Aktuelle Entwicklungen zur Berechnung des Schmerzensgeldanspruchs nach § 253 Abs. 2 BGB
Grundlagen des Schmerzensgeldanspruchs
Die Grundlage des Schmerzensgeldanspruchs bildet § 253 Abs. 2 BGB. Danach kann ein Geschädigter Ersatz auch für einen immateriellen Schaden verlangen, wenn er verletzt oder an seiner Gesundheit beschädigt wurde. Im Wesentlichen kommt ein solcher Anspruch auf Schmerzensgeld bei Personenschäden durch Verkehrsunfälle, Arzthaftungsangelegenheiten oder Verletzungen durch Straftaten zur Anwendung.
Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs
Anders als bei einem Vermögensschaden (materiellen Schaden), der sich konkret beziffern lässt, muss der immaterielle Schaden anhand von Kriterien ermittelt werden. Der Schaden betrifft vor allem Rechtsgüter, deren Wert sich nicht in Geld bemessen lässt, wie z. B. Gesundheit, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung. Nach dem Wortlaut des Gesetzes hat bei der Verletzung eines der vorgenannten Rechtsgüter eine billige Entschädigung in Geld zu erfolgen.
Doppelfunktion des Ersatzanspruchs
Nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 06.07.1955, BGHZ 18, 149, Beschluss vom 16.09.2016, BGHZ 212, 48) sind zur Ermittlung eines Schmerzensgeldes alle Umstände zu bewerten, die dem Schadenfall sein „Gepräge“ geben. Wobei der Ersatzanspruch eine Doppelfunktion erfüllen soll. Er hat das Ziel, neben der Entschädigung des immateriellen Schadens (Ausgleichsfunktion) dem Geschädigten auch Genugtuung für das zu verschaffen, was der Schädiger ihm angetan hat. Dabei ist das Verschulden des Schädigers zu berücksichtigen. Vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten können den Anspruch auf Schmerzensgeld erhöhen.
BGH, Urteil vom 08.02.2022, VI ZR 409/19
Der Senat entschied in einer Arzthaftungsangelegenheit, dass zwar bei einer ärztlichen Behandlung das Bestreben des Arztes, dem Patienten zu helfen, im Vordergrund steht. Dennoch sind grob vorsätzlich unterlaufene Behandlungsfehler im Hinblick auf die Genugtuungsfunktion zu beachten.
Ausgleichfunktion des Schmerzensgeldes
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs steht der Gedanke der Ausgleichsfunktion regelmäßig im Vordergrund. Dabei ist die Entschädigung aber mehr als nur Ausgleich für körperliche Leiden. Neben erlittenen und bestehenden Schmerzen und Leiden sind die psychischen und physischen Belastungen durch den Unfall und die Behandlung zu berücksichtigen, ebenso ein Verlust an Lebensfreude und Lebensqualität.
Die richtige Ermittlung des Schmerzensgeldes
Die für eine Festsetzung eines Schmerzensgeldes zu bewertenden wesentlichen Kriterien sind nach der Rechtsprechung des BGH die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. Hinzu kommen u. a. individuelle Beeinträchtigungen, die Dauer und der Umfang der Behandlung sowie bleibende körperliche und seelische Schäden und soziale Belastungen. Alle Umstände sind im Wege einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung. Die Ermittlung der Höhe des Schmerzensgeldes soll sich an vergleichbaren Fällen in der bisherigen Rechtsprechung orientieren.
Die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes
Da die Bemessung der Schmerzensgelder in der gerichtlichen Praxis sehr unterschiedlich ausfällt, wenig vergleichbar und auch oft schwer nachvollziehbar ist, haben Spezialisten und Fachanwälte für das Personenschadenrecht (Cordula und Michel Schah Sedi und Prof. Dr. Peter Schwintowski) als neuen Ansatz die sogenannte taggenaue Berechnung entwickelt. Dadurch soll dem Geschädigten ein System an die Hand gegeben werden, dass eine gleichmäßige und transparente Berechnung ermöglicht.
BGH, Urteil vom 15.02.2022, VI ZR 937/20
Auf der Grundlage einer taggenauen Berechnung hatte das OLG Frankfurt in dem zu entscheidenden Fall die Bemessung des Schmerzensgeldes vorgenommen. Danach werden zunächst Tagessätze zusammengerechnet:
- 150 € pro Tag für den Aufenthalt auf der Intensivstation
- 100 € pro Tag auf der Normalstation
- 60 € pro Tag in der Reha und
- 40 € pro Tag bei 100 % GdS (Grad der Schädigungsfolgen)
Die Ermittlung berücksichtige nicht die vom BGH entwickelten wesentlichen Faktoren. Eine schematische Berechnung nach Tagen bewerte nicht die individuelle Verletzung oder Gesundheitsschädigung. Allein die Dauer der Behandlung sage nichts darüber aus, wie individuell schmerzhaft und beeinträchtigend die Verletzungen gewesen seien. Auch nicht, welche Auswirkungen diese auf das Leben des Geschädigten hatten und möglicherweise noch haben werden. Eine individuelle Betrachtung sei aber zur Ermittlung einer billigen Entschädigung unerlässlich.
Folgen für die anwaltliche Praxis
Somit bleibt es auch in Zukunft die herausfordernde Aufgabe der Geschädigtenanwält:innen, die einzelnen Kriterien wie
- Art der Verletzung
- Ausmaß und Dauer der Schmerzen
- Dauer und Umfang der Behandlung
- Dauer einer Arbeitsunfähigkeit
- Person und Alter des Verletzten
- Vorliegen eines Dauerschadens
- Psychische Folgen
- Auswirkungen auf Beruf, Familie und Freizeitgestaltung
Autorin
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