Der Auftragnehmer kann sich von seiner Mangelhaftung bei einem Werk befreien, indem er seiner Bedenkenhinweispflicht nachkommt. Laut einem aktuellen Urteil des OLG Düsseldorf vom 02.12.2022 (Az.: 22 U 113/22) muss hierfür der Bedenkenhinweis bestimmte Voraussetzungen erfüllen und an den richtigen Adressaten gerichtet werden.
RA Claus Rückert
Der Fall
Ein Unternehmer (AN) wird vom Auftraggeber (AG) mit BGB-Vertrag vom 05.06.2019 mit der Ausführung von Rohbauarbeiten eines Gebäudes beauftragt.
Zur Herstellung der Wände soll er das System „DuoTherm“ verwenden. Hierbei handelt es sich laut Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik (ETA-07-0235 vom 06.09.2018) um ein nicht lasttragendes verlorenes Schalungssystem, bestehend aus EPS-Schalungselementen (EPS ist die Abkürzung für expandiertes Polystyrol – es handelt sich um einen allgemein unter dem Markennamen „Styropor“ bekannten Schaumstoff). Das System besteht aus zwei EPS-Platten, die mit Ankern untereinander verbunden sind. Zwischen die beiden EPS-Platten wird Beton eingefüllt.
Am 22.07.2019 soll der AN die Wände im Erdgeschoss betonieren. Zu diesem Zeitpunkt herrschen hohe Temperaturen. Als der Beton auf die Baustelle angeliefert wird, teilt der AN dem im Auftrag des AG tätigen Bauleiter mündlich mit, dass die Temperaturen für eine Verarbeitung des Betons zu hoch seien. Er könne daher „keine Gewähr“ für die ordnungsgemäße Durchführung übernehmen. Der Bauleiter weist den AN daraufhin auf die Möglichkeit hin, den Beton durch Bewässern zu kühlen. Außerdem stellt er den AN vor die Wahl, die Betonierarbeiten durchzuführen, oder die Kosten für den angelieferten Beton sowie die Kosten für die Anlieferung und Entsorgung zu übernehmen. Der AN führt daraufhin die Betonierarbeiten durch.
Beseitigung der Mängel
Nach dem Betonieren der Wände im Erdgeschoss werden dort Hohllagen und Gefügestörungen (Betonnester) festgestellt. Hierdurch kann eine Beeinträchtigung der Standsicherheit des Gebäudes nicht ausgeschlossen werden. Denn die vollständige und hohlraumfreie Betonausfüllung der Dämmschalungssteine ist für die Standsicherheit von entscheidender Bedeutung.
Der AG setzt dem AN erfolglos eine Frist zur Beseitigung der Mängel. Letztlich beseitigt er die Mängel im Wege der Ersatzvornahme selbst und verklagt den AN auf Zahlung der Ersatzvornahmekosten in Höhe von 54.047,24 €. Darüber hinaus beantragt er im Zuge der Klage festzustellen, dass der AN ihm alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die ihm daraus entstehen, dass der AN die Wände nicht ausreichend standsicher betoniert hat.
Der AN verteidigt sich gegen die Klage u.a. mit der Behauptung, er habe vor der Ausführung der Betonierarbeiten gegenüber dem Bauleiter des AG Bedenken wegen der zu hohen Temperaturen angemeldet. Trotzdem habe der Bauleiter ihn angewiesen, die Betonierarbeiten auszuführen. Daher sei er von seiner Haftung für die Mängel frei geworden.
Das Urteil
Das OLG Düsseldorf gibt dem AG Recht. Der AN haftet in vollem Umfang für die Mängel. Denn er hat es selbst nach seinem eigenen Vortrag versäumt, eine ordnungsgemäße Bedenkenanzeige an den richtigen Adressaten zu stellen.
Ein Bedenkenhinweis muss so beschaffen sein, dass der Auftraggeber ausreichend gewarnt wird. Der Auftragnehmer muss ihm die nachteiligen Folgen und die sich daraus ergebenden Gefahren konkret darlegen. Dem Auftraggeber muss klar werden, welche Tragweite es hat, wenn er dem Bedenkenhinweis nicht nachkommt. Allgemeine und vage Hinweise genügen nicht.
Der Hinweis des AN, die Temperaturen seien zu hoch und er könne „keine Gewähr“ für die ordnungsgemäße Durchführung geben, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Dieser Hinweis beinhaltet keine Aufklärung über die nachteiligen Folgen. Insbesondere ist hieraus nicht zu entnehmen, dass die Wände möglicherweise nicht standsicher sein würden. Angesichts dieser schwerwiegenden Folge wäre ein besonders deutlicher Hinweis notwendig gewesen.
Darüber hinaus hätte der AN den Hinweis an den AG richten müssen. Ein Bedenkenhinweis an den Bauleiter/Architekten des Bauherrn reicht jedenfalls dann nicht aus, wenn dieser selbst für den Mangel verantwortlich ist oder sich den Bedenken verschließt.
Unabhängig von der Frage, ob der Bauleiter die Ausführung tatsächlich angewiesen hat und ob ein mangelfreier Einbau durch die vom Bauleiter vorgeschlagene Kühlung des Betons möglich gewesen wäre, bleibt der AN für die Mängel daher voll in der Haftung.
Praxishinweis
Ein Bedenkenhinweis sollte schon aus Beweisgründen immer schriftlich erfolgen (hier hätte nach Auffassung des OLG Düsseldorf ein mündlicher Bedenkenhinweis ausgereicht). Außerdem sollte er zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen (hier kam der Hinweis erst nach Anlieferung des Betons auf die Baustelle, so dass bei Abbruch der Betonierarbeiten unnötige Kosten entstanden wären).
Der Auftragnehmer hat es selbst in der Hand, sich durch eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Bedenkenanmeldung aus der Mängelhaftung zu befreien. Hierzu muss er die o.g. Voraussetzungen einhalten (richtiger Inhalt und richtiger Adressat der Bedenkenanmeldung). Der Auftraggeber hat dann die Mitwirkungsobliegenheit, auf die Bedenkenanmeldung zu reagieren. Bis dahin ist der Auftragnehmer in der Ausführung seiner Leistung behindert. Er sollte daher ggf. gleichzeitig mit der Bedenkenanmeldung auch Behinderung anzeigen.
Erneute Prüfung der AG-Anweisung durch AN
Sobald der Auftraggeber auf die Bedenkenanmeldung reagiert, hat der Auftragnehmer die Anweisung des Auftraggebers erneut zu prüfen. Ermöglicht auch die als Reaktion auf die Bedenkenanmeldung erfolgte Anweisung des Auftraggebers keine mangelfreie Ausführung, hat der Auftragnehmer ggf. erneut Bedenken anzumelden.
Andererseits ist der Auftragnehmer zur Ausführung seiner Leistungen verpflichtet, wenn der Auftraggeber auf einer Durchführung der Arbeiten trotz der angemeldeten Bedenken besteht (vgl. etwa OLG Hamm, Urt. v. 24.05.2012 – 21 U 95/11). Dies gilt nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Auftragnehmer mit der Ausführung seiner Leistungen gegen ein behördliches oder gesetzliches Verbot verstoßen würde oder eine Gefahr für Leib und Leben droht.
Der Auftragnehmer geht unter Umständen ein erhebliches finanzielles Risiko ein, wenn er sich in dieser Situation falsch verhält. Ist die Bedenkenanmeldung nicht ausreichend, bleibt er voll in der Haftung. Verweigert er unberechtigt die Fortsetzung der Arbeiten, droht im schlimmsten Fall die außerordentliche Kündigung durch den Auftraggeber. Daher sollte sich der Auftragnehmer im Zweifel möglichst frühzeitig anwaltlich beraten lassen, falls es nicht nur um geringfügige Mängel geht.