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Recht & Verwaltung10 Oktober, 2024

Aktuelle Herausforderungen im Kündigungsrecht

Autor: Dr. Guido Schlünder

Der EuGH, Unionsrecht und darauf bezogene Rechtsprechung des BAG halten das Kündigungsrecht in Bewegung.

Dr. Guido Schlünder

Das KSchG gehört zu den stabilen Rechtsmaterien. Die letzte Gesetzesänderung erfolgte vor mehr als drei Jahren und betraf die Einfügung der Absätze 3a und 3b in § 15 KSchG. Der eigentliche Kernbereich des Gesetzes ist seit zwei Jahrzehnten unverändert.

Gleichwohl stellen sich dem Rechtsanwender im Kündigungsrecht beständig neue Fragen. Dabei spielen die Bezüge zum Unionsrecht eine große Rolle. Wichtige Rechtsfragen entscheidet inzwischen nicht nur das BAG. Der Einfluss des EuGH ist im Kündigungsrecht zunehmend bedeutender geworden.

Neujustierung der Rechtsprechung zur Massentlassungsanzeige?

Für das KSchG unmittelbar bedeutsam ist die Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie; MERL). Obwohl weder die MERL noch die §§ 17 ff. KSchG in den letzten Jahren maßgeblich geändert wurden, ist die Frage der Bedeutung der mangelhaften Massenentlassungsanzeige für eine Kündigung wieder im Fluss. Einige Fragen, etwa zu den sog. „Soll-Angaben“ des § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG oder zur Übermittlungspflicht des § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG haben der Zweite und der Sechste Senat des BAG inzwischen geklärt.

Beide Senate haben sich aber wegen Zweifeln an einer seit mehr als einem Jahrzehnt bestehenden Rechtsprechung des BAG an den EuGH gewandt, um die kündigungsschutzrechtlichen Folgen eines völligen Fehlens der Massenentlassungsanzeige klären zu lassen. Die Antwort steht aus.

Unionsrechtliche Diskriminierungsverbote und nationales Kündigungs- und Verfassungsrecht

Unionsrecht spielt im Kündigungsrecht aber auch außerhalb des KSchG eine gewichtige Rolle, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Benachteiligungsverbot wegen der Religion im AGG bzw. in der Gleichbehandlungs-Richtlinie 2000/78/EG. Dies berührt auch Fragen des deutschen Verfassungsrechts, etwa in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Die Kündigung des geschiedenen, wiederverheirateten Chefarztes eines kirchlichen Krankenhauses fällt in diese Kategorie.

Noch exemplarischer sind die Fälle der Kündigung wegen Kirchenaustritts einer Hebamme bzw. einer Mitarbeiterin in der Schwangerschaftsberatung, da hier wegen nicht erfüllter Wartezeit bzw. der Kleinbetriebsklausel das KSchG keine Anwendung fand. Nachdem sich der erste Fall im Anschluss an eine Verhandlung vor dem EuGH erledigt hat, ist im zweiten Fall der Vorlagebeschluss des BAG noch anhängig.

Vielzahl unionsrechtlicher Bezüge zum nationalen Kündigungsrecht

Der Zusammenklang von nationalem Recht und Unionsrecht spielte auch eine Rolle bei der Vorlage des BAG an den EuGH betreffend den Sonderkündigungsschutz des Datenschutzbeauftragten in § 6 Abs. 4 Satz 2 BDSG, der in dieser Form in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO nicht vorgesehen ist. Äußerungen in einer Chatgruppe waren vom BAG hinsichtlich ihrer Verwertbarkeit im Kündigungsschutzprozess genauso unter Berücksichtigung der DSGVO zu prüfen, wie Videoaufzeichnungen bei einer Torkontrolle.

Erst unlängst hat sich der EuGH zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen nach den Vorgaben der Mutterschutzrichtlinie 92/85/EWG mit Blick auf § 5 KSchG geäußert (EuGH 27.06.2024 C 284/23 - [Haus Jacobus]). Ob eine Entscheidung des EuGH zum Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung (EuGH 10.02.2022 C 485/20 - [HR Rail]) Auswirkungen auf Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG hat, bleibt abzuwarten. Die Einwirkung des Unionsrechts auf das nationale Kündigungsrecht wird auch in Zukunft zu klärungsbedürftigen Fragen führen.

Bildnachweis: Patrick Daxenbichler/stock.adobe.com

Dr. Guido Schlünder

Richter am Bundesarbeitsgericht (Zweiter Senat)

Autor beim KR-Kommentar (Luchterhand Verlag)

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