Autor:in: Gercke / Jahn / Pollähne / Brodowski / Voigt
Auch „neutrale“ Handlungen eines Steuerberaters und Buchhalters können eine strafbare Beihilfe zu einem betrügerischen Kapitalanlagemodell in Form eines Schneeballsystems darstellen. Die Beurteilung erfordert eine bewertende Betrachtung im Einzelfall.
Sachverhalt: Klage von Anlegern gegen eine Steuerberaterin und Buchhalterin
Die Kläger nehmen die beklagte Steuerberaterin und Buchhalterin aus unerlaubter Handlung - Beihilfe zum Betrug, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung - im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage bei der inzwischen insolventen EN S. GmbH auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte war seit 2011 für die ENS als Steuerberaterin und Buchhalterin tätig. Im Herbst 2014 heiratete sie den Mitgeschäftsführer. Die Geschäftstätigkeit der ENS war weitgehend fiktiv. Die an die Anleger verkauften Speichermedien existierten nicht. Es handelte sich um ein sogenanntes „Schneeballsystem“, bei dem die immer neue Beschaffung von Anlegerkapital die einzige nennenswerte Einnahmequelle darstellte.
Die Kläger schlossen im April 2015 insgesamt vier Kauf- und Überlassungsverträge ab, der Kläger zu 1: 29.560 Euro und 29.508 Euro, die Klägerin zu 2: 16.000 Euro und 37.400 Euro.
Das LG verurteilte die Beklagte nach einem Geständnis wegen Beihilfe zum Betrug in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Revision verfolgen sie ihr Klagebegehren weiter.
Haftung der Steuerberaterin und Buchhalterin wegen Beihilfe zum Betrug
Mit dem vorliegenden Urteil vom 07.11.2024 - III ZR 79/23 - hat der BGH zu einer Haftung einer Steuerberaterin und Buchhalterin im Zusammenhang mit einem betrügerischen Kapitalanlagemodell Stellung genommen. Nach Auffassung des BGH kommt hier ein deliktischer Schadensersatzanspruch gegen die beklagte Steuerberaterin und Buchhalterin aus § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 27 StGB beziehungsweise aus § 826 BGB in Betracht.
Aus Sicht des BGH hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft allein mit der Frage einer positiven Kenntnis der Beklagten hinsichtlich des ins Werk gesetzten „Schneeballsystems“ befasst.
Als Steuerberaterin und Buchhalterin der ENS hat die Beklagte sogenannte berufstypische Tätigkeiten ausgeübt, wodurch das betrügerische „Schneeballsystem“ objektiv gefördert wurde. Auch solche „neutralen“ Handlungen können eine strafbare Beihilfe darstellen.
Keine ausreichende Auseinandersetzung mit subjektivem Tatbestand
Das Berufungsgericht hat sich hier rechtsfehlerhaft nicht mit der sich aufdrängenden Frage auseinandergesetzt, ob die Beklagte angesichts einer Vielzahl von Belastungsindizien es für „sehr wahrscheinlich“ oder jedenfalls „überwiegend wahrscheinlich“ gehalten hat, dass der Geschäftstätigkeit der ENS ein betrügerisches „Schneeballsystem“ zugrunde lag und sie sie sich mit ihrer Tätigkeit für die ENS die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ.
Im konkreten Fall ist es naheliegend, dass das Berufungsgericht auch den subjektiven Tatbestand der Beihilfe bejaht hätte, wenn es im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung die feststehenden Indiztatsachen zueinander in Beziehung gesetzt und unter Berücksichtigung des sonstigen Prozessstoffs umfassend gewürdigt hätte.
Das im Strafverfahren abgelegte umfassende Geständnis der Beklagten - auf Vorhalte des Gerichts, keine lediglich verlesene Verteidigererklärung - ist ein starkes Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen. Die aus der Buchhaltung ersichtlichen Zahlungsströme waren außerdem typisch für ein „Schneeballsystem“. Der laufende Liquiditätsbedarf konnte hier nur aus den Geldern der Neuanleger gedeckt werden.
Praktische Bedeutung des Urteils vom 07.11.2024 - III ZR 79/23
Der BGH verdeutlicht in diesem Urteil die Voraussetzungen der Feststellung der subjektiven Tatseite der Beihilfe bei berufstypischen Tätigkeiten. In subjektiver Hinsicht sind nach Auffassung des BGH zwei Fallgruppen zu unterscheiden: Zielt das Handeln des Haupttäters nur darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende (Fallgruppe 1), so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird und hält er es nur für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird (Fallgruppe 2), so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, dass das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH, Urteil vom 11.07.2024 - III ZR 176/22).
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