbeit, für die ich früher Stunden brauchte, ist mit NetzBeweis mit wenigen Klicks machbar. Das PDF kann man bei Gericht so einbringen. Mittlerweile haben wir weitere Funktionen wie die Beschriftung des PDFs oder die Implementierung von Mehrsprachigkeit. Das Tool hat mir schon häufig die Arbeit erleichtert. Wir haben angefangen, mit Anwaltssoftwareanbietern zu sprechen, und so in Österreich schon ermöglicht, dass Anwält:innen aber auch Mandant:innen im Netz Beweise sichern können und diese direkt in einer digitalen Akte landen. Das freut uns sehr und wir können es kaum erwarten, weiter in diese Richtung zu gehen. Eine Kooperation mit Wolters Kluwer ist schon in der Planung.
Wie fühlt es sich an, nun selbst in der Jury eines Hackathons zu sitzen? Was sind die Herausforderungen dabei? Glauben Sie, dass Sie durch Ihre eigene Erfahrung mit dem Format einen anderen Blick haben als andere Jurymitglieder?
Es ist schon spannend jetzt auf der anderen Seite zu sitzen. Zwei Dinge sind mir extrem wichtig, werden aber in Hackathons wenig beachtet: auf der einen Seite, die rechtlichen Rahmenbedingungen. Oft denkt man nicht an die praktischen rechtlichen Voraussetzungen, doch gerade im Legal Tech-Bereich hat man sehr viel mit Berufs- und standesrechtlichen Themen zu tun, die beachtet werden müssen. Auf der anderen Seite fehlt häufig auch der Business-Aspekt: Was bedeutet es, ein Unternehmen zu gründen und dies neben seiner beruflichen Tätigkeit zu machen? Wie kann ich eine Idee mit einem Job verbinden und in mein Leben integrieren? Wie mache ich aus einer Idee ein Produkt oder Unternehmen? Diese Dinge habe ich erst mit Netzbeweis gelernt. Das ist eine harte Work-Work-Balance.
Im Legal-Tech Bereich habe ich schon vor NetzBeweis unterrichtet. Deshalb freut es mich umso mehr, weil ich alle Seiten verstehen kann: die Startup-Business-Seite und die Anwalts-Konsumenten-Seite. Ich freue mich darauf, meine eigene Erfahrung als sehr tech-affine, hochdigitalisierte kleine Kanzlei einzubringen.
Welchen Einfluss hat ein Hackathon Ihrer Meinung nach auf Produktideen und -entwicklungen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass die ein oder andere Idee ein Produkt oder Business werden kann. Ein Hackathon bietet die Möglichkeit, sich mit einem interdisziplinären Team einzusperren, kreativ zu sein und konzentriert seinen Ideen freien Lauf zu lassen. Auch wenn es ein bisschen "Out of the box“ ist, findet man hier die Zeit, die man im alltäglichen Leben so nicht hat. Und das ist das Schöne daran!
Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung des Themas Legal-Tech?
Wichtige Themen aus Konsumentenperspektive sind für mich, dass man nicht nur mit Buzzwords beworfen wird. Wenn bei einem Tool ein Thema integriert wird, sollte es auch wirklich eine Daseinsberechtigung haben. Von der Business-Modell-Seite her bin ich eine starke Verfechterin davon, die kleinen Kanzleien nicht zu vergessen. Meiner Meinung nach gibt es kein bezahlbares Modell für Einzelanwält:innen. Aber gerade diese entscheiden schnell und tragen ihre Begeisterung für Produkte weiter. Aus technologischer Sicht gibt es gerade einen starken Fokus auf No Code und Contract Automation. Das ist gut, aber ich bin ein Fan davon, bei Legal Tech einen Schritt vorher anzusetzen. Das heißt, seine Prozesse zu optimieren und Workflows zu definieren. Was mir noch etwas fehlt, sind Tools, die es einem ermöglichen, ein besseres Prozess- und Workflowmanagement zu integrieren. In der normalen Businesswelt gibt es solche Tools bereits, aber vielleicht müssen sie einfach anwaltszentrierter werden.
Was sind die aktuell wichtigsten Themen, denen sich Legal-Tech widmen muss?
Wie sehen Sie Deutschland im Bereich Legal-Tech aufgestellt?
Es gibt Themen da gibt es sehr viele Tools wie beispielsweise bei Contract-Generatoren. Entwicklungsbedarf gibt es bei den klassischen Business-Tools für Anwält:innen mit erhöhten Datenschutzanforderungen.
Was möchten Sie den Teilnehmenden des Hackathon mit auf den Weg geben?
Vom eigenen Need wegarbeiten und einfach mal anzunehmen, es wäre alles möglich. Ich möchte, dass die Teilnehmer:innen vollkommen offen darangehen, Ideen entwickeln, und dann zu überlegen, wie diese Idee in technisch-rechtliche Rahmenbedingungen passt. Lasst euch nicht zu sehr einschränken!