Vergabeplattformen
Recht & Verwaltung02 Mai, 2024

Aktuelle Rechtsfragen bei der Nutzung von Vergabeplattformen

Vergabeverfahren werden beinahe flächendeckend rein elektronisch über Vergabeplattformen abgewickelt. Technik und technische Fragen sowie Rechtsfragen vermischen sich dabei immer wieder.Seit der Vergaberechtsnovelle im Jahr 2016 ist die E-Vergabe im Vergaberecht verpflichtend: Vergabeverfahren müssen vollständig elektronisch abgewickelt werden. Das Vergaberecht stellt hierbei Vorgaben auf, die technischer Natur sind (vgl. § 10 VgV). Unter anderem müssen Uhrzeit und der Tag des Eingangs der Angebote oder der Teilnahmeanträge genau bestimmt werden können, daneben darf niemand vor den festgesetzten Terminen, d.h. vor Ablauf der Angebotsfrist, Zugang zu den vorliegenden Angeboten haben können und es muss sichergestellt werden, dass in den verschiedenen Phasen des Vergabeverfahrens nur die berechtigten Personen Zugang zu allen vorgelegten Daten haben.

In der Praxis hat sich dafür die Nutzung sog. Vergabeplattformen von überwiegend gewerblichen Anbietern etabliert. Hierbei handelt es sich um online Plattformen, über die sämtliche Verfahrensschritte eines Vergabeverfahrens abgewickelt werden können. Über Vergabeplattformen werden die Vergabeunterlagen bereitgestellt, Bieterfragen gestellt und beantwortet, die gesamte Kommunikation läuft über die Vergabeplattform und auch Angebote und Teilnahmeanträge werden über Vergabeplattformen abgegeben.

Vergabeplattformen beinhalten also eine Nachrichtenfunktion, die vergleichbar mit einem E-Mail-System ist: jeder Bieter erstellt sich einen Account auf einer Vergabeplattform, erhält hierdurch ein Postfach und empfängt und versendet über dieses Postfach Nachricht vom und an den Auftraggeber. Daneben enthalten Vergabeplattformen einen speziellen Bereich, über den Angebote und Teilnahmeanträge abgegeben werden. Bildlich ist dieser zu vergleichen mit einem Safe im Büro der Vergabestelle, in dem die Angebote liegen, und nur vorher festgelegten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Vergabestelle wird erst mit Ablauf der Angebotsfrist der Schlüssel für diesen Safe ausgehändigt.

Bei Nutzung eines solchen technischen Systems stellen sich in der Praxis verschiedene Rechtsfragen, die nachfolgend kurz beleuchtet werden sollen.


Verspätete elektronische Angebotsabgabe

Zu der Zeit, in der Angebote noch postalisch im verschlossenen Umschlag abzugeben waren, war ein häufig auftretendes Problem in der Praxis das folgende: der Bieter übergibt sein Angebot morgens einem Kurier und dieser kommt - aus welchen Gründen auch immer - erst nach Ablauf der Angebotsfrist beim Auftraggeber an. Derartige Fälle lagen grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Bieters mit der Folge, dass sein Angebot ausgeschlossen werden musste.

Wer als Bieter sichergehen will, musste mehr Zeit einplanen. Parallele Fälle gibt es auch bei der elektronischen Angebotsabgabe, nur, dass die Ursache eines verspäteten Eingangs hier nicht darin liegt, dass ein Kurier sich verfährt oder einen Unfall hat, sondern dass diese technischer Natur sind. Beispielsweise finden am Tag der Angebotsabgabe Wartungsarbeiten an der Plattform statt, es installiert sich zuerst ein notwendiges Update, die Java-Applikation kann nicht geöffnet werden, der Upload der Angebotsdaten dauert wegen Internetproblemen länger als erwartet, das Netzwerk des Bieters fällt aus oder die Angebotsdateien sind zu groß, um von der Plattform verarbeitet zu werden. Die möglichen Probleme sind so vielfältig wie das Leben selbst.

Nach der Rechtsprechung (etwa VK Bund, Beschl. v. 29. Mai 2020, VK 2-19/20) fallen derartige Probleme grundsätzlich in die Risikosphäre der Bieter. Bieter müssen hiernach ausreichend Zeit für die Angebotsabgabe einkalkulieren. Auch bei elektronischen Angeboten trägt der Bieter das Übermittlungsrisiko. Insbesondere die richtige Installation und die richtige Nutzung des Vergabetools sowie die Installation von Updates fallen in den Verantwortungsbereich des Auftraggebers. Unterlaufen dem Bieter bei Nutzung des Vergabetools Fehler oder bedient er das Tool falsch, ist dies sein Problem.

Anders liegt dies nur dann, wenn es technische Schwierigkeiten gibt, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers bzw. bei der Vergabeplattform liegen. So ist ein Angebot beispielsweise dann nicht als verspätet auszuschließen, wenn am Tag des Ablaufs der Angebotsfrist der Server der Vergabeplattform aus welchen Gründen auch immer nicht zu erreichen (vgl. etwa VK Baden-Württemberg, Beschl. v. 30. Dezember 2016,1 VK 51/16). Wenn ein Auftraggeber die Abgabe eines Angebots ausschließlich über eine bestimmte Vergabeplattform zulässt, dann muss sie dafür Sorge tragen, dass diese Vergabeplattform, vergleichbar einem Briefkasten, bis Fristablauf zu erreichen ist. Die Vergabestelle hat den elektronischen Zugang zu dem Vergabeverfahren so auszugestalten, dass Bieter sich auch ohne eigene IT-Abteilung beteiligen können müssen.

Dasselbe gilt, wenn die Angebotsabgabe über eine Vergabeplattform nur bei Beachtung besonderer Anforderungen möglich ist, die der Bieter nicht kennen kann und über die er nicht informiert worden ist. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich ein Bieter bei einem zweistufigen Login auf einer Vergabeplattform zwar im ersten Schritt ohne Beachtung der Groß- und Kleinschreibung auf der Plattform anmelden kann, die Angebotsabgabe aber nur dann funktioniert, wenn Groß- und Kleinschreibung beim Benutzernamen beachtet werden (VK Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 25. Mai 2023, VPS 12/23). Über derartige Besonderheiten muss der Auftraggeber informieren (§ 11 Abs. 3 VgV).


Zugang von Nachrichten im Postfach auf der Vergabeplattform

Bieterfragen werden vom Auftraggeber über die Vergabeplattform beantwortet. Nachrichten über veröffentlichte Bieterinformationen werden in das Postfach des Bieters auf der Vergabeplattform eingestellt. Dasselbe gilt für sonstige Kommunikation. Aufklärungsanfragen oder Nachforderungen werden vom Auftraggeber über die Nachrichtenfunktion der Vergabeplattform versendet und häufig werden auch Rügen vom Auftraggeber auf diesem Wege beantwortet.

Der Zugang dieser Nachrichten löst regelmäßig Rechtsfolgen aus. Beispielsweise setzen Auftraggeber, wenn sie Unterlagen nachfordern, eine Frist, bis zu der die nachgeforderten Unterlagen beim Auftraggeber eingehen müssen. Daher ist es rechtlich bedeutsam, wann derartige Nachrichten im Rechtssinne dem Bieter zugegangen sind.

Nach der VK Münster (Beschl. v. 31. März 2021, VK 1 - 09/21) gilt eine Nachricht, die in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform eingestellt wird, in dem Moment als zugegangen, zu dem vom Bieter abgerufen werden kann. Bieter sind gehalten, auf allen Vergabeplattformen, auf denen sie angemeldet sind und Accounts haben und über die sie aktuell an Vergabeverfahren teilnehmen, aktiv zu prüfen, ob Nachrichten eingegangen sind.

Der Bieter im zugrundeliegenden Nachprüfungsverfahren hatte vorgetragen, eine Nachricht könne erst dann zugegangen sein, wenn er sie auch zur Kenntnis nehme, weil er auf einer Vielzahl von Vergabeplattformen angemeldet sei und täglich Dutzende E-Mails von diesen Plattformen bekomme, so dass es nicht zumutbar sei, auf allen Plattformen irgendwelche Daten abzurufen, erteilt die Vergabekammer eine klare Absage: die Digitalisierung schreitet immer weiter fort und das führt nun einmal dazu, dass sich durch Nutzung technischer Kommunikationstools der Umfang dessen erhöht.

Bieter sind hiernach selbst gehalten, sich intern so zu organisieren, dass sie Nachrichten auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen. Das Postfach auf der Vergabeplattform ist, ähnlich einem E-Mail-Postfach, dem Machtbereich des Bieters zuzuordnen. Die Vergabekammer weist noch darauf hin, dass es zu der Verantwortung eines Gewerbetreibenden gehört, alle gewerblich genutzten Postfächer regelmäßig zu kontrollieren, wenn er sich an Vergabeverfahren beteiligt.

Es kommt hiernach auch nicht darauf an, ob die Vergabeplattform beim Eingang einer Nachricht in das Postfach auf der Plattform automatisch eine E-Mail mit dem Inhalt „In ihrem Postfach ist eine Nachricht eingegangen“ generiert. Ähnlich beurteilt dies die VK Sachsen (Beschl. v. 28. Juli 2021, 1/SVK/043-20).

Die VK Südbayern (Beschl. v. 30. März 2023, 3194.Z3-3_01-22-63) setzt hierfür allerdings voraus, dass in den Vergabeunterlagen oder den Nutzungsbedingungen der Vergabeplattform ein Hinweis oder eine Regelung dazu enthalten sind, dass der Bieter mit der Registrierung auf der Vergabeplattform Zugriff auf ein individuelles Postfach erhält und dieses für die Zustellung von rechtserheblichen Erklärungen im Vergabeverfahren genutzt wird. Dies leitet die VK Südbayern auch aus dem in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerten Transparenzgrundsatz ab.


Fazit

Die E-Vergabe macht Vergabeverfahren einfacher, führt aber auch zu neuen Problemfeldern. Bietern ist ausdrücklich anzuraten, sich frühzeitig mit der Nutzung der Vergabeplattformen vertraut zu machen und sicherzustellen, dass alle notwendigen Updates und sonstige Applikationen installiert sind.

Auch kann man nicht oft genug die Empfehlung aussprechen, ein Angebot immer, wenn möglich, nicht erst am Tag der Angebotsabgabe hochzuladen, sondern einen Tag früher, um noch Zeit zu haben, auf technische Störungen zu reagieren. Kommt es doch zu technischen Schwierigkeiten bei der Abgabe eines Angebots sollten Bieter unmittelbar den technischen Support der betreffenden Plattform kontaktieren.

Die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass Anfragen häufig zeitkritisch sind und können schnell Hilfe leisten. Darüber hinaus sollten Bieter, bei denen es bei der Angebotsabgabe warum auch immer „hakt“, den Auftraggeber kontaktieren und diesen um eine Verlängerung der Angebotsfrist bitten.

Auftraggebern ist zu raten, in die Vergabeunterlagen einen Hinweis aufzunehmen, dass der Bieter mit der Registrierung auf der Vergabeplattform Zugriff auf ein individuelles Postfach erhält und dass er dieses für die Zustellung von rechtserheblichen Erklärungen im Vergabeverfahren nutzt.
Henning Feldmann
Fachanwalt für Vergaberecht bei ESCH BAHNER LISCH Rechtsanwälte PartmbB in Köln
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