In einer Zeit des hybriden Arbeitens hat das Finden und langfristige Halten von Fachkräften für Kanzleien und Rechtsabteilungen große Bedeutung und wird voraussichtlich den Rechtsmarkt in den kommenden Jahren maßgeblich beeinflussen. Laut unserer aktuellen Future Ready Lawyer Studie sieht eine überwältigende Mehrheit (81 %) der Jurist:innen die Fähigkeit, Fachkräfte einzustellen und an sich zu binden, als einen der einflussreichen Trends in ihrer Arbeit in den nächsten drei Jahren. Durch seine Arbeit als Leiter Media Sales bei Wolters Kluwer für unter anderem Legal Tribune Online (LTO) und das dazugehörige Karriere-Portal LTO-Karriere betreut Janosch Kleibrink seit vielen Jahren vor allem die Personalabteilungen großer Kanzleien in Deutschland. Wir sprachen mit ihm über die aktuellen Herausforderungen und Trends auf dem Recruiting-Markt.
Was sind aus Deiner Sicht die aktuellen Herausforderungen für Kanzleien, wenn es um das Recruiting von neuen Mitarbeiter:innen geht?
Wie in vielen Bereichen gibt es auch auf dem Rechtsmarkt einen Kampf um Nachwuchstalente. Es herrscht ein intensiver Wettbewerb zwischen verschiedenen Arbeitgebern, die besten und talentiertesten Jurist:innen für sich zu gewinnen. Insbesondere große Kanzleien und renommierte Unternehmen, aber auch spezialisierte Boutique-Kanzleien, konkurrieren um die Top-Talente, da diese einen großen Einfluss auf den Erfolg und die Reputation der Organisation haben können. Da die Nachfrage nach hochqualifizierten Jurist:innen das Angebot übersteigt, kommt es zu einer erhöhten Konkurrenz um diese Fachkräfte. Daher müssen Arbeitgeber attraktive Anreize bieten, um die besten Kandidat:innen anzuziehen und langfristig an sich zu binden.
Auch der geografische Aspekt ist nicht zu unterschätzen, da die meisten Jurist:innen in Metropolen oder Metropolregionen arbeiten möchten – bspw. in Düsseldorf, Hamburg oder Frankfurt. Die erhöhte Nachfrage nach Arbeitsplätzen in Metropolen führt dazu, dass Arbeitgeber in diesen Gebieten selektiver bei der Einstellung sein können, da sie oft eine größere Auswahl an Bewerber:innen haben. Im Gegensatz dazu ist die Nachfrage nach Arbeitsplätzen in kleineren Städten oder ländlichen Gebieten oft geringer. Um qualifizierte Jurist:innen für sich zu gewinnen, müssen Arbeitgeber in diesen Regionen gezielt überzeugende Anreize schaffen.
Wonach suchen Fachkräfte und was muss der potenzielle Arbeitgeber ihnen bieten?
Neben den klassischen Benefits wie Obstkörben, Kaffeevollautomaten und After-Work-Drinks, wird in vielen Unternehmen insbesondere das Angebot von Homeoffice und mobilem Arbeiten stark nachgefragt. Es gibt verschiedene Ansätze, wie beispielsweise das Angebot von Full-Remote-Arbeitsmodellen, und Kanzleien reagieren darauf entsprechend.
Ein gewisser technologischer Standard ist für viele Jurist:innen eine grundlegende Voraussetzung. Sie legen Wert auf eine umfassende Ausstattung mit technologischen Hilfsmitteln und Ressourcen, zu denen Schulungen, Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität und spezielle Software gehören. Insgesamt betrachten laut unserer aktuellen Future Ready Lawyer Studie etwa 90 % der Jurist:innen Investitionen in Legal Tech als wichtig. Allerdings haben vor allem kleinere Kanzleien oft noch Nachholbedarf bei der Technologisierung.
Auch die Work-Life-Balance wird von Kanzleien oft als Benefit angeboten, jedoch bleibt die Frage, wie gut sie tatsächlich umgesetzt wird.
Wie wichtig siehst Du die Rolle von DEIB-Aktivitäten von Kanzleien?
Die Themen Vielfalt, Gleichheit, Inklusion und Zugehörigkeit (engl. kurz DEIB) sowie gesellschaftliche Verantwortung gewinnen zunehmend an Bedeutung, insbesondere in den letzten Wochen und Monaten im Zusammenhang mit den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Viele Kanzleien haben sich klar positioniert und betonen ihr Engagement für Vielfalt. Diese Haltung wird auch in Stellenanzeigen deutlich thematisiert, unabhängig von der Größe der Kanzlei. Zusätzlich werden Veranstaltungen angeboten, die sich mit sozialer Verantwortung und der Weiterentwicklung in diesem Bereich beschäftigen. Es ist erfreulich zu sehen, dass sich in diesem Bereich etwas tut und dass Kanzleien sich aktiv engagieren.
Welche Trends erkennst Du bei den Bewerbungsprozessen?
Im Jahr 2017, als ich bei Wolters Kluwer angefangen habe, waren auf dem Rechtsmarkt die klassischen Stellenanzeigen und Karrieremessen die gängigen Methoden, um Talente zu finden. Doch durch die Pandemie wurde das Recruiting plötzlich digitaler, wodurch sich einige Veränderungen beschleunigt haben.
Die Digitalisierung im Recruiting hat an Bedeutung gewonnen, und es wurden zusätzlich andere Werbemittel und Plattformen genutzt, um potenzielle Bewerber:innen anzusprechen. Als Arbeitgeber ist es heute wichtig, über Stellenanzeigen hinaus zu denken. Diese sind zwar weiterhin ein essenzieller Bestandteil des Recruitings, neben der Sichtbarkeit der offenen Positionen sollten aber tiefere Einblicke in die jeweilige Arbeitgeberkultur und Transparenz eine Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung von Podcasts für Recruiting-Zwecke, in denen Kanzleien sich als potenzielle Arbeitgeber präsentieren können. Im Karriere-Podcast „Irgendwas mit Recht“ stellen sich regelmäßig Mitarbeitende aus Kanzleien vor. Das führt dann bspw. zu vielen Initiativbewerbungen, die aus der Hörerschaft kommen.
Ein sich immer weiterentwickelnder Trend ist die One-Click-Bewerbung. Durch das Anlegen eines Profils können Bewerber:innen mit nur einem Klick ihre Bewerbung einreichen, ohne eine ausführliche Motivationsbewerbung verfassen zu müssen. Wir bieten bei LTO-Karriere, dem Karriere-Portal unseres Rechtsmagazins Legal Tribune Online, eine solche Möglichkeit an. Einige Arbeitgeber finden dies gut, da sie viele Bewerbungen erhalten. Aber es geht nicht immer um Quantität, sondern auch um Qualität. Daher sorgen wir bei LTO-Karriere mit einem intelligenten Matching-System dafür, dass die Nutzer:innen die jeweils am besten zu ihrem Profil passenden Positionen priorisiert angezeigt bekommen. Letztlich muss jede Kanzlei für sich selbst entscheiden, welche Strategie sie fährt – daher lässt sich die One-Click-Bewerbung bei uns auch ausschalten. Um einen sauberen Übergang zu gewährlisten und den Prozess effizient zu gestalten, bieten wir auch individuelle Schnittstellen an, die solche Bewerbungen direkt in das jeweilige HR-Management-System einfließen lassen.
Immer häufiger wird darüber hinaus die Methode des Active Sourcings thematisiert. Also die Direktansprache von potenziellen Kandidat:innen z. B. über Social Media. Was früher meist der Weg der Personalberatenden war, wird mittlerweile von einigen Arbeitgebern selbst betrieben. Unter anderem, um hohe Vermittlungsgebühren zu vermeiden. Dabei sind allerdings mehrere Dinge zu beachten. Zum einen setzt erfolgreiches Active Sourcing voraus, dass man sich vorher als interessanter Arbeitgeber positioniert. Im besten Fall kennen die angesprochenen Personen das Unternehmen also bereits. In jedem Fall sollten aber genügend Informationen einfach zugänglich zu finden sein. Bei LTO arbeiten wir z. B. mit sehr ausführlichen Arbeitgeberprofilen. Diese enthalten häufig sogar mehr Angaben als auf der arbeitgebereigenen Website zu finden sind. So bspw. Infos zu Einstiegsgehältern oder der Frauenquote. Weiterhin bedeuten steigende Active Sourcing Aktivitäten auch eine erhöhte Menge von Anfragen vor allem für die sehr gut qualifizierten Kandidat:innen. Das kann im Zweifel auch negativ ankommen und sollte mit entsprechender Sensibilität betrieben werden.
Zum Abschluss ein Ratschlag an Bewerber:innen: Bei virtuellen Gesprächen, seien es Vorstellungsgespräche oder Karrieremessen, sollte man die Möglichkeit des Austauschs mit dem potenziellen Arbeitgeber nutzen. Wir haben festgestellt, dass es hier eine große Diskrepanz zu Präsenzterminen gibt. Ich war schon in virtuellen Meetings, wo Kameras und Mikrofone die ganze Zeit ausblieben und sich die Bewerber:innen regelrecht versteckt haben. Ein sofortiger Zugriff ist schön und gut, aber auch bei virtuellen Gesprächen sollte man sich genauso präsentieren, als wäre man bei einer Präsenzveranstaltung.
Vielen Dank.