Abgrenzung Bauvertrag / Werklieferungsvertrag
Die Abgrenzung von Bauvertrag und Werklieferungsvertrag ist von herausragender Bedeutung, da der Werklieferungsvertrag weitgehend dem Kaufrecht unterliegt. Daraus ergeben sich gravierende Unterschiede:
- Das Kaufrecht kennt beispielsweise keinen Anspruch des Verkäufers auf Abschlagszahlungen (vgl. § 632a BGB).
- Die gesetzlichen Sicherungsrechte zugunsten von Bauunternehmern (§§ 650e, 650f BGB) sind im Kaufrecht nicht anwendbar.
- Die Möglichkeit, jederzeit den Vertrag zu kündigen, kennt nur das Werkvertragsrecht (vgl. § 648 BGB).
- Im Falle von Mängeln gibt es ein Recht auf Selbstvornahme und Kostenvorschuss nur beim Werkvertrag.
- Ein weiterer wichtiger Unterschied ergibt sich aus dem Recht des Handelskaufs: Sind beide Vertragspartner Kaufleute, so muss beim Werklieferungsvertrag der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung untersuchen und etwaige Mängel gegenüber dem Verkäufer rügen; anderenfalls gilt die Ware als genehmigt (so genannte Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gemäß §§ 377 Abs. 1, 2, 381 Abs. 2 HGB). Dem Käufer stehen bei nicht rechtzeitiger Rüge keine Mängelansprüche gegen den Verkäufer mehr zu. Eine entsprechende Regelung gibt es beim Bauvertrag nicht.
Der Bundesgerichtshof hat mit der bekannten Silo-Entscheidung (BGH, Urt. vom 23.07.2009, Az. VII ZR 151/08 – BGHZ 182, 140 = BauR 2009, 1581) entschieden, dass alle Verträge, die allein die Lieferung von herzustellenden beweglichen Bau- oder Anlagenteilen zum Gegenstand haben, nach Maßgabe des § 651 a.F. BGB (nunmehr § 650 BGB) nach Kaufrecht zu beurteilen sind.
Die Zweckbestimmung der Teile, in Bauwerke – hier: eine Siloanlage – eingebaut zu werden, rechtfertige keine andere Beurteilung. Dies gilt auch dann, wenn der Lieferant für die Herstellung der Bau- und Anlagenteile auch Planungsleistungen zu erbringen hat, die nicht den Schwerpunkt des Vertrages bilden.
Käufer von Baumaterialien – typischerweise Bauunternehmer – müssen daher im Rahmen ihres Materialeinkaufs die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit gemäß §§ 377 Abs. 1, 2, 381 Abs. 2 HGB beachten, um ihre Mängelrechte nicht zu verlieren. Dies erforderte eine sorgfältig dokumentierte Wareneingangskontrolle – gleich ob die Ware im Betrieb oder auf der Baustelle angeliefert wird.
Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung:
- Die Lieferung und Montage eines Umluftkühlsystems für eine Lackiererei unterliege dem Kaufrecht, entschied das OLG Düsseldorf, Urt. vom 06.11.2012, Az. 21 U 75/11.
- Werkvertragsrecht soll hingegen für einen Vertrag über Lieferung und Montage einer Einbauküche nach einem auf den Grundriss der Küche abgestellten Einbauplan gelten (OLG Frankfurt, Urt. vom 09.04.2008, Az. 19 U 280/07, BauR 2008, 1494; Kammergericht, Urt. vom 17.03.2006, Az. 7 U 221/05). Allerdings werden solche Verträge von Kaufverträgen oder Werklieferungsverträgen mit Montageverpflichtung abzugrenzen sein.
- Ein Vertrag über die Herstellung, Lieferung und den Einbau von Türen ist ein Werklieferungsvertrag, wenn die Montage- und Einbaukosten weniger als 5% der Gesamtrechnungssumme ausmachen (OLG Köln, Beschl. vom 13.04.2015, Az. 11 U 183/14).
- Bei Lieferung und Montage von Photovoltaikanlagen liegt der Schwerpunkt der Leistung in der Regel auf der Lieferung; es handelt sich in diesem Fall nicht um einen Bauvertrag, sondern um einen Kaufvertrag mit Montageverpflichtung (BGH, Urt. vom 03.03.2004, Az. VIII ZR 76/03, BauR 2004, 995). In diesem Sinne auch OLG Naumburg, Urt. vom 20.02.2014, Az. 1 U 86/13, BauR 2014, 1362. In einem besonders liegenden Fall hat der BGH aber einen Werkvertrag angenommen (BGH, Urt. vom 02.06.2016, Az. VII ZR 348/13).
- Kaufrecht gilt auch für die Lieferung serienmäßig hergestellter Windkraftanlagen, die auf bauseitige Fundamente montiert werden (OLG Schleswig, Urt. vom 07.09.2007, Az. 4 U 156/06).
- Bei Lieferung und Einbau von Tankbehältern ist Werkvertragsrecht anzuwenden, wenn der Lieferant auch Planungsleistungen zu erbringen hat (OLG Naumburg, Urt. vom 26.06.2014, Az. 2 U 131/13).
- Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag (BGH, Urt. vom 20.10.2021, Az. I ZR 96/20).
Weiterführende Informationen zum Thema
Arbeitshilfen
Aufsätze
Kommentare und Handbücher
- Leupertz, Halfmeier, in: Prütting / Wegen / Weinreich, BGB-Kommentar, 17. Auflage 2022, § 650 BGB Rn. 1 ff
- Dressel, in: Langen / Berger / Dauner-Lieb, Kommentar zum Bauvertragsrecht, 2. Auflage 2022, § 650 BGB Rn. 1 ff
- Prütting / Wegen / Weinreich, BGB – Kommentar, 17. Auflage 2022, § 650 BGB
Rechtsprechung
- BGH, Urt. vom 20.10.2021, Az. I ZR 96/20
Revision einer eingetragenen Verbraucherzentrale wegen des Widerrufsrechts eines Vertrages über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts; Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des Widerufsrechts
- BGH, Urt. vom 02.06.2016, Az. VII ZR 348/13
Anwendung der Verjährungsfrist von fünf Jahren für Arbeiten bei Bauwerken für die nachträgliche Errichtung einer Photovoltaikanlage auf dem Dach einer Tennishalle; Fester Einbau der Anlage zur dauernden Nutzung; Beurteilung des Einbaus als grundlegende Erneuerung der Tennishalle; Funktionserfüllung der Anlage für die Tennishalle; Mangelhaftigkeit der Anlage aufgrund eines reduzierten Leistungsbilds sämtlicher Module
Gesetzgebung