Die Entwicklung des notariellen Berufsrechts im Jahr 2022
Recht & Verwaltung06 Dezember, 2022

Die Entwicklung des notariellen Berufsrechts im Jahr 2022

von Harald Reiter, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Seit der 19. Jahresarbeitstagung des Notariats im September 2021 hat der Senat für Notarsachen im November 2021 sowie im März und Juli 2022 Beratungs- und Verhandlungstermine abgehalten. Dabei bildeten die notarverwaltungsrechtlichen Verfahren das Gros der entschiedenen Fälle mit einem gewissen thematischen Schwerpunkt bei Fragen zur Erfüllung der Wartezeit im Sinne von § 6 Abs. 2 BNotO a.F./§ 5b Abs. 1 BNotO n.F. In disziplinarrechtlicher Hinsicht betraf ein Fall zwar gravierende Verfehlungen, die aber letztlich weder zu einer Amtsenthebung noch zu einer Entfernung vom bisherigen Amtssitz zwangen.

Bestellung eines anwaltlichen Notarvertreters für die Zeit der urlaubsbedingten Abwesenheit eines Notars gem. § 39 Abs. 1 und 3 BnotO

Beschluss vom 11.07.2022 – NotZ(Brfg) 11/21

Sachverhalt

Der Kläger ist hauptberuflicher Notar in Sachsen-Anhalt. Mit Schreiben vom 15.02.2021 ersuchte er den beklagten Präsidenten des Landgerichts, ihm während der Dauer eines geplanten Urlaubs Rechtsanwalt P. als Notarvertreter zu bestellen. Mit Bescheid vom 11.06.2021 wies der Beklagte den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt P. als Notarvertreter zurück und bestellte auf den Hilfsantrag des Klägers den Notar a.D. K. zum Vertreter in den Notargeschäften für den gewünschten Zeitraum. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, sein Auswahlermessen sei gemäß Nummer 14 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Justiz zur Ausführung der Bundesnotarordnung und der Dienstordnung für Notarinnen und Notare vom 03.12.1998 (im Folgenden: AV Not) eingeschränkt.

Nach dieser Verwaltungsvorschrift soll zum Vertreter in der Regel nur ein Notar, ein Notarassessor aus dem Vorbereitungsdienst des Landes oder ein Notar a.D. bestellt werden, die nicht als Mitarbeiter bei einem Notar beschäftigt sind. Die Bestellung anderer zum Richteramt befähigter Personen kommt nur in Betracht, wenn die Notarkammer bescheinigt, dass in ihrem Bezirk Notarvertreter aus dem vorgenannten engen (unmittelbar berufsbezogenen) Personenkreis nicht zur Verfügung stehen.

Mit seiner Klage hat der Kläger begehrt, den Beklagten zur Bestellung von Rechtsanwalt P. als Notarvertreter zu verpflichten, hilfsweise die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 11.06.2021 festzustellen. Das Oberlandesgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid (§ 84 VwGO) ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Der Beklagte habe von seinem Auswahlermessen in einer dem Zweck des § 39 BNotO entsprechenden Weise unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens Gebrauch gemacht. Als Rechtsanwalt gehöre P. nicht zu dem in Nummer 14 Abs. 3 AV Not aufgeführten Personenkreis von Berufsträgern (Notar, Notarassessor oder Notar a.D.). Dass die Justizverwaltung sich durch eine ermessenssteuernde Verwaltungsvorschrift allgemein dahin gebunden habe, im Regelfall solle auch der nicht ständige Notarvertreter vorrangig aus dem genannten engen (unmittelbar berufsbezogenen) Personenkreis genommen werden, entspreche dem gesetzlichen Leitbild des § 39 Abs. 3 Satz 2 BNotO für den Fall der ständigen Vertretung eines Notars.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Den auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO gestützten Zulassungsantrag des Klägers hat der Senat zurückgewiesen.

Wesentlicher Entscheidungsinhalt

  • Das Oberlandesgericht ist auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung zur Notarvertretung zutreffend davon ausgegangen, dass es im Bereich des hauptberuflichen Notariats nicht zu beanstanden ist, auch die Bestellung „einfacher“ (nicht ständiger) Notarvertreter – gegebenenfalls im Wege der Selbstbindung der Verwaltung durch ermessensteuernde Verwaltungsvorschrift – am Leitbild des § 39 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BNotO a.F./§ 39 Abs. 3 Satz 2 BNotO n.F. auszurichten. Daran hat sich auch das Vorschlagsrecht des Notars aus § 39 Abs. 3 Satz 3 BNotO a.F. bzw. § 39 Abs. 3 Satz 4 BNotO n.F. zu orientieren.

  • Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entscheidet die Aufsichtsbehörde über den Antrag des Notars, ihm für die Zeit seiner Abwesenheit oder Verhinderung einen Vertreter zu bestellen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BNotO). Der Notar hat keinen Rechtsanspruch auf Bestellung eines (bestimmten) Vertreters. Vielmehr hat die Aufsichtsbehörde sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen hinsichtlich der Person des Vertreters. Richtschnur für die Ausübung des Ermessens sind die Erfordernisse einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege.

  • In diesem Rahmen ist neben dem Interesse des Notars an der Bestellung eines Vertreters (siehe § 39 Abs. 3 Satz 3 BNotO a.F./§ 39 Abs. 3 Satz 4 BNotO n.F.) vor allem zu beachten, dass das hauptberufliche Notariat durch seine klare Trennung der grundlegend unterschiedlichen Tätigkeiten des Notars und des Rechtsanwalts in besonderem Maße die Unabhängigkeit des Notars sichert und der Qualitätsgewähr dient. Die weitgehende Orientierung an diesem Leitbild auch bei der Auswahl der zur Notarvertretung heranzuziehenden Personen wahrt wesentliche Belange einer geordneten Rechtspflege.

  • Eine Selbstbindung der Verwaltung bei der Auswahl von Notarvertretern ist grundsätzlich möglich. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, wenn das (Auswahl-)Ermessen der Justizverwaltung durch Ausführungsvorschriften zur Bundesnotarordnung allgemein dahin gebunden wird, dass zu „einfachen“ (nicht ständigen) Notarvertretern im Bereich des hauptberuflichen Notariats im Regelfall vorrangig Notare, Notarassessoren und Notare a.D. bestellt und Angehörige anderer juristischer Berufe wie zum Beispiel Rechtsanwälte nur ausnahmsweise berücksichtigt werden. Dafür spricht die Regelung in § 39 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BNotO a.F./§ 39 Abs. 3 Satz 2 BNotO n.F., die – obwohl sie nur den ständigen Vertreter betrifft – Leitbildcharakter für die Bestellung von Notarvertretern hat.

  • Da ermessenssteuernde Vorschriften auf den „Regelfall“ zugeschnitten sind, muss die Behörde, wenn ein Fall wesentliche Besonderheiten aufweist, das bei ihrer Ermessenentscheidung berücksichtigen und gegebenenfalls von der Richtlinie abweichend entscheiden. Die Aufsichtsbehörde muss daher im besonders gelagerten Ausnahmefall auch eine andere Person zum Vertreter bestellen, wenn dies der antragstellende Notar mit beachtlichen Gründen beantragt, insbesondere weil Personen aus dem engen (unmittelbar berufsbezogenen) Personenkreis nicht im aus Sicht des Notars notwendigen Umfang zur Verfügung stehen.

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