Rechtsprechungsübersicht: Zivil-, Arbeits- und Strafrecht für das 1. Quartal 2022
Die ersten drei Monate des Jahres sind vorbei. Drei Monate, in denen die Gerichte nach der Corona-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr wieder auf Hochtouren liefen – und gleich eine ganze Reihe bedeutender Urteile fällten, die für die tägliche anwaltliche Praxis enorm wichtig sind. Dabei geht es unter anderem um die Mietzahlungspflicht bei einer Geschäftsschließung wegen Corona, die Chancen, Masken-Gegner in Gewahrsam zu nehmen oder um das, was in unserem Land täglich vorkommt: Streit im Hausflur.
Mit diesem Überblick bringen Sie sich in nur 15 Minuten auf den neuesten Stand im Zivil-, Straf- und Arbeitsrecht.
Von Michael G. Peters, RechtsanwaltUrteil Nr. 1: Wie sich eine Corona-Betriebsschließung auf die Gewerbemiete auswirkt
Die Corona-Krise beschäftigt die Gerichte im ganzen Land. Dabei geht es in erster Linie um die Bewältigung der wirtschaftlichen Schäden – wie zum Beispiel infolge einer behördlich verfügten Betriebsschließung, zu denen es Ende 2020 im ganzen Land kam. Ein Oldenburger Unternehmen wollte sich dabei ein neues Gesetz zunutze machen und die Miete kürzen. Doch daraus wurde nichts.
Sachverhalt
Kein Gewinn, keine Miete. Wegen der Corona-Pandemie haben viele Betriebe in den vergangenen zwei Jahren erhebliche Verluste erlitten. Darauf hat der Gesetzgeber mit einer neuen Vorschrift reagiert, wonach ein „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ vermutet wird, wenn die gemieteten Gewerbeflächen wegen des Lockdowns nicht oder nur noch erheblich eingeschränkt genutzt werden können (Art. 240 § 7 EGBGB).
Ein Möbelhaus in Osnabrück kürzte deshalb die Mietzahlung für eine Lagerhalle.
Entscheidung
Zu Unrecht. Die Richter am 2. Senat sahen keine Grundlage für die Kürzung der Miete für die Lagerhalle, weil diese trotz des Lockdowns weiter nutzbar gewesen sei. Das Möbelhaus hatte im Lockdown nämlich auf den Online-Vertrieb gesetzt und auch vor Ort per „click & collect“ seine Waren verkauft. Damit sei die Lagerhalle vom Lockdown gar nicht betroffen gewesen.
Der Senat ließ allerdings die Revision zum Bundesgerichtshof zu, weil noch nicht abschließend geklärt ist, ob der neue Art. 240 § 7 EGBGB nicht nur auf Geschäftsräume, sondern auch auf Lagerhallen anwendbar sei.
OLG Oldenburg, Urteil vom 29.03.2022, 2 U 234/21
Urteil Nr. 2: Der Staat haftet nicht für Einnahmeausfälle in der Corona-Pandemie
Betroffen von einer behördlich angeordneten Betriebsschließung war während der Corona-Krise – wie viele tausend andere Unternehmen in Deutschland – auch ein Hotel- und Gaststättenbetrieb in Brandenburg. Der Inhaber des Betriebs verlangte vom Land Brandenburg die Erstattung von ungedeckten Betriebskosten, Verdienstausfall sowie Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Da kam einiges zusammen.
Sachverhalt
27.017,68 € plus Prozesszinsen forderte der Hotel- und Gastronomiebetreiber vom zuständigen Bundesland. Außerdem sollte das Gericht feststellen, dass die Landesregierung auch für alle weiteren Schäden ersatzpflichtig sei. Während des Lockdowns durfte der Inhaber weder Hotelgäste zu touristischen Zwecken beherbergen noch sein Restaurant betreiben. Allein der Außer-Haus-Verkauf brachte noch Einnahmen. Der Betreiber stützte seine Forderung auf mögliche Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Entscheidung
Der Hotel- und Gastronomiebetreiber ging leer aus. Das Gericht wies die Revision des Klägers gegen das Urteil der Vorinstanz zurück. Nach Ansicht des 3. Senats lassen sich die vom Betreiber des Hotel- und Gaststättenbetriebs geltend gemachten Entschädigungsansprüche nach dem IfSG nicht begründen. Dafür fanden die Richter fünf Gründe:
1. Eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG scheide nach Ansicht des Gerichts von vornherein aus, weil die nach § 32 IfSG angeordneten Verbote gleich gegen eine Vielzahl von Personen und Betrieben ergangen sind. Der Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG setze aber voraus, dass die verhängte Maßnahme sich gezielt auf die Person des Betroffenen als infektionsrechtlichen Störer bezieht.
2. Auch für eine finanzielle Entschädigung nach § 65 Abs. 1 IfSG sehe der 3. Senat keinen Grund. Nach dem eindeutigen Wortlaut sei die Vorschrift nur bei Maßnahmen zur Verhütung von übertragbaren Krankheiten einschlägig. Die COVID-19-Erkrankung hatte sich zu dem Zeitpunkt aber bereits im ganzen Bundesgebiet ausgebreitet.
3. Ebenfalls sei die analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 sowie § 65 Abs. 1 IfSG ausgeschlossen. Hierzu fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Ansprüche auf Entschädigung aus infektionsrechtlichen Gründen beschränke sich nach der ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers punktuell einzelne im Gesetz genannte Fälle.
4. Daneben scheide auch ein Entschädigungsanspruch nach landesrechtlichen Vorschriften aus (§ 38 Abs. 1a i. V. m. § 18 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg). Als Spezialgesetz haben die Vorschriften zur Gefahrenabwehr nach dem IfSG Vorrang und sperren die Anwendung von Regeln des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts.
5. Schließlich scheitern auch Ansprüche nach der richterlich entwickelten Haftung für einen enteignungsgleichen Eingriff. Das gesetzgeberisch abschließend gedachte Konzept möglicher infektionsschutzrechtlicher Ansprüche nach §§ 56 und 65 IfSG dürfe durch richterrechtliche Ansprüche nicht unterlaufen werden.
Nach Ansicht des 3. Senats seien die zur Eindämmung der Corona-Pandemie angeordneten Betriebsschließungen erforderlich gewesen, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu vermeiden. Deshalb schlossen die Richter auch Ansprüche aus Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG aus.
BGH, Urteil vom 17.03.2022, III ZR 79/21
Urteil Nr. 3: Was mit der Miete passiert, wenn die Hochzeit wegen Corona abgesagt wurde
Geburtstage, Jubiläen und Hochzeiten: Viele solcher Feiern wurden in der Corona-Pandemie abgesagt. Dabei waren in vielen Fällen die Räumlichkeiten für die Feier bereits gemietet. Ob die Miete dann trotz Ausfall der Feier fällig wird, hat jetzt ebenfalls der Bundesgerichtshof entschieden.
Sachverhalt
2.600 €. So viel sollte ein Hochzeitspaar an den Vermieter der Veranstaltungsräume zahlen, obwohl die Feier in der Hochphase der Pandemie aufgrund der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW abgesagt werden musste und Braut und Bräutigam auch die vom Vermieter angebotenen Ausweich-Termine nicht wahrnehmen wollten. Als der Vermieter sich weigerte, die vorausbezahlte Miete zu zurückzuzahlen, klagte das Hochzeitspaar.
Entscheidung
Die Miete muss nicht zurückbezahlt werden. Nach Ansicht des Gerichts bestehe kein Rückerstattungsanspruch. Dafür führten die Richter drei Gründe an:
1. Die Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie haben nicht zu einer Unmöglichkeit der Leistung geführt (§§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB). Trotz des zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier bestehenden Versammlungsverbots und der geltenden Kontaktbeschränkungen in NRW sei es dem Vermieter nicht unmöglich gewesen, dem Brautpaar den Gebrauch der Mietsache zum vereinbarten Mietzweck zu gewähren.
2. Auch eine Mietminderung sei nach Ansicht des Senats ausgeschlossen (§ 536 Abs. 1 BGB). Eine Mietsache sei nämlich nicht mangelhaft, wenn die dort geplante Veranstaltung nicht stattfinden könne. Damit seien auch das Rücktritts- und das außerordentliche Kündigungsrecht ausgeschlossen (§§ 326 Abs. 5, 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB).
3. Es bestehe nach Ansicht des Senats auch keine vollständige oder teilweise Befreiung von der Mietzahlungspflicht wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage aufgrund der Corona-Pandemie. Grundsätzlich sind Verträge aufrechtzuerhalten und ggf. der veränderten Sachlage anzupassen. Nur wenn dies nicht möglich oder für eine der Vertragsparteien unzumutbar ist, kommt ein Rücktritt in Frage (§ 313 Abs. 3 BGB).
Hat der Vermieter eine Verlegung der Hochzeitsfeier auf diverse andere Termine angeboten, beschränke sich der vertragliche Anspruch auf Anpassung des Vertrages. Insbesondere, wenn – wie in diesem Fall – die standesamtliche Trauung bereits zwei Jahre zurücklag und die Hochzeitsfeier daher weder in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dieser noch mit der kirchlichen Trauung stand.
BGH, Urteil vom 02.03.2022, XII ZR 36/21
Urteil Nr. 4: Warum Masken-Gegnern in Unterbindungsgewahrsam genommen werden dürfen
Sachverhalt
Ein Teilnehmer bei einer Kundgebung von Gegnern der staatlichen Maßnahmen zum Schutz vor möglichen Corona-Infektionen weigerte sich hartnäckig, den vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen, obwohl dies am Versammlungsort in der Kölner Altstadt ausdrücklich angeordnet war. Nachdem er sich auch noch mit körperlichem Widerstand gegenüber den Ordnungskräften einer Feststellung seiner Identität widersetzt hatte, nahm ihn die Polizei in Gewahrsam und wollte den Masken-Gegner dort bis zur Beendigung der Versammlung behalten.
Die Beschwerde des Betroffenen wies das Landgericht zurück.
Per Rechtsbeschwerde beantragte der betroffene Masken-Gegner deshalb die Feststellung, dass er in seinen Rechten verletzt worden sei.
Entscheidung
Zum maßgeblichen Zeitpunkt galt am Versammlungsort in Köln die Corona-Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der ab dem 16.12.2020 gültigen Fassung, die bußgeldbewehrt nach § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 32, 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG, 18 Abs. 2 Nr. 2 CoronaSchVO NRW das Tragen einer Maske an Orten mit hohem Publikumsverkehr vorschrieb, soweit die zuständige Behörde dies angeordnet hatte (§ 3 Abs. 2 Nr. 8 CoronaSchVO NRW). Genau dies hatte die Stadt Köln getan.
Der Senat konnte infolge des vorübergehenden Unterbindungsgewahrsam des betroffenen Masken-Gegners keine Verletzung von Verfassungsrechten erkennen.
Es bestehe kein Anlass, die Bewertung des zuständigen Landgerichts, wonach die Freiheitsentziehung nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW dem Grund und der Dauer nach unerlässlich war, in Zweifel zu ziehen. Die Maßnahme sei daher nicht zu beanstanden gewesen, weil sie verhältnismäßig und zweckdienlich war, den „weiteren Aufenthalt des Betroffenen ohne Mund-Nasen-Schutz auf der Versammlung und die Fortsetzung der Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu unterbinden.“
Urteil Nr. 5: So schnell führt ein Streit im Hausflur zur außerordentlichen Kündigung
Sachverhalt
Entscheidung
Die Äußerung des einen Bewohners gegenüber dem Vermieter wertete das Gericht als Nicht- und Missachtung. Erschwerend kam hinzu, dass der ausfällig gewordene Mieter den Vermieter im Beisein anderer Nachbarn verbal angegriffen und herabgewürdigt hatte. Noch schwerwiegender war aber, dass der Bewohner den Vermieter nicht nur beleidigt, sondern diesem gegenüber auch noch tätlich geworden war. Die Entscheidung ist rechtskräftig.
AG München, Urteil vom 13.01.2022, 473 C 9473/21
Urteil Nr. 6: Wann Mütter ihren Kindern sagen müssen, wer ihr Vater ist
Mutter, Vater und 1,54 Kinder. So sieht eine Durchschnittsfamilie in Deutschland aus. In 7 von 10 Fällen sind die Eltern zudem verheiratet, wobei es in jedem dritten Fall früher oder später zu einer Scheidung kommt. Doch es gibt auch Familien, die diesem Durchschnitt nicht entsprechen – zum Beispiel, weil die Mutter dem Kind sogar den Namen seines Vaters vorenthält. Das geht aber oft nicht lange gut.
Sachverhalt
38 Jahre lang wusste die Tochter nicht, wer ihr Vater war. Sie war in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen: Bei der Geburt war die Mutter gerade einmal 16 Jahre alt und hatte die Hauptschule verlassen. Nach der Geburt lebten beide in einem Mutter-Kind-Heim. Anschließend wohnte die Tochter in einer Mädchen-Wohngemeinschaft – bis ein Ehepaar die Tochter adoptierte. Doch die Tochter wollte unbedingt mehr über ihren Vater erfahren. Doch ein Vaterschaftsfestellungsverfahren blieb ebenso ohne Ergebnis, wie ein später durchgeführter Vaterschaftstest. Schließlich forderte die Tochter ihre leibliche Mutter auf, ihr Auskunft über den Vater zu erteilen. Doch die weigerte sich weiter.
Entscheidung
Zu Unrecht. Die Tochter wird wohl bald erfahren, wer ihr Vater ist und wo er lebt. Der für Familiensachen zuständige XII. Senat am Bundesgerichtshof gab der Rechtsbeschwerde der Tochter nach.
Die leibliche Mutter müsse ihrer Tochter die verlangte Auskunft erteilen, weil Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig seien (§ 1618a BGB). Hinzu komme die Verpflichtung des Staates, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgend, Kinder vor der Vorenthaltung von Informationen über ihre Abstammung zu schützen. Dies ergebe die Auslegung des § 1618a BGB.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht einem Anspruch auf Auskunft über den so genannten Scheinvater aus Treu und Glauben in einer früheren Entscheidung abgelehnt (§ 242 BGB). Die vorliegende Lage hielten der 12. Senat aber für unterschiedlich:
Dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung messen die Richter verfassungsrechtlich eine erhebliche Bedeutung zu. Deshalb erlischt der Anspruch auch nicht mit der Adoption des Kindes (§ 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB). Denn der Auskunftsanspruch sei bereits vor der Adoption entstanden.
Daran ändere sich auch nichts, wenn die leibliche Mutter angibt, sich nicht an den Vater des Kindes erinnern zu können. Für diesen Fall listete schon die Vorinstanz eine ganze Reihe von Kontaktpersonen auf, die Hinweise zu möglichen leiblichen Vätern erteilen können. Eine Nachfrage bei diesen Stellen ist der Mutter zumutbar.
BGH, Beschluss vom 19.01.2022, XII ZB 183/21
Urteil Nr. 7: Keine Kinder – Dann erbt der Staat
Jedes Jahr werden in Deutschland erhebliche Beträge vererbt. Allein in Baden-Württemberg hat die Finanzverwaltung im Jahr 2020 fast 28.000 Erbschaften und Schenkungen mit einem Vermögen im Wert von 9,3 Milliarden Euro gezählt. Viel Geld, dass in manchen Fällen sogar der Staat erbt. Wann das der Fall ist, hat jetzt ein Gericht in Niedersachen entschieden.
Sachverhalt
Er war ein Einzelkind, hatte selbst keine Kinder und per Testament verfügt, dass in seinem Todesfall die gesetzliche Erbfolge gelten sollte. Die eigenen Eltern waren bereits verstorben. Den Abkömmlingen seiner Großeltern mütterlicherseits – aus Sicht des Erblassers also Tanten, Onkel, Cousinen und Neffen – hatte das Nachlassgericht gemäß gesetzlicher Erbfolge bereits antragsgemäß einen Teil-Erbschaftsschein über die Hälfte des Nachlasses ausgestellt.
Später beantragten die Abkömmlinge der Großeltern auch noch den Erbschein für die restliche Hälfte des Nachlasses. Nachdem gerichtliche Ermittlungen keine weiteren gesetzlichen Erben ergeben hatte, stellte das Nachlassgericht jedoch fest, dass außer dem Land Niedersachen keine Erbschaftsberechtigten vorhanden waren.
Entscheidung
Das zuständige Oberlandesgericht verwies die Sache zurück an das Nachlassgericht zur Entscheidung über den beantragten Erbschein, weil dieses das Erbrecht des Landes nicht hätte feststellen dürfen. Eine Erbschaft des Staates, so die Richter, sei nämlich ausgeschlossen, solange noch Abkömmlinge der Großeltern existierten. In diesem Fall sind diese nämlich, so die Richter, allein – also auch hinsichtlich der zweiten Hälfte des Nachlasses – erbberechtigt. Fällt nämlich eine ganze Linie von Erben eines Großelternpaares – hier väterlicherseits – weg, tritt die Linie des anderen Großelternteils an deren Stelle (§ 1926 Abs. 4 BGB).
Damit bekräftigt das zuständige Gericht, dass der Staat lediglich als Noterbe in Frage kommt. Solange andere gesetzliche Erben zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers leben, sind diese zu Erben berufen.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 10.01.2022, 3 W 48/21
Urteil Nr. 8: Was befristete Arbeitsverträge ab sofort unwirksam macht
In den USA lassen sich so sogar Hochhäuser mit einer gescannten Unterschrift kaufen. Hierzulande bleibt man eher konservativ: Was nicht eigenhändig unterschrieben ist, gilt vielfach nicht. Das gilt jetzt auch für befristete Arbeitsverträge.
Sachverhalt
Eine Zeitarbeitsfirma schloss bei Aufträgen von entleihenden Betrieben über mehrere Jahre mehr als 20 kurzzeitig befristete Arbeitsverträge, die zum Beispiel für Messehostessen nur für ein paar Tage galten. Diese Arbeitsverträge waren – wie im Falle einer solchen Messehostess – regelmäßig mit einer gescannten Unterschrift des Geschäftsführers der Zeitarbeitsfirma gegengezeichnet. Die Hostess unterschrieb den Vertrag und schickte ihn an den Personalverleiher – also das Zeitarbeitsunternehmen – zurück.
Später verlangte die als Hostess beschäftigte Arbeitnehmerin, dass die Befristungsvereinbarung ihres Arbeitsverhältnisses nicht wirksam sei, weil – wegen der gescannten Unterschrift des Geschäftsführers – die gesetzlich erforderliche Schriftform nicht eingehalten worden sei.
Entscheidung
Zu Recht. Die wirksame Befristung eines Arbeitsvertrags setzt voraus, dass die Schriftform eingehalten wird (§ 14 Abs. 4 TzBfG). Dies verlange grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift oder eine qualifizierte elektronische Signatur. Eine Scan-Unterschrift erfülle diese Anforderung nicht. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine „mechanische Vervielfältigung der Unterschrift durch Computereinblendung“, was eine Eigenhändigkeit der Unterschrift ausschließe.
Auch wenn die als Messe-Hostess beschäftigte Arbeitnehmerin diese Art von Vertragsschluss in der Vergangenheit mehrfach widerspruchslos hingenommen habe, habe dies keine Wirkung für spätere Vertragsschlüsse. Solange innerhalb der dreiwöchigen Frist ab Vertragsschluss eine Klage auf Entfristung des Arbeitsverhältnisses erhoben wird, führe die mangelnde Schriftform zur Unwirksamkeit der Befristung – und damit zu einer unbefristeten Beschäftigung.
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.03.2022, 23 Sa 1133/21
Urteil Nr. 9: Wenn die Sicherheitskontrolle zu lange dauert, wird eine Entschädigung fällig
Während der Corona-Pandemie haben Entschädigungsansprüche gegen Fluggesellschaften stark nachgelassen. Kein Wunder, denn Flieger, die nicht starten konnten, können auch nicht verspätet sein. Das ändert sich gerade mit der Normalisierung des Flugverkehrs wieder. Ein neues Urteil beschäftigt sich nun damit, was passiert, wenn ein Fluggast zu lange bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen warten muss. Die Fluggesellschaft haftet dann nicht. Doch an ihre Stelle tritt ein anderer, ausgesprochen solventer Schuldner.
Sachverhalt
Die Abflugzeit für den Flug in die Dominikanische Republik war um 11:50 Uhr. Das Gate schloss um 11:30 Uhr. Wegen der langen Sicherheitskontrollen am Flughafen – die vom Zoll und damit von der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden, erreichten Fluggäste in Frankfurt die Maschine in die Karibik nicht mehr rechtzeitig. Weil sie die Wartezeiten im Sicherheitsbereich wegen schlechter Organisation für unzumutbar hielten, verlangten die zurückgebliebenen Passagiere vom Staat eine Entschädigung für die Kosten der Ersatztickets und die zusätzlichen Übernachtungen.
Entscheidung
In diesen Fällen gibt es eine Entschädigung aus der Staatskasse, obwohl bei der Organisation der Sicherheitskontrolle trotz zu geringem Personaleinsatz keine Amtspflichten verletzt worden seien.
Der Schadensersatzanspruch der Passagiere richte sich vielmehr nach den Grundsätzen der Aufopferung bzw. wegen eines enteignenden Eingriffs durch den Staat. Zwar müssen Flugreisende wegen der Kontrolle, die durchaus längere Zeit in Anspruch nehmen kann, grundsätzlich einen Zeitpuffer einplanen. Das gelte aber nicht für eine beliebige Dauer, wenn diese die Empfehlungen des Flughafenbetreibers oder der Fluggesellschaft überschreitet.
OLG Frankfurt, Urteil vom 27.01.2022, 1 U 220/20
Urteil Nr. 10: Wer über die Impfung der eigenen Kinder entscheidet
Die allgemeine gesetzliche Impfpflicht ist erst einmal vom Tisch. Doch wer entscheidet eigentlich, ob sich Kinder auf Empfehlung der Ständigen Impfkommission impfen lassen müssen. Die erste Antwort darauf gab jetzt ein Amtsgericht.
Sachverhalt
Zwei geschiedene Eheleute stritten sich, ob die gemeinsamen 12 und 14 Jahre alten Kinder eine Corona-Schutzimpfung erhalten sollten, oder nicht. Erst einigten sich die Eltern, der Empfehlung der Kinderärztin zu folgen. Daran wollte sich die Mutter aber später nicht mehr halten. Stattdessen lehnte sie eine Impfung der Kinder nun generell ab.
Entscheidung
Das Familiengericht übertrug die Entscheidung dem Vater – unter der Voraussetzung das die beiden Kinder mit dem Präparat von BioNTech/Pfizer geimpft werden müssen. Können sich Eltern bei gemeinsamem Sorgerecht und einer Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind nicht einigen, könne die Entscheidung gerichtlich einem Elternteil allein übertragen werden (§ 1628 Satz 1 BGB).
Soweit keine besonderen Impfrisiken beim Kind vorhanden sind, muss das Familiengericht darauf abstellen, die Entscheidung grundsätzlich dem Elternteil zu übertragen, das die Impfung gemäß den Bestimmungen des Robert-Koch-Instituts befürwortet. Diese Empfehlung hat das RKI und die Ständige Impfkommission für Kinder im Alter von 12 und 17 Jahren erteilt, soweit diese mit dem Impfstoff von BioNTech/Pfizer erfolge. Zusätzlich muss zwar auch – im Hinblick auf Alter und Entwicklung – die eigene Meinung des Kindes berücksichtigt werden. Ist das Kind dazu wegen massiver Einschüchterung eines Elternteils nicht in der Lage, stehe die Entscheidung dem die Impfung befürwortenden Elternteil zu.
AG Bad Idburg, Beschluss vom 14.01.2022, 5 F 458/21