Diskussion um das mobile Lernen
Die pädagogische Diskussion um mobile Technologien im Unterricht geht unter dem Etikett „mobiles Lernen“ bis zum Jahr 2000 zurück. Eine frühe Definition von Quinn (Quinn, 2000) beschreibt das mobile Lernen als ein eLearning mit Hilfe von Handhelds, Windows CE-Computern oder Handys, im Vergleich zu heutigen Standards relativ primitive Geräte ohne Internet-Zugang. Er sieht darin längerfristig eine Veränderung des Lernens ermöglicht, vom organisierten zum individualisierten Lernen.Im Laufe der weiteren Diskussion (Crompton, 2013) haben sich dann vier Elemente des mobilen Lernens herausentwickelt: die Nutzung einer speziellen Technologie (mobile devices, also in der Regel Smartphones und Tablets), ein bestimmter Kontext, in dem gelernt wird, eine angemessene Pädagogik und soziale Interaktionen, in der Regel mit Hilfe sozialer Medien.
O’Malley et al. (2007) verweisen noch auf die Unabhängigkeit von Ort und Zeit, zu der Lernen stattfinden kann.Wurden anfangs die Potenziale des mobilen Lernens bereits in heute primitiv erscheinenden Technologien gesehen, existieren spätestens seit der Einführung des ersten internetfähigen Smartphones (iPhone) im Jahre 2007 und der Einführung von Tablets (iPad) im Jahre 2010 Technologien mit deren Hilfe sich ein vielfältiges mobiles Lernen realisieren lässt.
Technische Merkmale
Die besonderen Merkmale von Smartphones und Tablets lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
- Die Geräte lassen sich sowohl über Hardware (Anschluss eines Keyboards, Mikroskops oder Messinstruments) als auch über Software (Apps) beliebig erweitern.
- Sie sind nach dem Einschalten sofort einsatzbereit, das Hochfahren des traditionellen Computers entfällt und betreuungsintensive Computerräume werden oft überflüssig.
- Ihre technische Betreuung ist auf ein Minimum reduziert. In der Regel müssen sie nicht besonders konfiguriert werden, denn sie bringen von Hause aus schon ein großes Maß an Funktionalität wie Browser, eBook-Reader, Notizzettel, eMail etc. mit.
- Zur Verwaltung mehrerer Geräte existieren inzwischen Software-Lösungen wie die Jamf Pro und andere.
- Sie sind leicht und extrem portabel. Der Akku erlaubt den Einsatz von circa zehn Stunden, was für einen Schultag vollkommen ausreicht.
- Zudem lassen sich die Geräte außerhalb der Schule einsetzen, beispielsweise in der Natur, im Museum oder unterwegs.
- Die Geräte haben einen Internetzugriff und damit eine Fülle an Informationsressourcen.
- Zudem ist ein Austausch über soziale Medien wie Facebook, Twitter, Tumblr, Instagram u.a. jederzeit möglich.
- Und auch die Bedienbarkeit der Geräte, die über Haptik und Spracherkennung gesteuert wird, hat sich als intuitiv und sehr ergonomisch erwiesen. In einer Studie wurde beispielsweise mittels der AttrakDiff(tm)-Methode die Nutzung des iPhones von den allermeisten Nutzern als „angenehm“ und „hedonisch“ empfunden: „Die gestenbasierte Bedienung weckt Begeisterung und ist hochgradig alltagstauglich“(Koller & Limbach, 2009).
- Durch die verschiedenen Möglichkeiten der Konfiguration und Erweiterbarkeit der Geräte sind sie personalisiert und lassen sich als individuelle Lernumgebung einrichten.
- So beschreibt der HORIZON Report 2013 Higher Education Tablets „als eine neue Technologie für sich betrachtet, die die Funktionalitäten von Laptops, Smartphones und frühen Tablet Computern mit der Dauerverbindung ins Internet und Tausenden von Apps zur Personalisierung kombiniert – und ohne Maus und Keyboard auskommt. Durch intensiveres Nutzen und Begreifen dieser neuen Geräte ist deutlich geworden, dass sie unabhängig und verschieden von anderen Mobilgeräten wie Smartphones, eReadern oder Tablet PCs sind. Mit bedeutend größeren Bildschirmen und umfangreicheren gestenbasierten Schnittstellen als ihre Smartphone-Vorgänger – und einem wachsenden und immer kompetitiver werdenden Markt – sind sie ideale Geräte für die (auch kollaborative) Arbeit mit Inhalten, Videos, Bildern und Präsentationen, weil sie für jeden leicht zu bedienen, von bestechender Bildqualität und handlich sind. In der Lehre haben Tablets an Dynamik gewonnen, weil man Apps und Inhalte direkt auf die Geräte laden kann. So wird das Tablet selbst zur tragbaren, personalisierten Lernumgebung“(Johnson et al., 2013b).
- Ein weiteres wesentliches Element mobiler Technologien ist ihre Verfügbarkeit. So besitzen in Deutschland nach Angaben der KIM-Studie (Feierabend, 2017) 32 Prozent aller Grundschüler ein Smartphone und 5 Prozent ein Tablet, mit zunehmendem Alter (Feierabend, 2016) steigt der Prozentsatz auf 97 bzw. 31 Prozent.
- Diese hohe Verfügbarkeit ermöglicht es, Basisfunktionen wie die Nutzung sozialer Medien oder die Recherche im Internet auf sämtlichen vorhandenen Geräten zu nutzen. Und so verfolgen zunehmend Schulen das Konzept des BYOD, bei dem Schüler/-innen ihre privaten Geräte im Unterricht nutzen. Dies ist allerdings nicht unproblematisch, denn der Zugriff auf problematische Internetquellen lässt sich auf diese Weise nicht beschränken und zudem kann es Schülern nicht zugemutet werden Verbindungskosten privat zu tragen, was bei fehlendem WLAN in der Schule eine Notwendigkeit ist. Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass die verschiedenen Betriebssysteme der Hersteller nicht untereinander kompatibel sind und in proprietären Formaten erstellte Dokumente sich nicht ohne weiteres untereinander austauschen lassen.
- Vor diesem Hintergrund haben sich Schulen häufig dazu entschlossen entweder einzelne Geräte für den Unterricht anzuschaffen oder ganze Klassensätze von Geräten zur Verfügung zu stellen. Der Vorteil liegt darin, dass die Administration der Geräte durch die Schule wesentlich einfacher ist und Daten besser ausgetauscht werden können.
Nutzen Sie diese Einsatzmöglichkeiten des mobilen Lernens
Schon kurz nach der Einführung der ersten Smartphones wurden unterschiedliche Szenarien für den Schulunterricht erprobt und diskutiert. In einem ersten systematischen Werk haben Friedrich, Bachmair und Risch auf der Basis eines einjährigen Schulversuches in Rheinland-Pfalz (www.elearning2null.de/2010/05/28/eckpunkte-einer-didaktik-des-mobilen-lernens) 50 Lernszenarien für die Grundschule und weiterführende Schulen definiert, in Schulen erprobt und dokumentiert (Friedrich, Bachmair & Risch, 2011).
Ein weiterer Versuch die Möglichkeiten des mobilen Lernens mit Tablets darzustellen, findet sich im eBook „Mobiles Lernen in der Schule“ (Thissen, 2015), in der Lehrer/-innen unterschiedlicher Schularten und Fächer den Einsatz von Tablets im Unterricht darstellen.
Es lassen sich die Aktivitäten folgendermaßen zusammenfassen:
- Der Browser als integrierter Bestandteil jedes mobilen Geräts, schafft den Zugang zu vielfältigen Quellen im Internet. Die Ergebnisse der Recherche lassen sich speichern und gegebenenfalls unter Beachtung des Urheberrechts weiterverwenden. Dazu benötigen Schüler/-innen allerdings eine Informationskompetenz, um den Wert der recherchierten Informationen beurteilen zu können.
- Digitale Lehrbücher werden zunehmend die gedruckten Schulbücher ablösen. Dabei ist ihr Vorteil nicht nur das geringere Gewicht, sondern auch ihre vielfältigen Möglichkeiten wie die Ergänzung von Text und Bild durch Videos, Hyperlinks, Animationen und interaktive Sequenzen. So lassen sich im Englischbuch Textpassagen von einem Muttersprachler vorlesen, im Mathematikbuch können Aufgaben bearbeitet werden und auf Knopfdruck kann angezeigt werden, ob sie richtig oder falsch gelöst wurden.
- Die prämierten mBooks des Instituts für digitales Lernen zeigen innovative Konzepte von interaktiven Geschichtslehrbüchern auf.
- Zunehmend bieten elektronische Bücher auch Kommentar-Funktionen an, die mit anderen Lesern des Buches ausgetauscht werden können. So kommen Leser untereinander und auch mit dem Autor ins virtuelle Gespräch, können Fachbücher durch zusätzliche Ergebnisse und Erkenntnisse der Leser erweitert werden.
- In Explore Shakespeare von Cambridge University Press lässt sich der Text visuell und interaktiv erschließen: Word Clouds zeigen Schwerpunkte an, die Dramaturgie der einzelnen Szenen lässt sich unter verschiedensten Aspekten darstellen und Beziehungen zwischen den verschiedenen Personen lassen sich an jeder beliebigen Stelle im Text ermitteln.
- Zum Teil sehr hochwertige Videos stehen auf YouTube und Vimeo in großer Fülle zur Verfügung. Auf TED.com finden sich Vorträge von Wissenschaftlern und Künstlern unterschiedlichster Bereiche und die Medienzentren und öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bieten weiteres hochwertiges Material.
- Durch interaktive Apps wird das individuelle Üben von Vokabeln, mathematischen Aufgaben oder elektronischen Instrumenten ermöglicht, Zeit und Ort lassen sich vom Lerner festlegen und sie können in ihrem ganz eigenen Tempo vorgehen und je nach Kompetenz unterschiedlich intensiv üben.
- Die Organisation von Gruppen- und individueller Arbeit lässt sich auf dem Tablet durch Online-Kalender oder -Plattformen wie Slack oder Trello organisieren.
- Ideen lassen sich beispielsweise durch Mindmapping-Werkzeuge wie iThoughts HD kollaborativ zusammentragen.
- Mit Hilfe von Apps wie Keynote, Powerpoint oder Prezi lassen sich multimediale Präsentationen einfach erstellen und vorführen.
- Tablets bieten sich durch ihre Funktionalitäten wie GPS, Mikrophon oder Kompass auch als Erkundungswerkzeuge an. Mit Hilfe von speziellen Apps lassen sich beispielsweise Frequenzen und Lautstärke messen und Frequenzverläufe visualisieren. Die Auswertung einer Videoaufzeichnung mit Hilfe der App VideoPhysics, die Bewegungen in Videos visualisiert, hilft im Sportunterricht Bewegungsabläufe zu analysieren.
- Anwendungen der Augmented Reality wie beispielsweise StarWalk erklären den nächtlichen Nachthimmel und bezeichnen die Sterne und Planeten, auf die das Tablet gerade gehalten wird. Mit Hilfe der App Circuit Lab können elektrische Schaltungen virtuell zusammengebaut und getestet werden.
- Molekülbaukästen wie der MolView und die App Die Elemente veranschaulicht chemische und biologische Zusammenhänge.
- Schließlich sei noch Living Earth genannt, die die Erde unter verschiedenen Parametern anzeigen kann, wie die Bewölkung, die Temperatur, den Wind, die Luftfeuchtigkeit und anderes mehr – und zwar in Echtzeit den aktuellen Stand.
- Da die Geräte über das Internet bzw. Bluetooth miteinander in Kontakt treten und Daten austauschen können, wird ein kollaboratives Lernen gefördert. Zum Teil wird dies zwar noch durch die unterschiedlichen Betriebssysteme der Geräte erschwert, aber die Tendenz zu Standardformaten und einer höheren Datenaustauschbarkeit ist zu erkennen. Mit Hilfe von Werkzeugen wie Skype oder FaceTime kann Kontakt zu Personen an anderen Orten aufgenommen werden, so bietet sich MysterySkype gut für das Sprachenlernen und die Kommunikation mit Menschen in anderen Ländern an.
- Weitere interessant Apps sind Explain Everything oder ScreenChomp, die das Erstellen von Erklärungsvideos ermöglichen.
- Arbeitsergebnisse lassen sich vielfältig dokumentieren, mithilfe von Notizprogrammen, virtuellen Notebooks, durch das Anfertigen von Fotografien und Videoaufnahmen sowie durch Tonaufnahmen oder in einer Kombination.
- Werkzeuge zur Reflexion des Lernprozesses sind neben den oben beschriebenen Notizen-Anwendungen auch digitale Tagebücher wie DayOne, in den sich in Form von Lerntagebüchern Beobachtungen, Erkenntnisse und Gedanken festhalten lassen und dadurch ein reflektierender Prozess über den Lernprozess und das Erlernte gefördert werden kann.
- Eine weitere Möglichkeit der Nutzung mobiler Geräte liegt in der Medienproduktion durch Schüler/-innen. Was vor wenigen Jahren noch sehr aufwendig mit sehr hohem technischen Aufwand zu bewerkstelligen war, wie beispielsweise das Erstellen und das Schneiden eines Videos, ist nun mit einfachen Mitteln ohne große Einarbeitung in Spezialsoftware möglich.
- Neben Videos lassen sich auch eBooks, Wikis oder Tondokumente erstellen.
Das SAMR-Modell für den Einsatz mobiler Geräte
So vielfältig die Möglichkeiten sind, die mobile Geräte im Unterricht bieten, so wichtig ist die Fragestellung nach ihrer Sinnhaftigkeit. Reicht es aus, dass sie Dinge, die auch schon vorher möglich waren, erleichtern und vereinfachen? Wird hier nicht ein Hype gefördert, eine Technik unterstützt ohne die es auch möglich war zu lernen? Und ist beispielsweise das eBook wirklich dem gedruckten Werk voraus? Denn im Gegensatz zum gedruckten Buch fällt beim eBook das haptische Erlebnis weg.
Eine wesentliche Hilfestellung zur Beantwortung dieser Fragen gibt der Puentedura mit seinem SAMR-Modell.
Das Akronym SAMR steht für Substitution (Ersetzung), Augmentation (Erweiterung), Modification (Änderung) und Redefinition (Neudefinition). Es geht dabei um unterschiedliche Stufen der Möglichkeiten zum Einsatz mobiler Geräte.
Auf den ersten beiden Stufen kommt es zu einer Verbesserung von Funktionalitäten, die mit analogen Mitteln bereits möglich waren. Auf der dritten und vierten Stufe wird der eigentliche Mehrwert digitaler Medien besonders deutlich.
Als Beispiel für eine Ersetzung führt Puentedura das eBook an. Ein Medium (PDF-Datei) ersetzt das andere ohne eine funktionale Verbesserung. Bei der Erweiterung findet eine multimediale Ergänzung von Text und Bildern des gedruckten Buches statt. Auch hier ist das digitale Medium ein Ersatz für das analoge mit einer funktionalen Verbesserung.
Die Änderung bietet nun technische Möglichkeiten, die mit analogen Mitteln nicht möglich waren. Als Beispiel sei hier die Integration von sozialen Medien in ein eBook genannt, wenn sich zum Beispiel die Leser eines Buches per Blog über den Inhalt austauschen können.
Bei der Neubelegung tauchen neue, bisher unvorstellbare technische Möglichkeiten auf, die ohne die Technologie nicht möglich wären. Als Beispiel sei Augmented Reality genannt, also die Integration von virtuellen Elementen.
Auch das iPAC-Modell bietet Ihnen eine Einsatzmöglichkeit des mobilen Lernens
Ein weiteres Modell – das iPAC-Modell (Burden & Kearney, 2015) – arbeitet die wesentlichen Merkmale mobiler Technologien heraus, indem es die Funktionalitäten Personalisierbarkeit des Lernens (personalisation), Authentizität der Lernerfahrungen (authenticity) und die Förderung von kollaborativem Arbeiten (collaboration) hervorhebt.