RA Claus Rückert
Laut BGH (Urteil vom 22.02.2018, Az.: VII ZR 46/17) kann der Besteller, der einen Mangel nicht beseitigen lässt, seinen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten geltend machen.
Aufgrund dieses BGH-Urteils stellt sich u.a. die Folgefrage, ob die Kosten für die Beseitigung von Mangelfolgeschäden fiktiv abgerechnet werden können. Diese Frage hatte das OLG Oldenburg verneint (Urteil vom 20.11.2018, Az.: 2 U 37/17). Mit derselben Frage hat sich nun auch das OLG Köln in seinem Urteil vom 18.10.2022 (Az.: 11 U 247/21) auseinandergesetzt.
Der Fall
Ein Bauherr (B) beauftragt mehrere Firmen mit dem Neubau seines Einfamilienhauses. Der Rohbauer (R) soll danach neben den Beton-, Stahlbeton- und Maurerarbeiten außen eine Sockelabdichtung herstellen. Darüber hinaus beauftragt B den Dachdecker (D), zusätzlich zu den Dachdeckerarbeiten die Abdichtungsarbeiten an der Terrassentür sowie der Haustür auszuführen. Die Arbeiten werden in den Jahren 2014 und 2015 ausgeführt. Im Dezember 2015 zeigen sich feuchte Stellen im Erdgeschoss des Einfamilienhauses. Diese steigen bis auf 50 cm vom Erdboden die Wände hoch. Durch die Feuchtigkeit bildet sich Schimmel an den betroffenen Stellen.
Aufgrund der Untersuchung durch mehrere Sachverständige stellt sich die Ursache für die Feuchtigkeitsschäden heraus. Demnach haben sowohl R als auch D jeweils die Abdichtungsarbeiten nicht ordnungsgemäß ausgeführt und hierdurch jeweils beide die Feuchtigkeitsschäden verursacht.
Zur Sanierung ist es notwendig, in den betroffenen Bereichen den Bodenaufbau zu erneuern (Estrich inklusive Dämmung). Außerdem müssen dort die Sockelleisten und Tapeten sowie der Putz abgeschlagen entfernt und jeweils neu hergestellt werden.
B nimmt R und D als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe der voraussichtlichen Sanierungskosten in Anspruch. R und D wenden u.a. ein, dass B aufgrund der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 22.02.2018 - VII ZR 46/17) keinen Schadensersatz auf Basis von fiktiven Mängelbeseitigungskosten geltend machen kann.
Das Urteil
Das OLG Köln stellt fest, dass B die Sanierungskosten in Form von fiktiven Schadensbeseitigungskosten abrechnen kann. Die Rechtsprechung des BGH greift nur für den Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB. Sie ist nicht anwendbar auf den Fall, dass das Integritätsinteresse des Bestellers (also sein unabhängig von der konkreten Vertragsdurchführung bestehendes Interesse an der Unversehrtheit seiner Rechtsgüter) betroffen ist. Hier ist der Schaden nicht innerhalb der Gewerke von R und D eingetreten, sondern an den Gewerken anderer Unternehmer. Es handelt sich somit um einen Mangelfolgeschaden.
Darüber hinaus soll die Rechtsprechung des BGH vermeiden, dass eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zu einer Überkompensation des Bestellers führt. Eine solche Situation liegt im konkreten Fall nicht vor. Das Einfamilienhaus von B ist im Erdgeschoss ohne eine Sanierung aufgrund des Schimmelbefalls nicht bewohnbar.
Praxishinweis
Das BGH-Urteil vom 22.02.2018 (Az.: VII ZR 46/17) hat zunächst zu einer erheblichen Verunsicherung geführt, in welchen Bereichen der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch noch auf der Grundlage von fiktiven Kosten geltend machen kann.
Für das Kaufrecht ist inzwischen geklärt, dass das o.g. BGH-Urteil hierauf nicht anwendbar ist. Im Kaufrecht werden daher weiterhin fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt. Der für Kaufrecht zuständige V. Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 12.03.2021 (Az.: V ZR 33/19) entschieden, dass die im Bauvertragsrecht typische Überkompensation im Kaufrecht regelmäßig nicht zu erwarten ist. Beim Bau neuer Gebäude treten häufig Sachmängel auf, mit denen der Besteller „leben kann“. Dies ist im Kaufrecht in der Regel anders.
Beispielsweise geht der V. Zivilsenat nach seinen eigenen Erfahrungen davon aus, dass beim Kauf gebrauchter Immobilien vor allem solche Sachmängel praktische Bedeutung haben, die die Eignung der Kaufsache, für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung in Frage stellen, wie etwa Feuchtigkeit, Schadstoffbelastung, Schädlingsbefall oder auch eine fehlende Baugenehmigung (vgl. das BGH-Urteil vom 12.03.2021, Az.: V ZR 33/19). Mit solchen Mängeln kann der Besteller in der Regel gerade nicht „leben“.
Im Bereich des Werkvertragsrechts ist nach dem Urteil des OLG Köln vom 18.10.2022 (Az.: 11 U 247/21) zu unterscheiden, ob das Interesse des Bestellers an einer vertragsgerechten Ausführung betroffen ist (Erfüllungsinteresse), oder das Interesse an der Unversehrtheit seiner Rechtsgüter außerhalb des konkreten Vertragsverhältnisses (Integritätsinteresse).
Wenn das Integritätsinteresse betroffen ist, darf der Besteller nach der (wohl zutreffenden) Auffassung des OLG Köln nach wie vor einen Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der fiktiven Kosten geltend machen.
Anders dagegen, sofern es um das Erfüllungsinteresse des Bestellers an einer mangelfreien Ausführung geht. In diesem Fall kann der Besteller auf der Grundlage des BGH-Urteils vom 22.02.2018 (Az.: VII ZR 46/17) seinen Schaden nicht auf der Grundlage der fiktiven Mängelbeseitigungskosten ermitteln. Stattdessen hat er folgende Möglichkeiten:
- Er kann gemäß § 634 Nr. 2, § 637 BGB einen Vorschuss in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen. Den Kostenvorschuss muss der Besteller dann innerhalb einer angemessenen Frist (z.B. innerhalb eines Jahres) zur Beseitigung der Mängel verwenden und auf Verlangen des Unternehmers hierüber eine endgültige Abrechnung erstellen. Sofern er den Kostenvorschuss nicht komplett aufgebraucht hat, muss er den restlichen Betrag zurückzahlen. Bei einer nicht fristgemäß durchgeführten Mängelbeseitigung muss er ggf. den kompletten Vorschuss zurückzahlen (kann aber ggf. mit Schadensersatzansprüchen aufrechnen).
- Er kann den Mangel beseitigen lassen und die tatsächlich angefallenen Mängelbeseitigungskosten als Schaden gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB ersetzt verlangen. Vor Begleichung der Kosten kann er Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen.
- Wenn er den Mangel nicht beseitigen lassen will, kann er den Schaden im Wege einer Vermögensbilanz errechnen. Maßgeblich ist hierbei die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen mangelfreien Sache und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel. Wenn der Besteller die Sache bereits veräußert hat, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels bemessen.
- Er kann den Schaden auch in Anlehnung an § 634 Nr. 3, 638 BGB schätzen. Ausgangspunkt ist hierbei die für das Werk vereinbarte Vergütung. Der Minderwert wegen des nicht beseitigten Mangels bemisst sich dann nach dem durch der durch den Mangel erfolgten Störung des Äquivalenzverhältnisses.
Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Mangel zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit führt (z.B. war das Erdgeschoss des Hauses in dem Fall, über den das OLG Köln zu entscheiden hatte, ohne eine Sanierung nicht mehr bewohnbar). In diesem Fall wird die Vermögensbilanz (vgl. Ziffer 3.) regelmäßig ergeben, dass der Wert der Sache mindestens in Höhe der aufzuwendenden Sanierungskosten gemindert wird (eventuell kommen weitere Abzüge hinzu, wie z.B. ein etwaiger merkantiler Minderwert). In der Regel wird der Besteller in diesem Fall aber ohnehin an einer zügigen Sanierung interessiert sein und daher entweder Kostenvorschuss (vgl. Ziffer 1.) oder die bereits aufgewandten Mängelbeseitigungskosten (vgl. Ziffer 2.) geltend machen.