Marco Bijok, Experte für Schulrecht
Das Problem: In letzter Zeit häufen sich Vorfälle, bei denen Schüler:innen im schulischen Kontext den Nationalsozialismus verherrlichen, teils aus Überzeugung, teils als „dummer Jungenstreich“, um Grenzen auszuloten.
Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen Schüler:innen dabei eine Straftat begehen?
Worum geht es
Exemplarisch ging im Mai ein Vorfall an einem Gymnasium im nordrhein-westfälischen Willich durch die Presse: Nachdem der Lehrer den Klassenraum kurzzeitig verlassen hatte, sollen drei Schüler:innen per Videostream im Internet eine alte Aufnahme der „Wochenschau“ aufgerufen und dazu „Happy Birthday, mein Führer“ gesungen haben. Ferner sollen sie begleitend den Hitler-Gruß gezeigt haben. Nach Anzeigeerstattung durch den Schulleiter wird nunmehr gegen die Schüler:innen ermittelt. Einer der Schüler:innen verließ die Schule freiwillig, die anderen beiden wurden vorläufig vom Unterricht ausgeschlossen.
Sogar mehrere ähnliche Vorfälle ereigneten sich an einer Schule im brandenburgischen Burg. Nach Schilderungen von Lehrkräften seien diese täglich mit Rechtsextremismus konfrontiert. Hakenkreuze auf Möbeln, rechtsextreme Musik im Unterricht, der Hitler-Gruß auf dem Schulhof und auf Fotos von Klassenfahrten und entsprechende Parolen auf den Schulfluren gehörten zum Schulalltag.
Als betroffene Lehrkraft sollten Sie daher wissen, welche dieser Handlungen sie unbedingt zur Anzeige bringen sollten.
Das sagt das Recht
Das sog. „Kennzeichenverbot“ ist in § 86a Strafgesetzbuch (StGB) geregelt. Danach ist es strafbar, Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu verbreiten oder öffentlich, in einer Versammlung oder in verbreiteten Inhalten zu verwenden. Zweck der Vorschrift sind insb. der Schutz des politischen Friedens und der freiheitlich demokratischen Grundordnung in der Bundesrepublik, aber auch des Ansehens Deutschlands im Ausland. Mit dem Verbot soll verhindert werden, dass die verbotenen Organisationen oder die von ihnen verfolgten Bestrebungen wiederbelebt werden. Es soll von vorneherein bereits der Eindruck verhindert werden, dass die verfassungsfeindlichen Bestrebungen aufgrund der Präsenz der entsprechenden Symbole in Deutschland geduldet würden.
Zu den verbotenen Organisationen zählen nach §§ 86a, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB insbesondere solche, „die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“. Hierzu sind vor allem die NSDAP, ihre Gliederungen, die ihr angeschlossenen Verbindungen und von ihr abhängige Organisationen zu rechnen, ferner z.B. die Sturmabteilung (SA), die Schutzstaffel (SS), die Hitlerjugend (HJ) und den Bund Deutscher Mädel (BDM). Die Wehrmacht fällt hingegen nicht unter § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB.
Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB sind sichtbare oder hörbare Symbole, deren sich die erfassten Organisationen bedienen oder bedient haben, um propagandistisch auf ihre politischen Ziele hinzuweisen. Nach § 86a Abs. 2 StGB sind dies „namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen“. Diesen in der Norm ausdrücklich genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die den verbotenen „zum Verwechseln ähnlich sehen“, § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB.
Beispiele für Fahnen, Abzeichen und Uniformstücke:
- das Hakenkreuz als Kennzeichen vor allem der NSDAP,
- das „Zivilabzeichen“ der SA (Sturmabteilung),
- die zweifache Siegrune der SS sowie die einfache Siegrune des deutschen Jungvolkes.
- das Totenkopf-Symbol in der von der SS verwendeten Gestaltung
- das Truppenabzeichen der 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“
Als Uniformen zu nennen sind:
- das Braunhemd,
- die braune NSDAP-Parteiuniform
- verschiedene Uniformteile von SS, Waffen-SS und SA, soweit sie als solche erkannt werden.
Sonderfall Modeartikel
In der rechten Szene werden häufig Modeartikel bestimmter Hersteller getragen, um Zugehörigkeit zu demonstrieren. Hier stellt sich die Frage, ob deren Schriftzug bzw. Markenzeichen unter § 86a StGB fällt. Für das Zeichen der Marke „Thor Steinar“ (einer Kombination von Runen) wird dies von den Gerichten inzwischen verneint. Die Marke „Lonsdale“ (wird häufig als Pullover unter einer offenen Jacke getragen, sodass lediglich die Buchstaben „NSDA“ zu erkennen sind) wird ein Verstoß gegen § 86a StGB überwiegend ebenfalls verneint. Dies wird u.a. damit begründet, dass es sich um eine seit langem ohne rechtsextremen Hintergrund eingeführte Modemarke handele. Bei der Marke „Consdaple“ wird demgegenüber von Teilen der Rechtsprechung ein Verstoß bejaht.
Beispiele für Parolen und Grußformen:
- Der Hitlergruß (Ausruf „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“; allein oder verbunden mit dem „deutschen Gruß“, also dem auf Augenhöhe erhobenen gestreckten rechten Arm)
- Je nach Kontext: Das Verwenden der Schlussformel „mit deutschem Gruß“ im Schriftverkehr
- Der „Kühnengruß“
- Das Verwenden der Sentenz „Alles für Deutschland“ (Losung der SA) im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung
- Die Wortkombination „Deutschland erwache“
- „Meine Ehre heißt Treue“ (Wahlspruch der SS), auch in der abgewandelten Form „Unsere Ehre heißt Treue“
- die Parole „Blut und Ehre“ der HJ
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind fremdsprachige Übersetzungen von Original-Sentenzen nicht von § 86a StGB erfasst. Das gilt etwa für „Blood and Honour“ als englischer Version der soeben genannten HJ-Parole. Gleiches gilt auch für szenetypische Zahlenkürzel, etwa „18“ für Adolf Hitler (1. und 8. Buchstabe des Alphabets) oder „88“ für „Heil Hitler“.
Die Aufzählung möglicher Arten von Kennzeichen in § 86 Abs. 2 StGB ist nicht abschließend (was das Wort „namentlich“ verdeutlicht). Als Kennzeichen kommen demnach auch sonstige, nicht ausdrücklich von der Norm genannte optische oder akustische Symbole in Betracht. Daher können auch Lieder Kennzeichen im Sinne von § 86a StGB sein. Dies gilt z.B. für das „Horst-Wessel-Lied“, das als Parteihymne der NSDAP verwendet wurde – und zwar auch dann, wenn ein verfremdeter Text zu dieser Melodie gesungen wird. Ebenfalls verboten sind die Lieder „Es zittern die morschen Knochen“ sowie „Ein junges Volk steht auf“. Es genügt hier jeweils grds. bereits das Abspielen der Melodie.
Fotografien oder Abbildungen können ebenfalls ein Kennzeichen darstellen. Das gilt z.B. für ikonenhafte Porträt-Darstellungen Adolf Hitlers oder ein Brustbild Heinrich Himmlers in Uniform.
Wenn Reden von Adolf Hitler akustisch wiedergegeben werden, kann der Tatbestand ebenfalls verwirklicht sein. Das gilt z.B. auch, wenn die Rede als Klingelton für ein Smartphone verwendet wird.
Die Motivation der jeweils handelnden Person für die Verwendung des Kennzeichens ist im Grundsatz unerheblich. Allerdings liegt ein strafbares Verwenden ausnahmsweise dann nicht vor, wenn die Handlung dem Schutzzweck von § 86a StGB „ersichtlich nicht zuwider“ läuft. Bringt die Verwendung des Kennzeichens offenkundig und eindeutig zum Ausdruck, dass der betroffenen Organisation ihrer Ideologie gerade entgegengetreten werden soll, so ist die nach der Rechtsprechung vom Tatbestand der Vorschrift nicht erfasst. Nicht strafbar ist deshalb etwa ein durchgestrichenes Hakenkreuz als Ausdruck der Gegnerschaft zu rechtsradikalen Inhalten.
Wie verwirklicht man also den Tatbestand des § 86a StGB? Tathandlungen sind das Verbreiten und das öffentliche Verwenden.
Verbreiten bedeutet Inverkehrbringen einer Sache, also sie der Öffentlichkeit zugänglich machen. Erforderlich ist das Überlassen an einen größeren Personenkreis bzw. die Weitergabe an eine andere Person, wenn die Sache anschließend einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird. Das ist auch durch eine „unkörperliche“ Weitergabe im Internet möglich.
Verwendet wird ein Kennzeichen, wenn es derart gebraucht wird, dass es optisch und akustisch wahrnehmbar ist. Wichtig ist folgende Eingrenzung: Das Verwenden muss öffentlich, in einer Versammlung oder in einer vom Täter:in verfassten Schrift erfolgen. Öffentlich wird ein Kennzeichen verwendet, wenn die Art der Verwendung die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche, nähere Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis ermöglicht. Es muss sich um einen nach Anzahl und Individualität unbestimmten und nicht beschränkten Personenkreis handeln, der die Kennzeichen wahrnimmt. Der Personenkreis muss jedenfalls so groß sein, dass er für den/ der Täter:in nicht mehr kontrollierbar ist. Das erklärt auch weshalb etwa das Verwenden verbotener Kennzeichen im Klassenraum den Tatbestand des § 86a StGB jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn das Klassenzimmer von außen nicht ohne Weiteres einsehbar ist. Denn dann bleibt die Wahrnehmung des Kennzeichens auf bestimmte einzelne Personen bzw. auf einen engeren, untereinander verbundenen Personenkreis – die Mitschüler:innen sowie die Lehrkraft – beschränkt, vgl. hierzu das Urteil des OLG Brandenburg (v. 25.03.2020, 53 Ss 126/19). Nach dieser Entscheidung handelt es sich bei einer zum Unterricht oder Leistungstest zusammengekommenen Schulklasse auch nicht um eine „Versammlung“ im Sinne von § 86a StGB, da es an einer gemeinsamen Zweckausrichtung und einer „gemeinsamen Meinungsbildung“ fehlt.
Bei der Verwendung eines verbotenen Kennzeichens auf dem Schulhof dürfte nach diesen Grundsätzen die erforderliche „Öffentlichkeit“ demgegenüber regelmäßig zu bejahen sein. Denn hier ist der Personenkreis, der das Kennzeichen wahrnimmt, für den nicht mehr kontrollierbar. Es können jederzeit weitere Personen den Schulhof betreten. Zudem ist dieser häufig – je nach Zuschnitt – von außen für unbestimmt viele Dritte einsehbar.
Straflosigkeit bei Sozialadäquanz
Nach der sog. Sozialadäquanz-Klausel (§ 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB) greift der Tatbestand aus nachvollziehbaren Gründen nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Wenn Sie also Ihren Schülern im Unterricht Kennzeichen erläutern, die nach obigen Maßstäben an sich verboten sind, haben Sie entsprechend keinerlei Strafverfolgung zu befürchten.Die Sozialadäquanz-Klausel gilt wiederum nicht, wenn die jeweilige Handlung nur unter dem „Deckmantel“ der Kunst oder der Lehre vorgenommen wird. Gleiches gilt, wenn die Berichterstattung der Öffentlichkeit nur einen Vorwand bildet, um in Wahrheit die mit dem jeweiligen Inhalt angestrebte propagandistische Wirkung zu erzielen.
Welche Strafen drohen?
Straftaten nach § 86a StGB können mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Bei geringer Schuld kann das Gericht von einer Bestrafung absehen (§ 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 5 StGB).
Mein Rat
Präventive Aufklärung ist in jedem Falle – unabhängig von der konkreten Lage der Schule – zu empfehlen. Es sollten regelmäßig Projekttage organisiert werden, die sich mit der historischen und gegenwärtigen Dimension des Themas auseinandersetzen. Dabei sollte auch auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen eingegangen werden. Die abschreckende Wirkung ist hierbei nicht zu unterschätzen, zumal die Erfahrung zeigt, dass die einschlägigen Straftatbestände den Schüler:innen häufig noch nicht einmal im Ansatz geläufig sind. Aber natürlich gilt auch hier: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“