Über welche Problematik sprechen wir denn überhaupt und wie sehen Lösungsansätze aus?
Steuergerechtigkeit ist für uns in Deutschland ein
akzeptierter Wert. Seinen Niederschlag findet sie in den Prinzipien der
Leistungsfähigkeit sowie der Folgerichtigkeit, die wiederum direkt aus dem
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland folgen. Politische Debatten wie z.B.
das Thema kalte Progression oder Vermögenssteuer haben ihre Begründung in
diesen zwei Prinzipien. Wie passt es also moralisch und auf das allgemeine
Rechtsempfinden bezogen ins Bild, wenn multinationale, große Konzerne, die
nachweislich „leistungsfähig“ sind, international im großen Stil Steuern
sparen, sei es auf legalem Wege oder aber auf dem Wege des Steuerdumpings. Die
Folgerichtigkeit scheint verletzt zu sein, wenn die Grenzen von Staaten
überschritten werden. Unternehmen in der EU haben in den letzten 40 Jahren ihre
Abgabenlast halbiert (Quelle: World Inequality Lab). Gründe sind u.A. in den
unterschiedlichen Steuersätzen der Länder zu sehen, sondern auch in
„Steuerdoping“ (Quelle: Europäische Grüne 2019, Autor Petr Jansky), Lücken in
der Ausübung von Doppelbesteuerungsabkommen (Beispiel MC Donalds 2009 – 2013)
sowie Tax-Rulings (verbindlicher Steuervorbescheid), transparenter geworden
durch die Lux-Leaks 2014. In den Skandal waren 340 Konzerne verstrickt.
Es sind jedoch bei weitem nicht nur die Skandale,
die dazu führen, dass Unternehmen durch internationale Steuergestaltung
erheblich weniger Steuern zahlen. Lassen Sie mich zwei völlig legale Beispiele
erläutern: Finanzierungsgestaltung sowie Lizenzgestaltung. Bei der Finanzierungsgestaltung
ist das Prinzip, dass in Deutschland faktisch erheblich weniger Steuern gezahlt
wird, indem in einem Niedrigsteuerland (z.B. den Bahamas) eine Gesellschaft
gegründet wird, die im Zuge von Finanzierungen Eigenkapital bekommt und dieses
Geld als Fremdkapital an die Deutsche Gesellschaft gibt. Zinsen auf diese
Finanzierung sind vollumfänglich abzugsfähige Betriebsausgaben, die Dividende
hingegen, die die Gesellschaft z.B. auf den Bahamas an die Mutter (EK-Geber)
zahlt, ist in den meisten Ländern der Erde steuerfrei. Damit ist der Gewinn in
Höhe der gesamten Zinsen auf die Finanzierung steuerfrei. Bei der
Lizenzgestaltung ist die Konstruktion weitaus komplexer, es werden
Gesellschaften in den Steueroasen sowie Gesellschaften in den Niederlanden benötigt,
die in Summe dazu führen, dass Erlöse auf Basis von Lizenzen steuerfrei sind. GAFA-Unternehmen
sind Beispiele dafür, faktisch jedoch nur die Spitze des Eisbergs.
Der Umfang der Steuervermeidung und der Steueroptimierung wird auf bis zu 240 Milliarden USD geschätzt (Quelle: OECD 2022)
Der Lösungsansatz der OECD
Ein Ansatzpunkt ist das „Zwei-Säulen-Projekt“ des Inclusive
Frameworks (IF) on BEPS (OECD-Projekt BEPS: Base Erosion and Profit
Shifting/Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung). In Pillar I geht es um die
Neuverteilung von Besteuerungsrechten, im Kern um die Frage „wo wird
versteuert“. In Pillar II um eine globale effektive Mindestbesteuerung, im Kern
um die Höhe der Steuer.
Im
Folgenden möchte ich mich schwerpunktmäßig um Pillar II kümmern, da der
Anwendungsbereich ungleich größer ist als bei Pillar I. Pillar I zielt auf die
100 größten Konzerne der Welt, Umsatz- und Profitabilitätsgrenzen dürften nur
eine Handvoll Unternehmen in Deutschland und der Schweiz betreffen.
Nach
Schätzungen verschiedener Experten betrifft die Neuregelung nach Pillar II 200
– 300 Unternehmen in der Schweiz (Quelle: NZZ vom 9.7.2021) und ca. 400
Unternehmen in Deutschland (Quelle: Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats
bei Bundesministerium der Finanzen von 1/2022). Andere Schätzungen gehen in
Deutschland von weitaus höheren Zahlen aus (>800).
Wer muss sich also im nächsten Jahr darum kümmern,
konzeptionell sowie technisch ein komplett neues und ein komplett anderes
Steuer-Reporting aufzubauen?
Aller Voraussicht nach sind von den geplanten
Regelungen Konzerne betroffen, die in mindestens zwei von vier aufeinanderfolgenden Jahren einen jährlichen Umsatz von 750 Mio. Euro
oder mehr erzielt haben.
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