Interprofessionelle Sozietäten, Zulassung und Haftung
Recht & Verwaltung12 Juli, 2022

Die BRAO-Reform: Sozietätsfähige Berufe, Zulassung, Haftung (Teil 2/3)

Christian Dahns, Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer und Rechtsanwalt 

4. Neue Möglichkeiten der beruflichen Zusammenarbeit 

§ 59c BRAO-neu sieht eine signifikante Erweiterung der sozietätsfähigen Berufe vor. Neben den bisher schon sozietätsfähigen klassischen Berufen – wie Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Patentanwälten – dürfen sich Rechtsanwälte zukünftig mit allen freien Berufen gemäß § 1 Abs. 2 PartGG zusammenschließen. 


Ausweitung der sozietätsfähigen Berufe 

In der keineswegs abschließenden Aufzählung des § 1 Abs. 2 PartGG sind beispielsweise Ärzte, Architekten und Ingenieure, aber auch Hebammen und Lotsen erwähnt.
 
Nach Auffassung des Gesetzgebers dient die Ausweitung der sozietätsfähigen Berufe auch dem Interesse der Rechtsuchenden. Bereits das BVerfG hat darauf hingewiesen, dass die begrenzte Überschaubarkeit und zunehmende Komplexität moderner Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse zur Folge hätten, dass Rechtsfragen oft nicht ohne professionellen Sachverstand aus anderen Berufen hinreichend beantwortet werden könnten und die Nachfrage nach einer kombinierten interprofessionellen Dienstleistung wachse. 
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber aber betont, dass es zum Schutz einer funktionierenden Rechtspflege geboten sei, keine unbegrenzte Ausweitung auf alle erdenklichen Berufsgruppen vorzunehmen. Ausdrücklich betont wurde, dass die Absicherung der anwaltlichen Grundpflichten ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers sei. 

Zur Erinnerung: Unter den anwaltlichen Grundpflichten – Core Values – versteht man die Verschwiegenheitspflicht, das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen sowie die Pflicht, keine die Unabhängigkeit gefährdenden Verbindungen einzugehen. 


Einhaltung der anwaltlichen Grundpflichten

Die Einhaltung der anwaltlichen Grundpflichten wird zukünftig dadurch abgesichert, dass diese auch für andere Berufsträger in der Berufsausübungsgesellschaft unmittelbar gelten. 

Die Geltung der anwaltlichen Grundpflichten hängt mithin nicht von der privatrechtlichen Gestaltung ab, sondern wird unmittelbar durch das Gesetz angeordnet. 

Zum anderen werden die geschäftsführenden Organe in der Berufsausübungsgesellschaft als Bezugssubjekt der berufsrechtlichen Pflichten unmittelbar der Rechtsanwaltskammer unterstellt.

§ 59b Abs. 2 BRAO-neu stellt ferner klar, dass die Verbindung eines nichtanwaltlichen Berufsträgers je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls insbesondere auch dann mit dem Anwaltsberuf unvereinbar sein kann, wenn in der Person des berufsfremden Gesellschafters Umstände vorliegen, die einer Zulassung dieser Person zur Anwaltschaft nach § 7 BRAO entgegenstehen würden. Zu denken ist hier insbesondere an gesundheitliche Gründe, die es einem Berufsträger nicht nur vorübergehend unmöglich machen, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben. Eine Zusammenarbeit würde ferner aufgrund wirtschaftlich ungeordneter Verhältnisse scheitern, namentlich einer Insolvenz. 

Aus Sicht des anwaltlichen Berufsrechts müssen interprofessionelle Sozietäten jedenfalls immer auf die Beratung und Vertretung von Rechtsangelegenheiten gerichtet sein. Nur dann handelt es sich um eine Berufsausübungsgesellschaft im Sinne der BRAO, die der Ausübung des anwaltlichen Berufs dient.
Die Ausübung weiterer Berufe innerhalb der Sozietät kann daher lediglich danebentreten. Eine Anwaltskanzlei kann beispielsweise einen Architekten in den Gesellschafterkreis aufnehmen, der dann  nicht darauf beschränkt ist, nur gutachterlich im Rahmen der Rechtsberatung tätig zu werden, sondern auch im Rahmen seiner eigenen Befugnisse Architektenleistungen erbringen kann. 
Bei einigen in § 1 Abs. 2 PartGG aufgeführten Berufen kann man mit guten Gründen daran zweifeln, ob die neue Freiheit eine praktische Relevanz für den Anwaltsmarkt entfalten wird. Verfassungsrechtlich kommt es hierauf aber nicht an. Wie die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Münchener Rechtsanwalts gezeigt hat, dem die Rechtanwaltskammer die Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau, einer Ärztin und Apothekerin, zu Unrecht versagt hatte, genügt es, dass möglicherweise nur dieser eine von inzwischen mehr als 167.000 Berufsträgern diesen Wunsch hegt. 

5. Das erweiterte Zulassungsverfahren 

§ 59f BRAO-neu schreibt vor, dass Berufsausübungsgesellschaften zukünftig der Zulassung durch ihre Rechtsanwaltskammer bedürfen (wenn sie nicht bereits ohnehin schon zugelassen sind). Ausdrücklich von einer Zulassung ausgenommen werden Personengesellschaften, bei denen keine Beschränkung der Haftung der natürlichen Personen vorliegt und denen als Gesellschafter oder als Mitglieder der Geschäftsführungs- und Aufsichtsorgane ausschließlich Rechtsanwälte oder sozietätsfähige Berufe angehören. 


01.11.2022 = wichtige Frist!

Im Zusammenhang mit der die Zulassung regelnden Vorschrift des § 59f BRAO-neu ist auch unbedingt § 209a BRAO-neu zu beachten. Berufsausübungsgesellschaften, die am Tag des Inkrafttretens des neuen Gesetzes – mithin am 01.08.2022 – bestanden, nach § 59f Abs. 1 BRAO-neu zulassungsbedürftig sind und nicht bereits als zugelassen gelten, müssen eine Zulassung bis zum 01.11.2022 beantragen. Personengesellschaften, die nicht zur Zulassung verpflichtet sind, können sich ungeachtet dessen freiwillig zulassen lassen. Mit ihrer Zulassung erhält jede Berufsausübungsgesellschaft ein eigenes besonderes elektronisches Anwaltspostfach. Auf Antrag erhält die Berufsausübungsgesellschaft auch für Zweigstellen dieses so genannte Gesellschaftspostfach. Ist bei der Übermittlung eines Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg durch eine zugelassene Berufsausübungsgesellschaft für den Empfänger feststellbar, dass die Nachricht durch einen Anwalt versandt wurde, der zur Vertretung der Berufsausübungsgesellschaft berechtigt ist, kann auf die qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden. 


6. Mehr Freiheiten bei der Gesellschafterstruktur

Eine wesentliche Änderung des bisherigen Rechtszustands besteht darin, dass die bisherigen Mehrheitserfordernisse weggefallen sind. § 59i BRAO-neu, der die Gesellschafter und Kapitalstruktur von Berufsausübungsgesellschaften regelt, sieht hierzu nun nichts mehr vor. 


Wegfall der Mehrheitserfordernisse 

Zur Erinnerung: Der zuvor geltende § 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO sah vor, dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte bei Rechtsanwaltsgesellschaften Rechtsanwälten zustehen muss. Mit der Neuregelung in § 59e BRAO-neu soll mithin vollständig auf das Erfordernis einer anwaltlichen Mehrheit der Stimm- und Gesellschaftsanteile bei Berufsausübungsgesellschaften verzichtet werden, unabhängig davon, welcher Berufsgruppe die nichtanwaltlichen Gesellschafter angehören. 
Der Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit und der Schutz vor berufsrechtswidrigem Handeln soll zukünftig nicht mehr über Mehrheitserfordernisse erzielt werden, sondern durch unmittelbar für die Gesellschafter geltenden Pflichten. Der Berufsausübungsgesellschaft muss jedoch mindestens ein zur Anwaltschaft zugelassener Berufsträger als Gesellschafter angehören, da Berufsausübungsgesellschaften nach der BRAO nur solche Gesellschaften sind, in denen sich Rechtsanwälte zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit anderen Personen zusammenschließen. 

Wichtig zu wissen: Gemäß § 59p BRAO-neu dürfen nur Berufsausübungsgesellschaften, bei denen Rechtsanwälte die Mehrheit der Stimmrechte innehaben, die Bezeichnung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ führen. Obwohl nicht im engeren Sinne sozietätsfähig, können gleichwohl auch zugelassene Berufsausübungsgesellschaften Gesellschafter einer Berufsausübungsgesellschaft werden. Dies sieht § 59i Abs. 1 BRAO-neu ausdrücklich vor. Somit sieht die BRAO nunmehr explizit vor, dass so genannte mehrstöckige Gesellschaften entstehen können. Fremdkapitalbeteiligungen bleiben allerdings auch weiterhin unzulässig. 

7. Mehr Freiheiten für Geschäftsführer

Der Gesetzgeber hat die Mehrheitserfordernisse in Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen gestrichen. Auch gesellschaftsfremde Dritte können mit der Geschäftsführung betraut werden. Geschäftsführer können neben Rechtsanwälten auch Angehörige anderer rechts- und wirtschaftsberatender Berufe sowie Angehörige der freien Berufe sein, soweit keine Unvereinbarkeit mit dem Anwaltsberuf besteht. 


Wegfall der Mehrheitserfordernisse

Dies erfordert, dass auch die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans einen Beruf ausüben, der mit dem Grundsatz der anwaltlichen Unabhängigkeit vereinbar ist. Diese Anforderung ist nach der Gesetzesbegründung erfüllt, wenn ein freier Beruf ausgeübt wird, da bei diesem die persönliche und unabhängige Erbringung der Dienstleistung im Vordergrund steht. Ein Mehrheitserfordernis zugunsten der rechtsberatenden Berufe entfällt jedoch. An seine Stelle treten Regelungen, die die anwaltliche Unabhängigkeit und die Geltung der Berufspflichten absichert. Gemäß § 59j Abs. 1 BRAO-neu dürfen die Mitglieder von Aufsichtsorganen von Berufsausübungsgesellschaften ebenso wie die von Geschäftsführungsorganen nur dem Kreis der sozietätsfähigen Berufe nach § 59c Abs. 1 Satz 1 BRAO-neu entstammen. Für sie gelten auch im Übrigen die gleichen Regelungen zur Bindung an das anwaltliche Berufsrecht wie für Mitglieder des Geschäftsführungsorgans. In § 59j Abs. 1 letzter Satz BRAO-neu wird auch klargestellt, dass bei der Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten Weisungen von Personen, die keine Anwälte sind, gegenüber Rechtsanwälten unzulässig sind. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass dies nicht nur für Gesellschafter gilt, sondern auch für angestellte Anwälte. Mit der beruflichen Unabhängigkeit wäre eine Weisungsbefugnis berufsfremder Geschäftsführer nicht zu vereinbaren. Das Berufsrecht schränkt an dieser Stelle das arbeitsrechtliche Direktionsrecht ein. 

Ausgeschlossen sind alle Weisungen, die die in § 3 Abs. 1 BRAO beschriebene anwaltliche Tätigkeit betreffen. Dies umfasst auch die Frage, ob ein Mandat übernommen und ob dies fortgeführt wird. Die vom Gesetzgeber geforderte Unabhängigkeit geht insoweit über die Unabhängigkeit von Syndikusrechtsanwälten hinaus. Eine anwaltliche Berufsausübungsgesellschaft muss stets in der Lage sein, in Rechtsangelegenheiten zu beraten und zu vertreten. Um diese Selbstverständlichkeit zu erreichen, stellt § 59k BRAO-neu klar, dass Rechtsdienstleistungen lediglich durch solche Gesellschafter sowie Vertreter erbracht werden dürfen, in deren Person die für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen erforderliche Befugnis vorliegt. Daher ist es auch zwingend erforderlich, dass der Geschäftsführung Anwälte in vertretungsberechtigter Zahl angehören. Dies bedeutet so viel, dass die Gesellschaft auch allein durch anwaltliche Geschäftsführer vertreten werden können muss. 

 

Diese Inhalte erwarten Sie im dritten Teil unserer Artikelserie zur BRAO-Reform ...

Im dritten Teil unserer Artikelserie zur BRAO-Reform erklärt Ihnen unser Experte welcher Anpassungs- und Gestaltungsbedarf beim Berufshaftpflichtschutz durch die BRAO Reform entsteht. 
Bildnachweis: REDPIXEL/stock.adobe.com
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