Rechtsprechungsübersicht: Zivil-, Arbeit- und Strafrecht für das 2. Quartal 2022
Mit diesem Überblick bringen Sie sich in nur 15 Minuten auf den neuesten Stand im Zivil-, Straf- und Arbeitsrecht.
Von Michael G. Peters, Rechtsanwalt
Urteil Nr. 1: So schnell sind Sie als Rechtsanwalt sozialversicherungspflichtig
165.587 Anwälte waren zum 01.01.2022 in Deutschland zugelassen. Viele haben sich zu mehreren Kollegen in Rechtsanwaltsgesellschaften zusammengeschlossen. Gehören Sie dazu? Dann kann es sein, dass Sie ab sofort Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen.
Sachverhalt
Insgesamt fünf Kollegen hatten sich gegen Bescheide gewehrt, nach denen alle von ihnen als Gesellschafter-Geschäftsführer zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werden sollten. Alle hielten Gesellschaftsanteile an der Kanzlei-GmbH in Höhe von 20 % bis 25 %. Die Kollegen hielten sich als Organe der Rechtspflege aber nicht für sozialversicherungspflichtig. Am Ende musste das Bundessozialgericht entscheiden.
Entscheidung
Die fünf Kollegen sind sozialversicherungspflichtig. Die Richter stellten klar: Rechtsanwälte, die als Gesellschafter-Geschäftsführer einer Rechtsanwaltskanzlei tätig sind, können aufgrund ihrer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig sein.Das liegt nicht daran, dass – wie die fünf Kollegen vortrugen – jeder von ihnen ein Organ der Rechtspflege ist. Denn dieser Umstand befreit nicht automatisch und von vornherein von der Beitragspflicht. Bei Rechtsanwaltsgesellschaften kommt es vielmehr – wie bei allen Gesellschaften mit beschränkter Haftung – für die Versicherungspflicht auf die persönliche Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer an. Nur wer in dieser Position über die Rechtsmacht verfügt, die Geschicke der Kanzlei zu bestimmen, bleibt von der Sozialversicherungspflicht befreit.
Keiner der fünf Kollegen hatte aufgrund der Gesellschaftsanteile in Höhe von zunächst 20 % die Rechtsmacht, die Kanzlei leiten zu können. Außerdem enthielten Ihre Geschäftsführerverträge typische Regelungen für eine abhängige Beschäftigung.
BSG, Urteil vom 28.06.2022, B 12 R 4/20 R
Urteil Nr. 2: Dieser Antrag auf Beratungshilfe ist alles – nur nicht mutwillig
Sie gilt nicht als besonders lukrativ: Die Beratungshilfe. Trotzdem führen die meisten Kolleginnen und Kollegen als Organ der Rechtspflege solche Mandate. Und es könnten noch mehr sein, wenn die Amtsgerichte öfter Beratungshilfe bewilligen würden. In einem interessanten Fall lehnte die zuständige Rechtspflegerin die Gewährung ab. Die höchsten deutschen Richter konnten das nicht nachvollziehen.
Sachverhalt
Der Mann bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Doch er hatte Zweifel an der Rechtsmäßigkeit eines Leistungsbescheids, den ihm das Jobcenter zugestellt hatte. Es ging um eine Erstattungsforderung, die sich aus einem Guthaben auf der Betriebskostenrechnung für ein vorangegangenes Jahr ergab. Dieses Guthaben rechnete das Jobcenter über sechs Monate an – und kürzte damit die monatlichen Leistungen.Der Mann wollte gegen den Bescheid vorgehen und einen Anwalt beauftragen. Hierfür beantragte er beim zuständigen Amtsgericht die Gewährung von Beratungshilfe. Dazu gab er dem Amtsgericht zu verstehen, weshalb er den Bescheid für rechtswidrig hielt, und wies dabei auf die leistungsmindernde Anrechnung des Betriebskostenüberschusses hin. Die Rechtspflegerin lehnte ab, weil ein Widerspruch gegen den Leistungsbescheid auch ohne die Hilfe eines Anwalts möglich sei. Den Antrag hielt sie für mutwillig.
Dem folgte das Amtsgericht im Erinnerungsverfahren und begründete diese Entscheidung damit, dass der Mann pauschal Leistungsbescheide des Jobcenters auf ihre Richtigkeit überprüfen lassen wolle. Er habe sich auch nicht schriftlich hilfesuchend an das Jobcenter gewandt.
Entscheidung
Das BVerfG hielt die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Betroffenen für offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts verletzen ihn in seinem verbürgten Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1, 20 Absatz 1und 3 GG).Dieser Anspruch sei durch die Versagung von Beratungshilfe nicht verletzt, wenn Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden. Maßgeblich dafür sei, ob der zugrundeliegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und ob Rechtsuchende selbst über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen. Keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit ist jedoch nach Ansicht des höchsten deutschen Gerichts die pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht der den Bescheid erlassenden Behörde.
Hier lägen die Dinge – so die Verfassungsrichter – jedoch anders. Der Beschwerdeführer habe keine besonderen Rechtskenntnisse gehabt und es seien schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen zu beantworten gewesen, wie vor allem die leistungsmindernde Anrechnung des Betriebskostenguthabens über sechs Monate. Der Beschwerdeführer habe auch nicht an das Jobcenter als den Bescheid erlassende Behörde verwiesen werden dürfen.
Die Karlsruher Richter hielten die Einschätzung des Amtsgerichts, das Beratungshilfebegehren sei mutwillig, für nicht nachvollziehbar. Denn der Beschwerdeführer habe dargelegt, an welchen Punkten er Zweifel an der Richtigkeit der Bescheide hatte. Insbesondere habe er dabei auf die Anrechnung des Betriebskostenguthabens über sechs Monate hingewiesen, die mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung tatsächlich nicht vereinbar sei.
BVerfG, Beschluss vom 04.04.2022, 1 BvR 1370/21
Urteil Nr. 3: Höheres Bußgeld bei Rotlichtverstoß mit SUV
Fast jeder zehnte zugelassene Pkw in Deutschland ist ein SUV. 4,82 Millionen dieser Fahrzeuge waren zum 01.01.2022 hierzulande zugelassen. Doch wer eine Vorliebe für die kastenförmigen Boliden hat, riskiert ab sofort ein höheres Bußgeld.
Sachverhalt
1,1 Sekunden zeigte die Ampel schon rot – dann rollte noch ein BMW über die Kreuzung. Bei dem Fahrzeug handelte es sich um ein so genannten Sport Utility Vehicle (SUV). Wegen der Art seines Fahrzeugs kassierte der Fahrer ein höheres Bußgeld. Dagegen wehrte er sich.
Entscheidung
SUV-Fahrern droht jetzt ein höheres Bußgeld. Wegen der besonderen Beschaffenheit dieser Fahrzeuge hielt das Amtsgericht im konkreten Fall die Erhöhung der hierfür nach dem Bußgeld-Katalog vorgesehene Regelgeldbuße für gerechtfertigt.Durch die kastenförmige Bauweise, die größere Bodenfreiheit und die dadurch erhöhte Frontpartie geht von diesen Fahrzeugen, so die Richter, eine erhöhte Betriebsgefahr aus. Für die Erhöhung des Bußgeldes reicht schon die abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer, wie hier durch einen Rotlichtverstoß.
AG Frankfurt, Urteil vom 03.06.2022, 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22
Urteil Nr. 4: Strafgefangene kommen nicht rein – ins Internet
„Bin ich schon drin?“ Für Strafgefangene lautet die Antwort weiterhin: Nein! Wer in einer Justizvollzugsanstalt in Deutschland einsitzt, darf weiterhin nur Fernsehen und Radio hören. Ein Anspruch auf Internet besteht nicht.
Sachverhalt
Ein in der JVA Freiburg einsitzender Strafgefangener beantragte den Besitz eines Tablets mit Internetzugang oder Internetzugang über eine sichere vertrauenswürdige Quelle zu gewähren. Der Antrag wurde abgelehnt.
Entscheidung
Zu Recht. Computer und ähnliche Geräte sind schon wegen ihrer Speichermöglichkeiten grundsätzlich geeignet, die Sicherheit und Ordnung in einer Justizvollzugsanstalt zu gefährden, ohne dass dem durch die Kontrollmaßnahmen der Anstalt hinreichend begegnet werden kann. Die Richter am OLG Karlsruhe schlossen sich damit der gefestigten Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte an.Auch einen Internetzugang auf andere Weise lehnte das Gericht ab. Das Justizvollzugsgesetzbuch sehe nur einen Zugang zu Hörfunk und Fernsehen, sowie zu Zeitungen und Zeitschriften vor (§§ 59, 60 JVollzGB III). Ein grundsätzlicher Internetzugang bestehe auch nicht nach der im Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskommission verbürgten Informationsfreiheit.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28.04.2022, 2 Ws 55/22
Urteil Nr. 5: Deswegen darf der Betriebsratsvorsitzende nicht einfach unterschreiben
In der Corona-Pandemie musste es in vielen Betrieben ganz schnell gehen. Hygiene-Konzept, Home-Office oder betriebliche Tests. Vieles davon musste von jetzt auf gleich umgesetzt werden – in den meisten Fälle ging das nicht ohne Beteiligung des Betriebsrats. Da kam es schon einmal vor, dass der Vorsitzende des Betriebsrats eine Betriebsvereinbarung, die eilig umgesetzt werden musste, kurzerhand unterschrieb. Ein aktuelles BAG-Urteil zeigt nun, was solchen Regelungen droht und wie sich das Problem doch noch lösen lässt.
Sachverhalt
Ein Arbeitnehmer war in Wuppertal als Industriemechaniker beschäftigt. Der Vorsitzende seines Betriebsrats unterzeichnete vor fünf Jahren eine Betriebsvereinbarung, durch die das bisherige Entlohnungssystem ersetzt wurde. Der Mitarbeiter verdiente dadurch 200 € weniger im Monat. Er klagte, weil er die Betriebsvereinbarung für unwirksam hielt. Seine Begründung: Der Betriebsratsvorsitzende hatte die Betriebsvereinbarung allein – ohne entsprechenden Beschluss des Betriebsrats – unterzeichnet. Der Arbeitgeber sah das anders: Er hielt die mit dem Betriebsrat geschlossene Vereinbarung über die Senkung des Lohns für gültig, weil diese durch eine Anscheinsvollmacht gedeckt gewesen sei. Er durfte seiner Meinung nach davon ausgehen, dass der restliche Betriebsrat den eigenen Vorsitzenden „sehenden Auges oder fahrlässig habe handeln lassen“.
Entscheidung
Der Wuppertaler kann mit einer kräftigen Nachzahlung rechnen: Eine Betriebsvereinbarung ist nur dann wirksam, wenn Sie durch Beschluss des gesamten Betriebsrats bestätigt worden ist. Der Betriebsrat – so die höchsten deutschen Arbeitsrichter – sei schließlich ein „Kollegialorgan“, das „seinen gemeinsamen Willen durch Beschluss bildet“. Eine Vereinbarung, die nicht von einem solchen Beschluss gedeckt ist, kann keine Rechtswirkung entfalten.BAG, am 24.06.2022 veröffentlichtes Urteil vom 08.02.2022, 1 AZR 233/21
Mein Tipp als Betriebsratsanwalt: Ist eine Betriebsvereinbarung nur vom Vorsitzenden unterschrieben, sollten Sie den erforderlichen Beschluss im Betriebsrat sofort nachholen.
Urteil Nr. 6: Sozialauswahl - Welche Rolle der Wohnsitz bei der Kündigung spielt
Folgen der Pandemie. Ukraine-Krieg. Und vor allem: die Gas-Krise. Es gibt viele Gründe, warum in diesem Herbst betriebsbedingte Kündigungen wieder Konjunktur haben werden. Doch kaum eine Kündigungsart ist so fehleranfällig – und damit möglicherweise unwirksam. Ein Punkt, an dem es scheitern kann, ist der Wohnort.
Sachverhalt
Ein Flugzeug-Kapitän wehrte sich gegen seine betriebsbedingte Kündigung durch die Fluggesellschaft. Seine noch in im Betrieb verbliebenen Kolleginnen und Kollegen seien nicht in der Lage, das Flugaufkommen ohne Überstunden zu stemmen. Deshalb hielt er seine Kündigung für unwirksam. Doch die Richter fanden noch einen anderen Grund.
Entscheidung
Die Kündigung ist wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl unwirksam. Denn die Fluggesellschaft durfte die Entscheidung, wer aus sozialen Gründen am wenigsten schutzbedürftig und daher von einer betriebsbedingten Kündigung verschont werden muss, nicht bundesweit vornehmen. Die Sozialauswahl ist auf den Kreis vergleichbarer Kolleginnen und Kollegen beschränkt (§ 1 Abs. 3 KSchG). Dieser Kreis richtet sich unter anderem nach der Versetzbarkeit. Hat der Arbeitgeber – wie in diesem Fall – einen dienstlichen Wohnsitz vereinbart, ohne sich eine Versetzungsmöglichkeit vorzubehalten, darf die Sozialauswahl nur unter den Kolleginnen und Kollegen an diesem Standort durchgeführt werden.
LAG-Düsseldorf, 08.06.2022, 6 Sa 1118/21
Urteil Nr. 7: Schwerbehinderung – Wann das Amt nicht zustimmen muss
Wer als Arbeitnehmer schwerbehindert ist, für den ist es oft schon kompliziert genug. Deshalb brauchen solche Mitarbeiter rechtlichen Schutz – insbesondere bei Kündigungen. Hierzu braucht der Arbeitgeber unter anderem die Zustimmung des Integrationsamts. Die Frage ist nur: Ab welchem Zeitpunkt?
Sachverhalt
Ein Hausmeister verlangte vom Arbeitgeber eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Er hielt sich wegen seiner Schwerbehinderung für benachteiligt, weil vor seiner Kündigung nicht die erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt wurde. Der Mitarbeiter hatte nach einem Schlaganfall seinen Chef darüber informieren lassen, dass er halbseitig gelähmt auf der Intensivstation liege und deshalb offenkundig schwerbehindert sei. Trotzdem habe der Arbeitgeber ohne Zustimmung der Behörde gekündigt.
Entscheidung
Der Hausmeister geht leer aus. Eine Entschädigung gibt’s nicht. Die steht dem Hausmeister nicht zu, weil zum Zeitpunkt seiner Kündigung trotz Schlaganfall und Intensivstation die Schwerbehinderung noch nicht offenkundig war.BAG, Urteil vom 02.06.2022, 8 AZR 191/21
Urteil Nr. 8: Massenentlassung – Halb so schlimm, wenn die Anzeige bei der Agentur für Arbeit unvollständig ist
7,6 % Inflation im Juni. Viele Unternehmen fürchten eine Rezession – und die bringt Arbeitsplatzverluste mit sich. Einen größeren Stellenabbau muss der Arbeitgeber allerdings der zuständigen Agentur für Arbeit vorher schriftlich mitteilen. Fehler, die er dabei macht, wiegen aber offenbar weniger schwer als gedacht.
Sachverhalt
17 Arbeitnehmer in Hessen sollten gekündigt werden. Das teilte die Arbeitgeberin der zuständigen örtliche Agentur für Arbeit im Rahmen der vorgeschriebenen Massenentlassungsanzeige mit. Die hielt eine Mitarbeiterin allerdings für unwirksam, weil darin wichtige gesetzlich vorgeschriebene Angaben, unter anderem die Gründe für die Entlassungen, fehlten.
Entscheidung
Das unbeabsichtigte Fehlen der gesetzlichen Angaben macht die Anzeige bei der Agentur für Arbeit und die nachfolgende Kündigung der Mitarbeiterin nicht nichtig (§ 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG). Ein Verstoß gegen die Pflicht, der Behörde die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben mitzuteilen, führe nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.BAG, Urteil vom 19.05.2022, 2 AZR 467/21
Urteil Nr. 9: Überstunden – Was Arbeitnehmer beweisen müssen
1,7 Millionen Überstunden wurden in Deutschland im Jahr 2021 gemacht. Etwas mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Jetzt hat ein Gericht festgestellt, was Arbeitnehmer machen müssen, um die zusätzlichen Stunden nach Feierabend und am Wochenende bezahlt zu bekommen. Zwei Punkte sind wichtig.
Sachverhalt
Ein Auslieferungsfahrer verlangte von seinem Arbeitgeber insgesamt 5.222,67 € als Bezahlung für geleistete Überstunden. Trotz einer technischen Arbeitszeiterfassung habe er stets die Pausen durchgearbeitet, behauptete er vor Gericht.
Entscheidung
Klage abgewiesen. Der Arbeitgeber muss die Überstunden nicht bezahlen, weil der Arbeitnehmer die zusätzliche Arbeitszeit nicht hinreichend beweisen konnte. Die Richter stellten in ihrem Urteil auch gleich fest, was Arbeitnehmer beweisen müssen, damit Überstunden bezahlt werden. Arbeitnehmer müssen darlegen
- über die normale Arbeitszeit hinaus gearbeitet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers dazu bereit gehalten zu haben und
- die Überstunden vom Arbeitgeber ausdrücklich oder stillschweigend angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt wurden.
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter stellen mit diesem Urteil klar, dass ein technisches Erfassungssystem nicht ausreicht, um die Beweislast für die erbrachten Überstunden auf den Arbeitgeber umzukehren.
BAG, Urteil vom 04.05.2022, 5 AZR 359/21
Die höchsten deutschen Arbeitsrichter stellen mit diesem Urteil klar, dass ein technisches Erfassungssystem nicht ausreicht, um die Beweislast für die erbrachten Überstunden auf den Arbeitgeber umzukehren.
Urteil Nr. 10: Es ging um 465,50 € – Lassen sich fällige Rundfunkgebühren per Zwangsvollstreckung durchsetzen?
Es gibt Menschen, die gehen wegen nicht gezahlter Gebühren sogar ins Gefängnis. Mit Beugehaft soll in manchen Fällen die Zahlung durchgesetzt werden. Die Zwangsvollstreckung fälliger Rundfunkgebühren muss da doch erst recht zulässig sein. Oder doch nicht?
Sachverhalt
Ein Mann aus dem Münsterland zahlte seine Rundfunkgebühren nicht. Deshalb setze der für den Einzug des Rundfunkbeitrags zuständige Beitragsservice rückständige WDR-Rundfunkbeiträge aus mehreren Jahren in Höhe von 465,50 Euro fest. Der Mann legte Widerspruch ein, zahlte aber weiter nicht.
Daraufhin bat der WDR die Stadt Borken im Wege der Amtshilfe, die rückständigen Beiträge zu vollstrecken. Die tat, worum sie gebeten wurde: Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens beantragte die Stadt Borken schließlich beim Amtsgericht Borken sogar die Abnahme der Vermögensauskunft des Gebührenpflichtigen abzunehmen. Nachdem dieser die Abgabe verweigert hatte, beantragte die zuständige Gerichtsvollzieherin beim Amtsgericht Borken einen Haftbefehl zur Erzwingung der Vermögensauskunft.
Es kam sogar zur Vollstreckung: Der hartnäckige Münsterländer wurde in die Justizvollzugsanstalt Münster gebracht, wo er fast sechs Monate inhaftiert war. In dieser Zeit erhob er eine Klage gegen die Stadt Borken sowie gegen den WDR. Die Begründung: Da er seit mehr als 10 Jahren weder ein Radio- noch ein Fernsehgerät besitze, sei er nicht verpflichtet, Rundfunkbeiträge zu zahlen. Er habe die über Jahre hinweg erhaltenen Briefe des Beitragsservice für Werbung gehalten und sie ungeöffnet wieder an den Absender zurückgeschickt. Außerdem fehlte es an den Voraussetzungen für die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen. Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen seiner Inhaftierung verlangte er auch noch.
Entscheidung
Keine Chance. Das zuständige VG Münster wies die Klagen ab. Die Begründung der Richter: Soweit sich der Münsterländer gegen die ursprünglichen Rundfunkbeitragsbescheide wende, seien diese bereits bestandskräftig, weil innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen keine Rechtsmittel eingelegt worden waren.
Für die erstrebte Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung sowie für den geltend gemachten Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld seien nicht die Verwaltungsgerichte, sondern die Zivilgerichte zuständig.
Außerdem sei nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Rundfunkbeiträge nicht erfüllt gewesen seien. Der Münsterländer könne auch nicht mehr verlangen, dass die Vollstreckung eingestellt werde, weil der WDR bereits erklärt habe, die Zwangsvollstreckung gegen den Kläger nicht weiter zu betreiben.
VG Münster, Urteil vom 13.05.2022, 7 K 1552/21