Redaktion Wolters Kluwer Online
Nach dem für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges" hat der Rechtsanwalt bei einer unklaren Rechtslage dem Mandanten den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung seines Zugewinnausgleichsanspruchs jedenfalls sicher verhindert.
Sachverhalt: Klage eines Mandanten wegen einer angeblichen Anwaltshaftung
Der Kläger nimmt die Beklagten als seine vormaligen anwaltlichen Vertreter in Höhe von insgesamt 86.111,45 Euro auf Schadensersatz in Anspruch, weil die bei der Beklagten zu 1 tätige Beklagte zu 2 nicht verhindert habe, dass der ihm gegen seine frühere Ehefrau zustehende Zugewinnausgleichsanspruch verjährt ist.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte zu 2 habe erkennen müssen, dass das Ruhen des Verfahrens die Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zur Folge haben würde. Ihm wäre ein Zugewinnausgleichsanspruch in Höhe von 65.661,43 Euro zuerkannt worden. Kosten in Höhe von 20.450,02 Euro wären ihm dann nicht entstanden.
Das LG hat die Beklagten zur Zahlung von 47.071 Euro und 9.867,81 Euro, jeweils nebst Zinsen, sowie zur Freistellung von Kosten in Höhe von 1.954,46 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG das Urteil des LG abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die vollständige Verurteilung der Beklagten.
Begründung: Möglichkeit einer Anwaltshaftung im konkreten Fall
Mit dem vorliegenden Urteil vom 19.09.2024 - IX ZR 130/23 - hat der BGH zur Anwaltshaftung bei einer Verjährung eines Zugewinnausgleichsanspruchs Stellung genommen. Nach Auffassung des BGH liegt hier eine Verletzung der beklagten Rechtsanwaltssozietät und der beklagten angestellten Rechtsanwältin aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsvertrags obliegenden Pflichten im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB vor. Sie haben nicht den sichersten Weg gewählt, die Rechte des Klägers zu geltend zu machen, und den Kläger unzureichend beraten.
Verpflichtungen aus Rechtsanwaltsvertrag
Nach Worten des BGH ist hier ein Rechtsanwaltsvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen. Danach waren die Beklagten beauftragt, den Zugewinnausgleichsanspruch des Klägers geltend zu machen. Sie waren auch verpflichtet, vermeidbare Nachteile für den Kläger als ihren Mandanten zu verhindern. Sie hatten deshalb dessen Anspruch vor der Verjährung zu sichern. Diese Pflicht hat die Beklagte zu 2 schuldhaft verletzt.
Die Beklagten haben den Kläger weder über die mit einem Ruhen des Verfahrens verbundenen Risiken für ein Ende der Hemmung der Verjährung aufgeklärt noch Maßnahmen aufgezeigt oder ergriffen, um erhebliche Unsicherheiten über die drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs zu vermeiden.
Die Beklagte zu 2 hat hier keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um eine drohende Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers rechtssicher auszuschließen. Dadurch haben die Beklagten die ihnen aus dem geschlossenen Anwaltsvertrag dem Kläger gegenüber obliegende Pflicht verletzt, vermeidbare Nachteile für den Kläger zu verhindern.
Der BGH kritisiert, dass die Beklagte zu 2 ihre rechtliche Beurteilung, wann die Hemmung der Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs endete, nicht an der zum Zeitpunkt der Beratung maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgerichtet hat.
Ende der Verjährungshemmung nicht hinreichend beachtet
Der Beklagten zu 2 musste nach Auffassung des BGH bekannt sein, dass nach § 204 Abs. 2 S. 1 BGB die Hemmung der Verjährung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens endete.
Sie musste hier auch wissen, dass gemäß § 204 Abs. 2 S. 2 BGB die letzte Verfahrenshandlung an die Stelle der Beendigung des Verfahrens tritt, wenn das Verfahren in Stillstand gerät, weil die Parteien es nicht betreiben.
Sie musste auch beachten, dass die Rechtsprechung bereits im Jahr 2007 das Ruhen des Verfahrens als Stillstand im Sinne des § 204 Abs. 2 S. 2 BGB a.F. einordnete.
Gebot des sichersten Weges
Nach Ansicht des BGH steht hier der Annahme einer Pflichtverletzung der Beklagten auch nicht entgegen, dass möglicherweise ein triftiger Grund im Sinne des § 204 Abs. 2 BGB für das Untätigbleiben der Beklagten zu 2 bestand. Denn nach dem gerade für Verjährungsfragen maßgeblichen „Gebot des sichersten Weges" hatte die Beklagte zu 2 angesichts der im Streitfall unklaren Rechtslage bei der Beurteilung eines triftigen Grundes im Hinblick auf eine etwaige ungünstigere Beurteilung der Rechtslage durch das mit der Sache befasste Gericht den Weg aufzuzeigen, der eine Verjährung des Zugewinnausgleichsanspruchs des Klägers jedenfalls sicher verhindert hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2004 - IX ZR 137/03).
Praktische Bedeutung des Urteils vom 19.09.2024 – IX ZR 130/23
Nach Auffassung des BGH ist hier nicht ersichtlich, dass wechselseitige Zugewinnausgleichsklagen als Fall eines triftigen Grundes in der Rechtsprechung dafür anerkannt waren, das Verfahren nicht zu betreiben. Zudem muss ein Rechtsanwalt gerade in zweifelhaften Fällen in Rechnung stellen, dass ein Gericht eine andere rechtliche Einschätzung vornehmen kann.
Auch wenn ein Rechtsanwalt nicht dazu verpflichtet ist, neben der Führung von Verhandlungen gemäß § 203 andere verjährungshemmende Maßnahme zu ergreifen, so ist er stets verpflichtet, Unklarheiten innerhalb des Hemmungstatbestandes nicht entstehen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 01.07.2010 - IX ZR 49/07). Im konkreten Fall hätte daher die beklagte Rechtsanwältin den Mandanten darauf hinweisen müssen, dass ein nicht zu vernachlässigendes Risiko bestand, dass das Gericht die Rechtslage anders beurteilen würde.
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