Rechtsanwalt und Fachanwalt für Straf- und Steuerrecht Dr. Sebastian Wollschläger, Köln
Die Neuregelung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen im Kontext des Strafverfahrens
*Ein Auszug aus Wollschläger, StV 2023, 196
Im Zuge der BRAO-Reform des Jahres 20221 wurden auch die Regelungen neu gefasst, die dem Rechtsanwalt die Vertretung widerstreitender Interessen verbieten. Anhand der Vorschriften der § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA werden die Voraussetzungen einer Interessenkollision im Strafverfahren dargestellt und mögliche Konsequenzen – auch im Kontext von § 146 StPO und § 356 StGB – erläutert.
Inhalt und Auswirkungen der Neufassung von § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 BORA
Im Zuge der am 01.08.2022 in Kraft getretenen BRAO-Reform hat der Gesetzgeber sich unter anderem mit der Thematik der Interessenkollision befasst und Anpassungen an § 43a Abs. 4 BRAO vorgenommen.I. Keine Veränderungen bei der Bestimmung der Mandanteninteressen
Die Möglichkeit, sich zu der Frage eindeutig zu positionieren, ob die Mandanteninteressen allein subjektiv oder auch nach objektiven Kriterien zu bestimmen sind, hat der Gesetzgeber nicht wahrgenommen. Auch § 43a BRAO Abs. 4 S. 1 BRAO n.F. verbietet dem Rechtsanwalt lediglich pauschal, in derselben Rechtssache widerstreitende Interessen zu vertreten, ohne konkrete Vorgaben dazu zu machen, anhand welcher Kriterien diese Interessen zu bestimmen sind. Lediglich der zuvor schon allgemein anerkannte Umstand, dass sich das Tätigkeitsverbot nur auf dieselbe Rechtssache erstreckt, wurde zusätzlich in den Gesetzestext aufgenommen.Zwar nimmt zumindest der Regierungsentwurf zur Gesetzesänderung Bezug auf die oben erwähnte Rechtsprechung des BVerfG und betont, dass die konkrete Einschätzung der Mandanten besondere Berücksichtigung finden soll.2 Damit ist aber weiterhin nicht ausgeschlossen, wie bisher je nach Einzelfall den erklärten Willen der Mandanten letztlich nicht als ausschlaggebend zu erachten, sondern stattdessen auf die objektiven Gegebenheiten abzustellen.
Dies gilt umso mehr, als § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO n.F. weiterhin keine Möglichkeit vorsieht, dass der Mandant den vorbefassten Rechtsanwalt von seinem Tätigkeitsverbot durch sein Einverständnis befreit.3 Hätte der Gesetzgeber wirklich den subjektiven Willen für maßgeblich gehalten, so hätte er in letzter Konsequenz auch diese Möglichkeit eröffnen müssen. Somit bleibt es leider dabei, dass der Rechtsanwalt in diesem Zusammenhang weiterhin Haftungsrisiken und sogar der erhöhten Gefahr einer strafrechtlichen Verurteilung ausgesetzt bleibt.
II. Berufsrechtliche Vorgaben
Jedenfalls in Bezug auf die berufsrechtlichen Regeln der Mandatsbearbeitung sorgen die Neuerungen im Gesetz aber für größere Klarheit. Dies gilt insbesondere für zwei Themen:
- Zum einen, für wen ein Tätigkeitsverbot gelten soll;
- zum anderen, welche Vorgaben bei der Bearbeitung widerstreitender Mandate durch verschiedene Rechtsanwälte derselben Sozietät zu beachten sind.
1. Umfang und Erstreckung des Tätigkeitsverbots
a) Beginn und Art und Weise der Vorbefassung
Gem. § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO n.F. darf ein Rechtsanwalt ein Mandat nicht übernehmen, wenn er »einen anderen Mandanten« in derselben Rechtssache bereits im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat.
Diese Formulierung ähnelt § 3 Abs. 1 S. 1 BORA a.F., beinhaltet aber zwei wesentliche Unterschiede.
Durch die Bezeichnung des Dienstleistungsempfängers als »Mandant« ist die zuvor umstrittene Frage geklärt, ab welchem Zeitpunkt von einer Vorbefassung des Rechtsanwalts auszugehen ist, die ihm die spätere Übernahme eines widerstreitenden Mandats untersagt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll eine der eigentlichen Mandatsübernahme vorgelagerte Vorbereitung der Vertretung – etwa im Rahmen eines »Beauty Contest« – noch nicht ausreichen. Vorausgesetzt wird vielmehr ein bereits abgeschlossener Mandatsvertrag.4 Außerdem besteht ein Tätigkeitsverbot nur dann, wenn der Rechtsanwalt im kollidierenden Mandat im Rahmen einer anwaltlichen Tätigkeit aktiv geworden ist. Die in § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BORA a.F. noch vorgesehen Möglichkeit eines Tätigkeitsverbots aufgrund sonstiger Beschäftigung wurde in § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO n.F. nicht aufgenommen und reicht folglich für sich genommen nicht aus.5 Umgekehrt besteht jedoch nach § 43a Abs. 6 BRAO n.F. im Falle einer anwaltlichen Vorbefassung mit den Mandanteninteressen das Vertretungsverbot nicht nur im Hinblick auf ein anwaltliches, sondern auch bezogen auf ein sonstiges Tätigwerden des Rechtsanwalts außerhalb des Anwaltsberufs.
b) Erstreckung auf andere Sozietätsmitglieder
Deutlich ausführlicher geregelt ist nunmehr die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf andere mit dem vorbefassten Anwalt im Rahmen der Berufsausübung verbundene Rechtsanwälte.
Die Erstreckung ergab sich zuvor nicht aus § 43a Abs. 4 BRAO a.F., sondern allein aus § 3 Abs. 2 S. 1 BORA a.F. Nunmehr ist das Tätigkeitsverbot in Fällen einer Vorbefassung durch Dritte »als wesentliche Ausgestaltung der Berufspflicht nicht durch richterliche Rechtsfortbildung oder durch Satzung, sondern im Gesetz selbst«6 geregelt. Die schon immer als verfassungswidrig kritisierte Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf Bürogemeinschaften durch § 3 Abs. 2 S. 1 BORA a.F. ist nicht in § 43a Abs. 4 BRAO n.F. aufgenommen worden. Auch der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass es zwischen dem Mandanten und den sonstigen Rechtsanwälten einer Bürogemeinschaft an einem schützenswerten Vertrauensverhältnis fehlt, welches deren Einbeziehung in das Tätigkeitsverbot rechtfertigen könnte.7
In Bezug auf die Mitglieder einer Berufsausübungsgesellschaft werden die Voraussetzungen eines Tätigkeitsverbot in § 43a Abs. 4 S. 2 und 3 BRAO n.F. näher geregelt. Dort heißt es nun:
»Das Tätigkeitsverbot gilt auch für Rechtsanwälte, die ihren Beruf gemeinschaftlich mit einem Rechtsanwalt ausüben, der nach Satz 1 nicht tätig werden darf. Ein Tätigkeitsverbot nach Satz 2 bleibt bestehen, wenn der nach Satz 1 ausgeschlossene Rechtsanwalt die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet.«
Sobald in einer Berufsausübungsgemeinschaft auch nur ein Rechtsanwalt ein Mandat bearbeitet, erstreckt sich das für ihn geltende Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen in derselben Rechtssache nach § 43a Abs. 4 S. 2 BRAO n.F. also grundsätzlich automatisch auf alle anderen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen seiner Sozietät. Dieses Verbot gilt auch dann, wenn er den Mandanten im Rahmen einer früheren Beschäftigung vertreten hat.8 Die Kollegen der Sozietät bleiben gemäß § 43a Abs. 4 S. 3 BRAO weiterhin »infiziert«, wenn die gemeinschaftliche Berufsausübung beendet wird. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut kann es dabei nicht darauf ankommen, ob die Zusammenarbeit durch den Rechtsanwalt selbst oder durch die Sozietät beendet wird. In beiden Fällen bleiben die ehemaligen Kollegen von der Mandatsübernahme ausgeschlossen.9
Tritt indes nach dem Ausscheiden des vorbefassten Rechtsanwalts ein neuer Rechtsanwalt in die Kanzlei ein, so besteht für ihn nach dem Wortlaut von § 43a Abs. 4 S. 2, S. 3 BRAO n.F. kein Vertretungsverbot. Denn er selbst hat seinen Beruf zu keinem Zeitpunkt gemeinschaftlich mit dem vorbefassten Rechtsanwalt ausgeübt. Für die verbleibenden Kollegen selbst besteht zwar aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit dem früheren Kollegen ein Tätigkeitsverbot. Mangels eigener Mandatsbearbeitung geht von ihnen aber keine eigene »Infektionswirkung« bezüglich neu eintretender Kanzleimitglieder aus. Da sie die widerstreitenden Interessen nicht selbst vertreten haben, resultiert ihr Vertretungsverbot nicht aus § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO n.F., sondern allein aus § 43a Abs. 4 S. 2 BRAO n.F. Der neu eintretende Anwalt dürfte ein Mandat mit widerstreitenden Interessen in derselben Rechtssache also bearbeiten.
Nicht eindeutig geklärt erscheint die Frage, ob ein selbst nicht vorbefasster, aber gem. § 43a Abs. 4 S. 2 BRAO n.F. von der Vertretung ausgeschlossener Anwalt auch noch nach einem Sozietätswechsel einem Vertretungsverbot unterliegt.
Römermann geht aufgrund der Bezugnahme von Satz 3 auf Satz 1 davon aus, dass nur bei einer persönlichen Befassung der ausscheidenden Person das Tätigkeitsverbot auch bei einem Sozietätswechsel »gleichsam mitgeht«.10 Nach Offermann-Burckart bleibt der wechselnde Anwalt auch ohne Vorbefassung in der neuen Kanzlei von der Mandatsbearbeitung ausgeschlossen.11
Der zuletzt genannten Ansicht dürfte eher zu folgen sein. Entscheidendes Kriterium für die Erstreckung des Tätigkeitsverbotes auf Dritte scheint nach dem Willen des Gesetzgebers eine – auch nur vorübergehende – Zusammenarbeit mit dem vorbefassten Anwalt zu sein. Es macht jedoch keinen Unterschied, ob Kollege A, der im Rahmen einer früheren Beschäftigung ein Mandat bearbeitet hat, in die Kanzlei B eintritt, dort den Kollegen C »infiziert« und die Kanzlei anschließend wieder verlässt (wonach unstreitig weiterhin ein Vertretungsverbot für C bestehen würde), oder ob der Kollege C in eine andere Sozietät wechselt. In beiden Fällen genügt auch ohne persönliche Befassung des C mit dem Mandat allein die vorübergehende Zusammenarbeit mit dem Kollegen A, um den C von der Vertretung widerstreitender Interessen grundsätzlich auszuschließen.
c) Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf Referendare und wissenschaftliche Mitarbeiter
§ 43a Abs. 5 S. 1 BRAO n.F. stellt klar, dass auch Referendare im Rahmen ihrer Ausbildung bei einem Rechtsanwalt unter den Voraussetzungen des § 43a Abs. 4 S. 1 BRAO n.F. einem Vertretungsverbot unterliegen können. Jedoch bleibt es bei einem Eintritt in eine neue Kanzlei bei diesem personenbezogenen Tätigkeitsverbot; eine Erstreckung auf die restlichen Mitglieder der den Referendar aufnehmenden Sozietät wird von § 43a Abs. 5 S. 2 BRAO n.F. ausdrücklich ausgeschlossen.
Einerseits werden Referendare nicht als »Teil« der Berufsausübungsgemeinschaft verstanden, da ihre Beschäftigung von vornherein zeitlich begrenzt ist. Andererseits soll ihnen, die in ihrer Anwaltsstation gegebenenfalls an einer Vielzahl von Mandaten mitarbeiten, nicht der Berufseinstieg dadurch erschwert werden, dass die anstellende Sozietät Tätigkeitsverbote für ihre Mitglieder in all diesen Verfahren befürchten muss.12 Wissenschaftliche Mitarbeiter wurden dagegen bewusst nicht in den Anwendungsbereich von § 43a Abs. 4 BRAO einbezogen.13 Sie unterliegen somit keinem Tätigkeitsverbot.
d) Einverständnis der Mandanten
Ein für einen Rechtsanwalt geltendes Tätigkeitsverbot erstreckt sich nicht in jedem Fall auf andere Sozietätsmitglieder. Nach § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO n.F. gilt es nicht, »wenn die betroffenen Mandanten der Tätigkeit des Rechtsanwalts nach umfassender Information in Textform zugestimmt haben und geeignete Vorkehrungen die Einhaltung der Verschwiegenheit des Rechtsanwalts sicherstellen«. Diese Befreiungsmöglichkeit besteht allein im Hinblick auf ein Vertretungsverbot nach § 43 Abs. 4 S. 2, S. 3 BRAO n.F., also bezüglich der Kollegen des vorbefassten Rechtsanwalts. Ein aufgrund persönlicher Vorbefassung gemäß § 43 Abs. 4 S. 1 BRAO n.F. ausgeschlossener Rechtsanwalt kann hingegen auch nach neuer Rechtslage nicht durch eine Einverständniserklärung des Mandanten von einem Interessenkonflikt befreit werden.
Was unter den »geeigneten Vorkehrungen« zu verstehen ist, welche die »Einhaltung der Verschwiegenheit« sicherstellen sollen, wird durch die mit Wirkung zum 01.08.2022 beschlossene Änderung von § 3 BORA konkretisiert:
§ 3 Abs. 4 BORA n.F. schreibt vor, dass die Sozietät über die nach § 2 BORA generell vorgeschriebene Verschwiegenheitspflicht verschiedene Vorkehrungen treffen muss, insbesondere:
- die inhaltliche Bearbeitung der widerstreitendenden Mandate ausschließlich durch verschiedene Personen,
- der Ausschluss des wechselseitigen Zugriffs auf Papierakten sowie auf elektronische Daten einschließlich des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs, und
- das Verbot an die mandatsbearbeitenden Personen, wechselseitig über das Mandat zu kommunizieren.
Die Einhaltung dieser Vorkehrungen ist zum jeweiligen Mandat zu dokumentieren. Damit wurden in § 3 Abs. 4 BORA n.F. nun erstmals konkrete Vorgaben dazu gemacht, welche Vorkehrungen eine Sozietät im Falle einer Einverständniserklärung der Mandanten mit der separaten Bearbeitung widerstreitender Mandate durch verschiedene Rechtsanwälte treffen muss. Entsprechende Vorgaben waren bislang nur in der von der Satzungsversammlung der BRAK veröffentlichten Begründung zu § 3 BORA a.F. niedergelegt. Danach war die getrennte Mandatsbearbeitung in der Regel zulässig, wenn widerstreitende Beratungsmandate von räumlich verschiedenen Büros derselben Berufsausübungsgemeinschaft geführt und überzeugende faktische Vorkehrungen zur Wahrung der Vertraulichkeit (»chinese walls«) getroffen wurden, sei es aus freien Stücken, sei es, weil die Mandanten davon ihre Zustimmungserklärungen abhängig gemacht hatten.14 War andererseits »innerhalb einer Berufsausübungsgemeinschaft am gleichen Ort die Gefahr groß, dass der Berater oder Vertreter des Gegners gewollt oder ungewollt geheimhaltungsbedürftige Informationen erlangt, etwa beim abendlichen Blick in die Faxeingänge, könnte dies allein schon trotz vorliegender Einverständniserklärungen der Beratung oder Vertretung entgegenstehen«.15 Anknüpfungspunkt hierfür war das in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA a.F. enthaltene Tatbestandsmerkmal der »Belange der Rechtspflege«, die der separaten Bearbeitung nach damaliger Gesetzeslage nicht entgegenstehen durften.
Dass dieses inhaltlich schon immer unklare Merkmal16 bei der Anpassung von § 3 BORA nicht übernommen, sondern stattdessen durch konkrete Vorgaben für die Mandatsbearbeitung durch die verschiedenen Rechtsanwälte und sonstigen Mitarbeiter der Sozietät ersetzt wurde, ist zu begrüßen. Sofern die Vorgaben eingehalten werden, dürften auch hinsichtlich der Bearbeitung der Mandate innerhalb derselben Räumlichkeiten keine Bedenken mehr bestehen, da weder die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 43a Abs. 4 S. 4 BRAO17, noch der Vorschlag der Satzungsversammlung zur Neuformulierung von § 3 BORA18 zwischen Sozietäten mit einem oder mit mehreren Standorten unterscheiden.
Fazit: Bedeutende berufsrechtliche Änderungen und Klarstellungen für die tägliche Praxis der Strafverteidigung
Die Neuregelungen des Verbots der Interessenkollision in § 43a Abs. 4 BRAO sowie § 3 BORA haben einige sinnvolle Neuerungen gebracht. Insbesondere ist zu begrüßen, dass die Erstreckung des Verbots auf andere Mitglieder einer Berufsausübungsgemeinschaft nun gesetzlich geregelt ist und § 3 Abs. 4 BORA konkrete Richtlinien für die getrennte Bearbeitung widerstreitender Mandate durch verschiedene Anwälte der Sozietät vorgibt.
Im Bereich der Strafverteidigung fehlt allerdings auch ein wesentlicher Impuls. Bedauerlicherweise hat es der Gesetzgeber unterlassen, zu dem bereits seit Jahren virulenten Streit, um die Art und Weise der Bestimmung der Mandanteninteressen Stellung zu beziehen und sich klar zur subjektiven Lösung zu bekennen. So bleibt es einem Rechtsanwalt weiterhin verwehrt, sich durch eine ausdrückliche Einverständniserklärung der Mandanten zu seinem Vorgehen vom Risiko eines nach § 356 StGB strafbaren Parteiverrats zu befreien. Auch in Bezug auf die Mehrfachverteidigung bleibt grundsätzlich alles beim Alten. Eine gleichzeitige Mehrfachverteidigung mehrerer derselben Tat Beschuldigter bzw. mehrerer verschiedener Taten Beschuldigter innerhalb desselben Verfahrens ist und bleibt einem Strafverteidiger durch § 146 StPO unabhängig von der jeweiligen Interessenlage untersagt. Eine sukzessive Mehrfachverteidigung durch denselben Anwalt bleibt dagegen weiter so lange zulässig, wie kein Konflikt der Interessen der verschiedenen Beschuldigten anzunehmen ist – was weiterhin anhand einer nicht immer vorhersehbaren Mischung aus subjektiven und objektiven Faktoren zu bestimmen sein wird.
Allerdings werden für Sozietäten im Bereich der – von § 146 StPO nicht untersagten – gleichzeitigen Mehrfachverteidigung durch unterschiedliche Rechtsanwälte die geänderten berufsrechtlichen Vorgaben zu beachten sein. Sofern ein Interessenkonflikt zwischen verschiedenen Beschuldigten möglich ist, ist es von großer Wichtigkeit, die nun in § 3 Abs. 4 BORA n.F. ausdrücklich formulierten Vorgaben zur Wahrung der anwaltlichen Verschwiegenheit einzuhalten und dies zu dokumentieren. Im Falle von Sozietätswechseln muss außerdem stets sorgfältig geprüft werden, ob die Aufnahme eines Rechtsanwalts ein Tätigkeitsverbot für die restlichen Sozietätsmitglieder nach sich ziehen kann. Zur Verhinderung von Verstößen gegen diese berufsrechtlichen Regeln hat die Sozietät gemäß § 59e Abs. 2 S. 1 BRAO n.F. geeignete Maßnahmen zu etablieren, mit denen berufsrechtlichen Verstößen entgegengewirkt werden kann – andernfalls drohen nach der neuen Vorschrift des § 113 Abs. 3 BRAO n.F. auch Sanktionen gegen die Sozietät selbst.19
Fußnoten:
1 BGBl. I 2021, S. 2363.
2 BT-Drs. 19/27670, S. 162.
3 Offermann-Burckart AnwBl. 2022, 90 (93).
4 Diller AnwBl. 2021, 470.
5 Offermann-Burckart AnwBl. 2022, 90 (91).
6 BT-Drs. 19/27670, S. 161 f.
7 BT-Drs. 19/27670, S. 161.
8 BT-Drs. 19/27670, S. 164.
9 Offermann-Burckart AnwBl. 2022, 90 (93).
10 Römermann NJW 2022, 371 (373).
11 Offermann-Burckart AnwBl. 2022, 90 (93).
12 BT-Drs. 19/27670, S. 166.
13 BT-Drs. 19/27670, S. 165; vgl. auch Diller AnwBl. 2021, 470 (472).
14 Satzungsversammlung BRAK-Mitt. 2006, 212 (214).
15 BRAK-Mitt. 2006, 2159.
16 Henssler/Prütting-BRAO (Fn. 2), § 3 BORA Rn. 21.
17 Vgl. BT-Drs. 19/27670, S. 164.
18 Vorschlag des 2. Ausschuss der Satzungsversammlung vom 18.11.2021, https://www.brak.de/die-brak/satzungsversammlung/amtszeit-der-7-satzungsversammlung/#c9745 (URL zuletzt abgerufen am 05.12.2022).
19 Vgl. Römermann NJW 2022, 371 (373).