Der Gesetzgeber hat zum Einsatz der Videokonferenz beim Gerichtsprozess eine Reform verabschiedet. Ein Blick auf die konkreten Veränderungen - insbesondere vorm Arbeitsgericht.
Dr. Christian H. P. M. Drees
Videoverhandlungen sind im Arbeitsrecht nicht neu. Schon seit einigen Jahren können die Beteiligten online an Gerichtsverhandlungen teilnehmen. Allerdings gilt das nicht für jede Verhandlung, da das Gericht die Nutzung jeweils gestatten muss.
Ein Antrag der Beteiligten kann sinnvoll sein; zwingend ist er nicht. Der Richter entscheidet nach seinem Ermessen, wobei etwa die Anfahrtswege der Beteiligten sowie die Komplexität des Streitfalls maßgebliche Erwägungen sind.
Wenn das Gericht die Videoverhandlung gestattet, stehen die Beteiligten vor der freien Wahl. Sie können entweder online teilnehmen oder persönlich vor Gericht erscheinen. Die Richter bleiben hingegen im Sitzungssaal. In der Praxis führt das zu der häufigen Konstellation, dass nur eine Partei zugeschaltet ist, während das Gericht und die Gegenseite vor Ort verhandeln.
Wo die Regelung zum Einsatz kommt, vereinfacht sie das Verfahren erheblich. Gerade für den Gütetermin ist sie ein Segen. Der Termin soll den Parteien Gelegenheit bieten, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Wenn er per Video stattfindet, bleibt manchen Beteiligten eine mehrstündige An- und Abreise erspart, die oft in keinem Verhältnis zur kurzen Dauer des Termins steht. Die Erfahrung zeigt, dass sich auch der Kammertermin, also die eigentliche Gerichtsverhandlung, sinnvoll per Videoverhandlung durchführen lässt.
Wenige Neuerungen vor dem Arbeitsgericht
An alledem verändert eine aktuelle Reform wenig. Das „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten“ ist am 19.7.2024 in Kraft getreten. Zwar schafft es eine neue normative Grundlage für die Videoverhandlung (insbes. § 50a ArbGG). Die Voraussetzungen der Videoverhandlung ändern sich darin allerdings nicht.
Der Gesetzgeber hat lediglich einzelne Modalitäten verändert:
- Besonders erwähnenswert ist, dass der Vorsitzende die Videoverhandlung aufzeichnen kann, um daraus anschließend das Sitzungsprotokoll erstellen zu lassen. Er muss die Parteien informieren, wann die Aufzeichnung beginnt und endet. Übrigens kann zu demselben Zweck auch die analog stattfindende Verhandlung per Video oder Ton aufgezeichnet werden. Spätestens nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens werden die Daten gelöscht.
- Die Aufzeichnung ist nur dem Gericht gestattet. Der Vorsitzende hat deshalb nunmehr zu Beginn jeder Verhandlung darauf hinzuweisen, dass private Mitschnitte untersagt sind. Bisher begnügten sich viele Gerichte mit einem entsprechenden Hinweis in der Ladung.
- Neu ist auch, dass der Vorsitzende kurz begründen muss, warum er einen Antrag auf Durchführung der Videoverhandlung ablehnt.
- Die Videoverhandlung wird außerdem kostenfrei. Zuvor stiegen die Gerichtskosten um 15 € je angefangener halber Stunde.
Beweisaufnahme per Video vor dem Arbeitsgericht
Die oben beschriebene Videoverhandlung betrifft den gewöhnlichen Gang der Gerichtsverhandlung, also insbesondere den Austausch von Argumenten und das Stellen der jeweiligen Anträge. Wenn Beweise erhoben werden müssen, wird hingegen die sog. Beweisaufnahme eröffnet.
Auch diese konnte und kann online stattfinden. So dürfen zum Beispiel Zeugen oder Sachverständige per Video vernommen werden. Neuerdings können die Parteien auch den Augenscheinsbeweis online führen. Ausgenommen sind Urkundenbeweise, die der Beweisführer weiterhin physisch im Original vorlegen muss.
Die Voraussetzungen der digitalen Beweisaufnahme entsprechen denen der Videoverhandlung. Die Gestattung liegt also im Ermessen des Gerichts. Ein Antrag ist nicht notwendig, kann aber von allen Beteiligten sowie Zeugen und Sachverständigen gestellt werden. Neuerdings ist auch hier eine kurze Begründung notwendig, wenn das Gericht den Antrag ablehnt.
Die Praxis zeigt, dass die Gerichte die videobasierte Beweisaufnahme zurückhaltender anwenden als die Videoverhandlung. Hintergrund dürfte sein, dass die meisten Richter gerade bei der Zeugenvernehmung gesteigerten Wert auf die persönliche Wahrnehmung der Person legen. Daran wird sich auch nach der Reform nichts ändern.
Abstimmung und Beratung des Gerichts: Zaghafte Digitalisierung
Nach der Verhandlung und Beweisaufnahme zieht sich das Gericht zur Beratung zurück und stimmt über die Entscheidung ab. Bisher geschah dies stets vor Ort in physischer Präsenz. Die Reform verschafft den Arbeitsgerichten hier mehr Flexibilität – wenn auch begrenzt.
Zunächst bleibt es bei der persönlichen Beratung und Abstimmung vor Ort, soweit ehrenamtliche Richter beteiligt sind und man sich erstmalig zu einem Fall berät. Der Gesetzgeber will so den uneingeschränkten Austausch insbesondere mit den ehrenamtlichen Richter absichern. Anschließende Nachberatungen sollen hingegen per Video möglich sein.
Mitglieder des Gerichts dürfen auch dann zur Beratung und Abstimmung online zugeschaltet werden, wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht (z.B. im einstweiligen Rechtsschutz). Bei Berufsrichtern ist der Gesetzgeber großzügiger: Sofern keine ehrenamtlichen Richter an der Entscheidung beteiligt sind, darf das Gericht generell per Video beraten und abstimmen.
Reform der Zivilprozessordnung reicht deutlich weiter
Die Reform hat das Arbeitsrecht nur in stark abgeschwächter Form erreicht. Der Gesetzgeber gedachte hier in erster Linie, den Status Quo zu bewahren, während er die Videokonferenz in der Zivilprozessordnung (ZPO) progressiver gestaltet hat. Er begründet seine Zurückhaltung im Arbeitsrecht mit der existenziellen Bedeutung vieler Verfahren und der herausragenden Bedeutung der ehrenamtlichen Richter.
In der ZPO darf der Vorsitzende die Videoverhandlung und die digitale Beweisaufnahme nunmehr auch anordnen – und nicht bloß gestatten. Die Beteiligten sind dann also – anders als im Arbeitsrecht – verpflichtet, sich per Video zuzuschalten. Stellt ein Beteiligter einen Antrag auf Durchführung der Videoverhandlung, „soll“ der Vorsitzende dem entsprechen. Abweichen darf er also nur in Ausnahmefällen.c
Der ZPO-Gesetzgeber gewährt auch den Richtern mehr Flexibilität: Wenn erhebliche Gründe vorliegen, dürfen sich die Mitglieder des Gerichts der Sitzung per Video zuschalten. Das gilt allerdings nicht für den Vorsitzenden. Die Reform sieht auch eine Ermächtigung vor, wonach die Länder die vollvirtuelle Videoverhandlung erproben dürfen, bei der das gesamte Gericht außerhalb des Sitzungssaals tagt.
Ausblick
Es ist absehbar, dass die Reform den Einsatz der Videotelefonie vor den Arbeitsgerichten kaum fördern wird. Bei näherer Betrachtung scheint dies auch im Sinne des Gesetzgebers zu liegen; zumindest im Arbeitsrecht scheint er auf die Sicherung des Status Quo bedacht zu sein.
Um die Videoverhandlung vor den Arbeitsgerichten besser zu etablieren, bedarf es eher organisatorischer als legislativer Maßnahmen. Das zeigt die bisherige Erfahrung: Wo die Arbeitsgerichte mit moderner Technik ausgestattet sind, funktioniert die Videoverhandlung heute schon gut. Ähnliche Erfolge sind flächendeckend erreichbar, wenn man die notwendige Technik bereitstellt und eine verlässliche Schulung sicherstellt.
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