Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
Recht & Verwaltung02 Mai, 2023
BGH: AG-Vorstand als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft?
1. Bei der Beschlussfassung über die Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft ist die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt.
2. Auf die Bestellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft ist die Vertretungsvorschrift § 112 S. 1 AktG nicht anwendbar.
Mit notariell beglaubigter Urkunde vom Dezember 2019 bevollmächtigten Dr. E. und Dr. T., den Dr. O., die J. AG unter anderem bei der Gründung einer oder mehrerer Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der Bestellung eines oder mehrerer Geschäftsführer zu vertreten.
Im Dezember 2019 errichtete Dr. O. als Vertreter der J. AG in notarieller Form die Antragstellerin. In einer zugleich abgehaltenen Gesellschafterversammlung bestellte er die drei vorgenannten Vorstandsmitglieder der Alleingesellschafterin zu Geschäftsführern der Antragstellerin.
Im April 2020 meldete der bevollmächtigte Notar die Gesellschaft und ihre Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister an.
Mit Zwischenverfügung vom 29.04./29.05.2020 hat das AG - Registergericht - ein Eintragungshindernis angenommen und der Antragstellerin aufgegeben, im Hinblick auf den Geschäftsführerbestellungsbeschluss vom Dezember 2019 bezüglich der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin samt zusätzlicher Befreiung der Vorstände von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 BGB für den konkreten Einzelfall vorzulegen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die Zwischenverfügung zum Teil aufgehoben.
Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Eintragungsantrag weiter.
Begründung: Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer AG bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt
Mit dem vorliegenden Beschluss vom 17.01.2023 - II ZB 6/22 - hat der BGH zur Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer AG bei Beschlussfassung über die Geschäftsführerbestellung einer Tochtergesellschaft Stellung genommen und die Zwischenverfügung des AG aufgehoben.
Nach Auffassung des BGH besteht im konkreten Fall ein behebbares Eintragungshindernis, weil die auf die Bestellung der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. zu Geschäftsführern der Antragstellerin gerichtete Beschlussfassung schwebend unwirksam ist.
Nach § 9c Abs. 1 S. 1 GmbHG hat das Gericht die Eintragung abzulehnen, wenn die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und angemeldet ist. Zur ordnungsgemäßen Errichtung der Gesellschaft gehört auch die vorschriftsgemäße Bestellung des Geschäftsführers als notwendigem Organ.
Im konkreten Fall waren die Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. aus Sicht des BGH bei der Stimmabgabe bezüglich der auf ihre eigene Bestellung gerichteten Beschlussfassung nach § 181 Fall 1 BGB in ihrer Vertretungsmacht beschränkt.
Der BGH hat entschieden, dass die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt ist.
Nach dieser Vorschrift kann ein Vertreter, soweit ihm nicht ein anderes gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen. Die Beschlussfassung über die Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH und die Bestellung sind ein einheitliches Rechtsgeschäft, auf das § 181 BGB anwendbar ist.
Die Genehmigung für die Wirksamkeit der Stimmabgabe von Dr. O. ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht von dem Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin zu erteilen.
Nach Ansicht des BGH ergibt sich eine Genehmigungskompetenz des Aufsichtsrats nicht aus § 112 S. 1 AktG. Diese Vorschrift ist auf die Bestellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus einer an ihrem Schutzzweck ausgerichteten Auslegung.
Bei der Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer GmbH oder wie hier im Fall Vor-GmbH, deren Alleingesellschafterin die Aktiengesellschaft ist, handelt es sich nicht um eine vom Schutzzweck des § 112 S. 1 AktG erfasste Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber ihrem Vorstandsmitglied.
Praktische Bedeutung des Beschlusses des BGH vom 17.01.2023, II ZB 6/22
Der BGH hat in dieser Entscheidung zwei umstrittene Fragen geklärt. Zum einen hat er zu der Frage Stellung genommen, ob die Selbstbestellung von Vorständen einer Aktiengesellschaft zu Geschäftsführern einer Tochter-GmbH in den Anwendungsbereich des § 181 Fall 1 BGB fällt. Er hat sich hierbei der überwiegenden Auffassung angeschlossen, die ein Vertretungsverbot nach § 181 BGB annimmt.
Zum anderen hat sich der BGH auch mit der Frage befasst, ob § 112 S. 1 AktG auf die Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft anwendbar ist. Der BGH hat sich auch in dieser Hinsicht der überwiegenden Ansicht angeschlossen und eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift verneint. Dies wird auch damit begründet, dass es sich bei der Bestellung eines Geschäftsführers um einen Organakt der Untergesellschaft und nicht der Obergesellschaft als deren Alleingesellschafterin handele.
2. Auf die Bestellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft ist die Vertretungsvorschrift § 112 S. 1 AktG nicht anwendbar.
Sachverhalt: Ist die Bestellung von Vorstandsmitgliedern zu Geschäftsführern durch den zuvor selbst bevollmächtigtem Mitvorstand zulässig?
Die Antragstellerin ist eine GmbH in Gründung. Alleinige Gesellschafterin ist die J. AG. Ihre Vorstandsmitglieder D., Dr. E. und Dr. T. vertreten sie entweder jeweils gemeinsam mit einem anderen Vorstandsmitglied oder jeweils allein gemeinsam mit einem Prokuristen.Mit notariell beglaubigter Urkunde vom Dezember 2019 bevollmächtigten Dr. E. und Dr. T., den Dr. O., die J. AG unter anderem bei der Gründung einer oder mehrerer Gesellschaften mit beschränkter Haftung und der Bestellung eines oder mehrerer Geschäftsführer zu vertreten.
Im Dezember 2019 errichtete Dr. O. als Vertreter der J. AG in notarieller Form die Antragstellerin. In einer zugleich abgehaltenen Gesellschafterversammlung bestellte er die drei vorgenannten Vorstandsmitglieder der Alleingesellschafterin zu Geschäftsführern der Antragstellerin.
Im April 2020 meldete der bevollmächtigte Notar die Gesellschaft und ihre Geschäftsführer zur Eintragung in das Handelsregister an.
Mit Zwischenverfügung vom 29.04./29.05.2020 hat das AG - Registergericht - ein Eintragungshindernis angenommen und der Antragstellerin aufgegeben, im Hinblick auf den Geschäftsführerbestellungsbeschluss vom Dezember 2019 bezüglich der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin samt zusätzlicher Befreiung der Vorstände von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 BGB für den konkreten Einzelfall vorzulegen.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht die Zwischenverfügung zum Teil aufgehoben.
Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Eintragungsantrag weiter.
Begründung: Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer AG bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt
Mit dem vorliegenden Beschluss vom 17.01.2023 - II ZB 6/22 - hat der BGH zur Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer AG bei Beschlussfassung über die Geschäftsführerbestellung einer Tochtergesellschaft Stellung genommen und die Zwischenverfügung des AG aufgehoben.
Nach Auffassung des BGH besteht im konkreten Fall ein behebbares Eintragungshindernis, weil die auf die Bestellung der Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. zu Geschäftsführern der Antragstellerin gerichtete Beschlussfassung schwebend unwirksam ist.
Nach § 9c Abs. 1 S. 1 GmbHG hat das Gericht die Eintragung abzulehnen, wenn die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und angemeldet ist. Zur ordnungsgemäßen Errichtung der Gesellschaft gehört auch die vorschriftsgemäße Bestellung des Geschäftsführers als notwendigem Organ.
Im konkreten Fall waren die Vorstandsmitglieder Dr. E. und Dr. T. aus Sicht des BGH bei der Stimmabgabe bezüglich der auf ihre eigene Bestellung gerichteten Beschlussfassung nach § 181 Fall 1 BGB in ihrer Vertretungsmacht beschränkt.
Der BGH hat entschieden, dass die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft nach § 181 Fall 1 BGB beschränkt ist.
Nach dieser Vorschrift kann ein Vertreter, soweit ihm nicht ein anderes gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen. Die Beschlussfassung über die Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH und die Bestellung sind ein einheitliches Rechtsgeschäft, auf das § 181 BGB anwendbar ist.
Die Genehmigung für die Wirksamkeit der Stimmabgabe von Dr. O. ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht von dem Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin zu erteilen.
Nach Ansicht des BGH ergibt sich eine Genehmigungskompetenz des Aufsichtsrats nicht aus § 112 S. 1 AktG. Diese Vorschrift ist auf die Bestellung des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus einer an ihrem Schutzzweck ausgerichteten Auslegung.
Bei der Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer GmbH oder wie hier im Fall Vor-GmbH, deren Alleingesellschafterin die Aktiengesellschaft ist, handelt es sich nicht um eine vom Schutzzweck des § 112 S. 1 AktG erfasste Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber ihrem Vorstandsmitglied.
Praktische Bedeutung des Beschlusses des BGH vom 17.01.2023, II ZB 6/22
Der BGH hat in dieser Entscheidung zwei umstrittene Fragen geklärt. Zum einen hat er zu der Frage Stellung genommen, ob die Selbstbestellung von Vorständen einer Aktiengesellschaft zu Geschäftsführern einer Tochter-GmbH in den Anwendungsbereich des § 181 Fall 1 BGB fällt. Er hat sich hierbei der überwiegenden Auffassung angeschlossen, die ein Vertretungsverbot nach § 181 BGB annimmt.
Zum anderen hat sich der BGH auch mit der Frage befasst, ob § 112 S. 1 AktG auf die Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft anwendbar ist. Der BGH hat sich auch in dieser Hinsicht der überwiegenden Ansicht angeschlossen und eine Anwendbarkeit dieser Vorschrift verneint. Dies wird auch damit begründet, dass es sich bei der Bestellung eines Geschäftsführers um einen Organakt der Untergesellschaft und nicht der Obergesellschaft als deren Alleingesellschafterin handele.
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