Wann ist die Bieterfrage das Mittel der Wahl und wann die Verfahrensrüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB?
Dies kann nicht schematisch beantwortet werden, sondern ist häufig auch eine taktische Frage. Im Grundsatz kann man sagen, dass sich bei reinen Verständnisfragen oder Unklarheiten in den Vergabeunterlagen in der Regel eine Bieterfrage anbietet. Dies kann beispielsweise Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung oder Verständnisfragen beim Ausfüllen von Formblättern o.ä. betreffen.
Dasselbe gilt dann, wenn der Bieter zu einzelnen Aspekten insbesondere der Leistungsbeschreibung nähere Informationen erhalten will. Zwar könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass jeder - nach Auffassung des Bieters - unklare oder nicht ausführlich genug beschriebene Aspekt in einer Leistungsbeschreibung oder jeder missverständliche Ausfüllhinweis zu einem Formblatt gleichzeitig einen Verstoß gegen das Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 GWB sowie das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB) beinhaltet. Dann läge gleichzeitig ein (rügefähiger) Vergaberechtsverstoß vor. Doch ist eine neutral formulierte Bieterfrage, um bestimmte Unklarheiten zu klären, häufig die zielführendere Herangehensweise.
Bieterfragen bieten sich weiter an, wenn die Vergabeunterlagen Bestandteile beinhalten, die für einen Bieter ungünstig sind. Dies können etwa bestimmte Vorgaben der Leistungsbeschreibung sein, die für die konkrete Situation des Bieters und dessen Unternehmen nachteilig sind. In dem Fall bieten geschickt formulierte Bieterfragen, wenn diese die Problemstellung aufzeigen und alternative - und für den Auftraggeber ggf. sogar bessere - Lösungswege vorschlagen, die Möglichkeit, dem Auftraggeber eine Art „goldene Brücke“ zu bauen und das Verfahren in seine Richtung zu beeinflussen.
Bei spezifischem Vergaberechtsverstoß rügen
Eine Rüge ist hingegen dann geboten, wenn der Bieter einen spezifischen Vergaberechtsverstoß identifiziert hat. Hierbei ist die 10-Tages-Frist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB zu beachten, um sich nicht dem Risiko auszusetzen, mit der Geltendmachung dieses Verstoßes präkludiert zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine nach Auffassung des Bieters rechtswidrige Bestimmung in Vergabeunterlagen handelt, die ihn daran hindert, ein Angebot abzugeben, die er als „unzumutbar“ bewertet oder die zur Folge haben, dass seine Erfolgsaussichten im Vergabeverfahren sich konkret verschlechtern.
Bieter, die es in einem dieser Fälle zunächst „mit einer Bieterfrage“ versuchen wollen, um den Auftraggeber nicht durch eine Rüge vermeintlich gegen sich aufzubringen, gehen hierdurch gegebenenfalls das Risiko ein, die Rügefrist von 10 Tagen zu „verpassen“ und sich auf diesen Verstoß nachher nicht mehr berufen zu können.
Eine universale Strategie gibt es hier nicht, es kommt immer auf den Einzelfall an. Im Zweifelsfall sollte Rücksprache mit einem Rechtsanwalt gehalten werden, um die richtige Strategie abzustimmen.
Abgrenzung zwischen Bieterfrage und Rüge ist außerordentlich wichtig
Wenden sich die Bieter im Vergabeverfahren an den Auftraggeber, muss ihnen stets klar sein, was sie gerade tun: Stellen sie (noch) eine Bieterfrage oder erheben sie (schon) eine Rüge? Die Abgrenzung ist außerordentlich wichtig. Denn wenn ein Bieter eine Rüge erhebt und der Auftraggeber diese zurückweist, wird gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB eine 15-Tages-Frist für die Einreichung des Nachprüfungsantrags ausgelöst.
Weil es nach der Rechtsprechung nicht erforderlich ist, dass eine Rügezurückweisung auch explizit als solche bezeichnet wird, sondern es ausreichend ist, wenn aus der Antwort inhaltlich hervorgeht, dass einer Rüge nicht abgeholfen wird, können Bieter schnell in eine - selbst gestellte - Falle laufen: weiß der Bieter nicht, dass er de facto eine Rüge erhoben hat und antwortet der Auftraggeber (aus taktischen Gründen, weil er den Bieter in diese Falle laufen lassen will?) nicht explizit mit „Wir weisen ihre Rüge zurück“, besteht die Gefahr, dass diese 15-Tages-Frist versäumt wird.