Verjaehrung von Schadensersatzanspruechen
Recht & Verwaltung12 Juli, 2022

Verjährung von Schadensersatzansprüchen in einem sog. Dieselfall

Aus der Redaktion von Wolters Kluwer Online
Der Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung musste nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gemäß § § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ermitteln, ob sein Fahrzeug von dem Skandal betroffen war.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

Im März 2015 erwarb die Klägerin in einem Autohaus einen gebrauchten Audi A6 Avant TDI S-Line 18 zum Kaufpreis von 26.900 Euro. Das Fahrzeug verfügt über einen von der Volkswagen AG entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189. In ihrem ursprünglichen Zustand erkennt die im Zusammenhang mit dem Motor verbaute Software, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet, und schaltet zwischen zwei Betriebsmodi um.
Beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemission maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) schaltet sie in den Stickoxid-optimierten Modus 1 um, in dem eine relativ hohe Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet. Im normalen Fahrbetrieb fährt das Fahrzeug hingegen im Modus 0, bei dem die Abgasrückführung geringer ist, was zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.

Im September 2015 wurde der Einsatz dieser Umschaltlogik in den Dieselmotoren des Typs EA 189 öffentlich bekannt. Der sogenannte "Diesel-Abgasskandal" war ab diesem Zeitpunkt täglich prominenter Gegenstand der Berichterstattung in den Medien. 

Die Beklagte veröffentlichte im Oktober 2015 eine Pressemitteilung, in der es unter anderem heißt: "Jeder Kunde in Deutschland kann sich einfach und schnell darüber informieren, ob sein Audi infolge von Unregelmäßigkeiten mit der verwendeten Software betroffen ist. Dazu gibt er die Fahrgestellnummer seines Autos auf www.audi.de ein".

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Feststellung des Annahmeverzugs begehrt.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte hinsichtlich der Hauptforderung zur Zahlung von 16.021,46 Euro verurteilt. 

Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Verjährungseinrede der Beklagten durchgreifen lassen und die Klage insgesamt abgewiesen. 

Mit der Revision macht die Klägerin weiterhin ihr ursprüngliches Klagebegehren geltend.


Begründung

Mit dem vorliegenden Urteil vom 14.03.2022 - III ZR 226/20 - hat der BGH erneut zur Verjährung der Schadensersatzansprüche eines Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller in einem sog. Dieselfall Stellung genommen.

Der BGH hat entschieden, dass den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüchen die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht entgegensteht.

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Rechercheplattform

Wolters Kluwer Online

Zugriff auf über eine Million täglich aktualisierte Entscheidungen und die umfassende Datenbank mit dem gesamten verfügbaren EU- und Bundesrecht von Wolters Kluwer.
Eine solche Kenntnis liege vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich sei.

Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei gegeben, wenn dem Gläubiger die erforderliche Kenntnis deshalb fehle, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt hätten und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt habe. Dem Gläubiger müsse daher persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von "Verschulden gegen sich selbst", vorgeworfen werden.

Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und damit für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers trage hierbei der Schuldner.

Im konkreten Fall sei die Klägerin nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten gewesen zu ermitteln, ob ihr Fahrzeug von dem Dieselskandal betroffen gewesen sei.

Der Zeitraum seit Bekanntwerden des Dieselskandals und der Freischaltung der von der Beklagten gestellten Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende sei kurz gewesen. Zudem seien die Beklagte und ihr Mutterkonzern seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten und hätten auch weitere Erklärungen angekündigt. Daher sei ein Zuwarten der Klägerin bis zum Ende des Jahres 2015 nicht unverständlich.


Praktische Bedeutung

Der III. Zivilsenat des BGH schließt sich in dem vorliegenden Urteil den vom VII. Zivilsenat in einem vergleichbaren Fall angestellten Erwägungen an (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2022 - VII ZR 396/21).

Aus Sicht des III. Zivilsenats trifft den Geschädigten hinsichtlich des Verjährungsbeginns weder eine Informationspflicht, noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.

Das Unterlassen einer Nachfrage ist nach Ansicht des BGH nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen.

Bildnachweis: Blackosaka/stock.adobe.com

Back To Top