Redaktion Wolters Kluwer Online
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Eine Haftung eines Gründungsgesellschafters einer Fondsgesellschaft kann neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung in Betracht kommen. Dafür muss der Gründungsgesellschafter einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand dadurch setzen, dass er entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernimmt oder in sonstiger Weise, für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung trägt.
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Für eine Haftung eines Gründungsgesellschafters wegen Vertriebsverantwortung genügt die bloß kapitalmäßige Beteiligung des Gründungsgesellschafters an der geschäftsführenden Komplementärin der Fondsgesellschaft, die den Vertriebsauftrag erteilt hat, nicht.
Sachverhalt: Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz wegen Beteiligungen an einem Schiffsfonds
Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) über die Fehlerhaftigkeit des im Juli 2010 aufgestellten Verkaufsprospekts sowie eines Nachtrags vom Oktober 2010 zu der MS "HA. GmbH & Co. KG (Fondsgesellschaft oder Fonds).
Gegenstand der Fondsgesellschaft war der Erwerb und Betrieb eines Massegutfrachters der Supramaxklasse, ein sogenannter „Bulker", mit einer Tragfähigkeit von 57.000 tdw (tons dead weight; Fondsschiff).
Die Musterbeklagten zu 1 bis 4 sind Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft. Die Musterbeklagte zu 1 ist zudem Treuhänderin. Die Musterbeklagten zu 1 und zu 3 halten jeweils 50% des Kapitals der Komplementärin der Fondsgesellschaft, der Verwaltung MS "HA. GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag der Fondsgesellschaft ist die Komplementärin zur Geschäftsführung berechtigt und verpflichtet. Die Musterbeklagte zu 4 ist Rechtsnachfolgerin der H. mbH, die den Prospekt als Verantwortliche zeichnete. Sie trat als Anbieterin der Fondsanteile auf und vertrieb diese.
Im Jahr 2019 haben zahlreiche Anleger Klagen gegen die Musterbeklagten erhoben. Das LG hat dem OLG Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt.
Diese sind auf die Feststellung verschiedener Fehler des Prospekts und des Nachtrags (Feststellungsziel I.) sowie auf die Feststellung der Haftung der Musterbeklagten nach den „Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne“ (Feststellungsziel II.) gerichtet.
Das OLG hat mit Musterentscheid vom Mai 2022 die Feststellungsziele II. und II.B. als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss des LG hinsichtlich des Feststellungsziels I. für gegenstandslos erklärt
Gegen den Musterentscheid haben beide Musterkläger Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der sie die Feststellungsziele I., II. und II.B. weiterverfolgen.
Begründung: Möglichkeit einer Haftung eines Gründungsgesellschafters wegen Vertriebsverantwortung
Mit der vorliegenden Entscheidung vom 05.03.2024 - XI ZB 17/22 - hat der BGH zu der Haftung eines Gründungsgesellschafters einer Fondsgesellschaft Stellung genommen.
Nach Auffassung des BGH wird im konkreten Fall eine Haftung der Musterbeklagten zu 1 bis 3 als Gründungsgesellschafter nach den „Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne" durch die spezialgesetzliche Prospekthaftung verdrängt.
Aus Sicht des BGH unterfällt hingegen die Musterbeklagte zu 4 als Prospektverantwortliche der spezialgesetzlichen Prospekthaftung. Sie hat jedoch aufgrund der von ihr übernommenen Vertriebsverantwortung besonderes persönliches Vertrauen gegenüber den Anlegern in Anspruch genommen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt daher neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung auch eine Haftung der Musterbeklagten zu 4 nach den § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB in Betracht.
Eine Haftung eines Gründungsgesellschafters nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. kommt in Betracht, wenn der Gründungsgesellschafter dadurch einen zusätzlichen Vertrauenstatbestand setzt, dass er entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernimmt oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung trägt.
Im konkreten Fall sind die Musterbeklagten zu 1 bis 3 nicht für den Vertrieb der Fondsanteile verantwortlich. Die Musterbeklagten zu 1 und zu 3 sind zwar jeweils mit 50% am Kapital der Komplementärin der Fondsgesellschaft beteiligt.
Die kapitalmäßige Beteiligung an der geschäftsführenden Gesellschaft kann aber keine Vertriebsverantwortung im vorgenannten Sinne begründen. Durch die ausschließlich kapitalmäßige Beteiligung an der Geschäftsführerin des Fonds wird bei potenziellen Anlegern im Hinblick auf die Vertriebsverantwortlichkeit kein zusätzlicher Vertrauenstatbestand geschaffen.
Die Musterbeklagte zu 4 ist hingegen Vertriebsverantwortliche. Ausweislich des Prospekts ist sie von der Fondsgesellschaft mit dem Vertrieb beauftragt worden. Daher kommt eine Haftung der Musterbeklagten zu 4 aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F. hier in Betracht.
Insoweit kommt es darauf an, ob die mit dem Feststellungsziel I. reklamierten Prospektfehler vorliegen. Zum Teil liegen nach Auffassung des BGH keine Prospektfehler vor. Da der BGH bezüglich der Haftung der Musterbeklagten zu 4 keine abschließende Feststellung treffen kann, hat er die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückverweisen.
Praktische Bedeutung des Beschlusses vom 05.03.2024 - XI ZB 17/22
Der BGH verdeutlicht in dieser Entscheidung die Voraussetzungen der Haftung eines Gründungsgesellschafters wegen des zusätzlichen Vertrauenstatbestands der Vertriebsverantwortung.
Nach Auffassung des BGH trägt ein Altgesellschafter Vertriebsverantwortung, wenn er selbst den Vertrieb übernimmt, beispielsweise als Vertriebsgesellschaft.
Vertriebsverantwortung kann jedoch auch bestehen, wenn ein Altgesellschafter den Vertrieb nicht selbst übernimmt. Vertriebsverantwortung tragen die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde.
Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründet nach Ansicht des BGH hingegen keine Verantwortung für den Vertrieb (vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2023 – II ZR 57/21).
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