Demokratie vs diktatur in der schule
Recht & Verwaltung10 Juni, 2022

Demokratie versus Diktatur - Der Krieg in der Ukraine und seine Behandlung in der Schule

Rupert Grübl Direktor der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit

Unmittelbar mit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wurden auch die Schulen vor die Aufgabe gestellt, sich des Themas – im Unterricht und darüber hinaus – anzunehmen. So wünschenswert es vielleicht wäre, junge Menschen vor den Bildern des Krieges und den möglichen psychischen Folgen zu bewahren, so unrealistisch ist doch dieses Ansinnen. Die Präsenz der Medien und der sozialen Netzwerke in unser aller Leben macht dies unmöglich.

Umso wichtiger ist es, dass die Schulen – ganz im Sinne des Art. 131 (3) der Bayerischen Verfassung (»Die Schüler sind im Geiste der Demokratie […] und im Sinne der Völkerverständigung zu erziehen.«) – die ihnen anvertrauten Schüler/-innen bei der intellektuellen und der psychischen Verarbeitung des uns so nahe gekommenen Themas Krieg zu begleiten. Nach einleitenden historisch-politologischen Grundüberlegungen sollen Ihnen und Ihren Kolleg/-innen praxisnahe Umsetzungsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden.

Frieden – Krieg

Frieden ist Abwesenheit von Krieg und direkter Gewalt – dass diese zurecht als negativ bezeichnete und veraltete Definition des Begriffes ersetzt bzw. erweitert werden muss, ist nicht erst seit dem vom russischen Präsidenten Putin begonnenen Angriffskrieg auf die Ukraine offensichtlich. Selbstverständlich ist die Abwesenheit von Krieg ein erforderliches, aber nicht ausreichendes Merkmal für Frieden. Zudem kommen als positive Faktoren – daher der Begriff positiver Frieden – gute, harmonische Beziehungen zwischen Staaten nicht nur in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht, sondern z.B. auch auf kultureller Ebene; ebenso eine gerechte Verteilung u.a. von Wohlstand, Bildungschancen, Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitssystem und auch Abwesenheit nicht nur von direkter, sondern auch von struktureller Gewalt.

»Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« – so schrieb der preußische General Carl von Clausewitz in seinem in den 1830er Jahren erschienenen Buch »Vom Kriege«. Wenn überhaupt, dann kann eine solche Definition nur für Kriege gelten, die von Armeen auf einem vorher eigens bestimmten (Schlacht-)Feld ausgetragen werden.

Solche Arten von Kriegen aber gibt es schon seit langem nicht mehr. Sobald Nonkombatanten von kriegerischen Aktivitäten betroffen sind, wäre eine solche Definition nur zynisch. Und spätestens mit der Einführung jeglicher Art von Massenvernichtungswaffen ist Krieg nicht die »Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln«, sondern würde in letzter Konsequenz nach menschlichem Ermessen das Ende jeglicher Politik bedeuten. Kriege im 20. und vor allem im 21. Jahrhundert werden auch kaum noch zwischen zwei (oder mehreren) Staaten ausgetragen. Als Beispiele zu nennen wären hier u.a. die von Warlords zur eigenen Bereicherung in Teilen Afrikas untereinander ausgetragenen oder auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Kriege. Zu nennen wären hier auch sog. Cyberkriege, bei denen versucht wird, mittels Computertechnik und Internet Infrastruktur – militärische wie zivile – lahmzulegen, um den Gegner so in jeglicher Hinsicht handlungsunfähig und somit wehrlos zu machen. Auch wenn Wladimir Putin erst am 24.02.2022 offizielle reguläre Truppen die Ukraine angreifen ließ, so befand sich der östliche Teil dieses Landes, der Donbass, bereits nach der gewaltsamen Annexion der Halbinsel Krim durch den russischen Diktator 2014 in einem Kriegszustand. Zusammen mit russischstämmigen ukrainischen Separatisten haben dort wohl auch getarnte russische Soldaten auf kriegerische Art die Loslösung dieses Landesteils von der Ukraine und evtl. den Anschluss an Russland betrieben.

Es liegt also auf der Hand, dass nicht nur Frieden, sondern auch Krieg einer modernen Definition bedürfen.

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So thematisieren Sie aktuelle Krisensituation in der Schule

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Regierungssysteme

Eine simplifizierte Definition der Regierungssysteme grenzt Demokratien von Diktaturen ab. Diktaturen lassen sich grob einteilen in autoritäre und totalitäre Systeme. Totalitäre Diktaturen versuchen, ihre Bürger/-innen komplett zu unterwerfen und in alle Lebensbereiche einzudringen, um eine vollkommene Kontrolle ausüben zu können. Beispiele wären u.a. Nazideutschland, aber auch die DDR oder die Sowjetunion. Als weiteres Wesensmerkmal des Totalitarismus gilt das Vorhandensein einer Ideologie. Es reicht dem/den Machthabern nicht aus, dass sich die Bevölkerung ihrem Willen unterwirft, es wird auch ein aktives Mittragen und Unterstützen der Ideologie verlangt. Solches zeigt sich zum Beispiel in Massenveranstaltungen, so wie wir sie von den Reichsparteitagen oder ähnlichen Veranstaltungen der NSDAP oder ihrer Gliederungen kennen. Abwesenheit von unantastbaren Grundrechten, von Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit etc. sind weitere Merkmale von Diktaturen.

Betrachtet man die Entwicklung Russlands nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Beginn der 1990er Jahre, so scheint nicht nur in der Retrospektive der Begriff »defizitäre Demokratie«, so wie er nicht selten benutzt wurde, vollkommen unangebracht. Dass Wahlen in Russland nicht frei sind, weiß man nicht erst seit dem 2020 gescheiterten, wohl von Putin selbst angeordneten, Mordversuch an einem seiner größten Herausforderer, Alexei Nawalny. All die oben genannten Merkmale einer Diktatur treffen für das Russland Putins zu. Ob man angesichts der Massenaufläufe Anfang März 2022 zu den »Feierlichkeiten« anlässlich der Krimannexion bereits von einer totalitären Diktatur sprechen muss, bedarf einer Klärung der Frage, ob das »System Putin« eine Ideologie beinhaltet.

Dass es sich ohne jeden Zweifel um eine Diktatur handelt, zeigt allein schon der Krieg gegen die Ukraine. Noch nie hat eine wahre Demokratie eine andere Demokratie mit Krieg überzogen!

Das Völkerrecht oder Wie geht es weiter mit Russland und Putin?

In den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg 1945/46 ging es primär darum, die Verbrechen der Nationalsozialisten gerichtlich aufzuarbeiten und die Schuldigen zu bestrafen. Darüber hinaus aber sollten sie ein Signal in die Zukunft senden: Wer auch immer einen Angriffskrieg beginnt, Kriegsverbrechen begeht, wird sich vor Gericht dafür verantworten müssen. Dass dies in der Zeit nach 1945 nicht immer gelang, ist bedauerlich – dennoch stellt sich auch jetzt wieder diese Frage. Ist ein »back to normal« mit Putin-Russland und insbesondere mit diesem Diktator denkbar, möglich? Wohl kaum! Wenn das Signal von Nürnberg weiterhin ausgesendet werden soll, wenn das Völkerrecht aufrechterhalten werden soll, dann müssen alle für den Krieg gegen die Ukraine Verantwortlichen vor Gericht gestellt und zur Rechenschaft gezogen werden. Dass dies auch für den nun seit über 10 Jahren andauernden Krieg in Syrien gilt, dürfte unstrittig – und gleichermaßen frustrierend – sein.

Praxis-Tipps:

Folgende Materialien finden Sie auf der Webseite der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit

  • Klaus Gestwa, Krieg in Europa! Was treibt Putin? Historisch-politische Hintergründe des russischen Überfalls auf die Ukraine
  • Marina Solntseva, Der »Fall Nawalny«. Strukturelle Gewalt gegen die Opposition in Russland
  • Webtalk: Krieg in Europa – Russland, die Ukraine und der Westen
  • Unterrichtseinheit: Krieg in der Ukraine – Wie kam es dazu?
  • Unterrichtseinheit: Krieg in der Ukraine – eine Zeitenwende

Fazit – Umsetzung in der Schule

Damit Ihre Kolleg/-innen die oben angerissenen Gedanken zu Krieg und Frieden, zu Regierungssystemen, insbesondere zu der, Frage zu welcher Art von Diktatur sich Russland entwickelt (hat), zur Bedeutung von Demokratie und Menschenwürde, von Grund- und Menschenrechten und zu Aspekten des Völkerrechts im Unterricht umsetzen können, hat die Bayerische Landeszentrale hierzu Materialien erarbeitet. Sie können diese alle über unsere Webseite www.blz.bayern.de abrufen. Hier finden Sie sowohl wissenschaftliche Artikel, wie auch Webtalks und detailliert ausgearbeitete Unterrichtssequenzen mit allen nötigen Materialien. Eine Sammlung weiterer hochwertiger Angebote aus anderen Quellen (z.B. von der Bundeszentrale für politische Bildung oder aus öffentlich-rechtlichen Medien) finden Sie zudem auf dem vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) betreuten Portal zur politischen Bildung unter www.politischebildung.schule.bayern.de/ukrainekrieg/. Grundlegende Informationen zum schulart- und fächerübergreifenden Erziehungs- und Bildungsziel der politischen Bildung bietet Ihnen das »Gesamtkonzept für die Politische Bildung an bayerischen Schulen« (KMBek vom 16. August 2017), das online auf der Homepage des ISB zu finden ist.

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