Nicht nur auf die Lauten hören
Nicht jedes Kind, das zu uns aus dem Krieg kommt, ist traumatisiert und es hilft auch nicht, alle Kinder „in Watte zu packen“. Auch hier gilt es, behutsam und genau zu beobachten. Wie in der Arbeit mit Trauernden gibt es auch und gerade bei Kindern die unterschiedlichsten Ausdrucks- und Verarbeitungsformen im Umgang mit Ungekannten und Bedrückendem: Wut, Trauer, Angst, Mut, Überheblichkeit, Rationalisierung usw. Und nicht immer sind es diejenigen, die ihre Gefühle laut herausschreien, die am meisten unter einer Situation leiden. Oft sind es die Stillen, die Unscheinbaren, die auch andere Formen der Ansprache, der Beschäftigung, des Miteinanders benötigen.
In der Flüchtlingssituation 2015 gab es Kinder, die sich aus Angst nicht in einem geschlossenen Raum aufhalten konnten, die durch bestimmte Laute an schreckliche Ereignisse erinnert wurden. Hier ist in erster Linie eine Sensibilität im Umgang mit den Kindern gefordert, ein behutsamer Versuch des Verstehens, aber auch ein Herausgehen aus bedrückenden Situationen, ein Eingehen auf unterschiedliche Bedürfnisse von Nähe und Distanz. Hier ist die professionelle Person gefordert, auch dergestalt, dass die Grenzen der eigenen Profession erkannt werden. Zum einen in die Richtung, dass nicht jedes ungewöhnliche Verhalten nach einem*einer Psycholog*in schreit (oft gibt es auch ganz einfache Erklärungen für zunächst ungewöhnlich erscheinenden Verhalten), zum anderen aber auch in die Richtung, dass eine pädagogische Fachkraft nicht therapeutische Leistungen erbringen kann. Zuweilen hilft es, sich in einem Team über einzelne Besonderheiten und Fälle auszutauschen und sich bzw. dem Kind und der Familie dann ggf. Hilfe bei spezialisierten Einrichtungen oder Diensten zu holen.
Konfliktlösung im Kleinen ist ein Beitrag zum Frieden
Ja, die Kita ist in Bezug auf den Krieg machtlos und ihm und seinen Folgen ausgeliefert. Aber die Kita kann im Kleinen ihren Beitrag dazu leisten, und das ist für viele die Motivation zum Beruf, die Welt ein kleines Stück besser zu machen und durch Erziehung und Bildung, so zumindest die Hoffnung, eine bessere Generation zu prägen. Das Erlernen und Einüben von sozialer Kompetenz, insbesondere die der friedlichen Lösung von Konflikten ist und bleibt eine wichtige Grundaufgabe schon in der Kita (vgl. Schneider 2019). Gerade in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft kommt es entscheidend darauf an, mit widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung einer Menschenwürde aller Menschen in geregelten und wertschätzenden Verfahren umzugehen und zu Lösungen zu kommen, mit denen auch Minderheiten leben können.
Ein Konflikt ist dabei auch der Konflikt um die wenigen Plätze in der Kindertageseinrichtung. Wenn es uns ernst ist mit der Bedeutung der frühen Bildung, dann muss es auch ein gesellschaftliches Anliegen sein, den Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung und Erziehung auch und gerade für die geflüchteten Kinder aus der Ukraine sicherzustellen und mit aller Kraft, mit Finanzmitteln und Personal und einem großen Schuss an Kreativität umzusetzen. Diese Herausforderung ist auch zu meistern, indem gezielt auch pädagogische Fachkräfte aus den Heimatländern der geflüchteten Kinder angeworben werden. In Anbetracht der Not sollte sehr großen Wert auf pädagogische Qualitäten gelegt werden, die deutschen Sprachkenntnisse allein machen noch keine pädagogische Qualität aus. Es bleibt zu hoffen, dass es vielen Kitas gelingt, hier Fachkräfte, zumindest vorrübergehend zu gewinnen, die die Arbeit in der Kita bereichern und andere, neue und fremde Aspekte hineinbringen. Natürlich bedarf es dazu einer offenen Kultur und einer Leitung, die sich als Anwalt aller Kinder in einem Sozialraum versteht und der die Lösung von Herausforderungen wichtig ist als das Beharren auf dem „wie es immer war“. Vielfach zeigt sich gerade in Krisenzeiten wie diesen, dass Kitas, die in Qualität investiert haben, gute Möglichkeiten entwickeln, an Herausforderungen zu wachsen.
Kreativität als Verarbeitung
Der Mensch drückt sich nicht nur in Sprache aus, die Kommunikationskanäle gerade der kleinen Kinder sind vielfältig. Die Förderung dieser Vielfalt dient auch den Kindern mit Kriegserfahrungen zur Verarbeitung von Erlebnissen. Auch hierbei gilt es, Kindern eine sichere Atmosphäre zu bieten, in der sie ermuntert und bestärkt werden, sich in ihren unterschiedlichen Äußerungsformen einer Kreativität auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. Kaiser-Hylla sieht Kreativität als personale Ressource an: „Wenngleich die Resilienz einer Person über die Zeit und zwischen unterschiedlichen Situationen variiert, kann Kreativität die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, herausfordernde Situationen unbeschadet zu bewältigen und vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen“ (Kaiser-Hylla 2019, S. 144).
Gerade Kleinkinder sind oft Meister darin, sich im Sinne eines Flows ganz in eine Beschäftigung hinein zu geben, um sich herum die Welt zu vergessen und dabei ganz „bei der Sache“ zu sein. Vielleicht können wir von diesen Situationen als Erwachsene lernen, lassen wir uns doch durch ein oft gefordertes „Multitasking“ allzu oft und vielleicht auch allzu gerne aus „Flow-Situationen“ herausreißen. Angesicht der vielen Spielzeuge, mit denen schon die kleinsten Kinderzimmer gefüllt sind, sind es manchmal die einfachen Dinge, die für die Kreativität und damit für das Leben wichtig sind, denn auf lange Sicht wird es nicht darauf ankommen, dass Kinder „spielend bei den Sachen sind“, sondern viel eher „spielend bei der Sache“.
Fazit
Bei uns selbst herausfordernden Lebens- und Grenzsituationen wie dem Krieg ist es mehr als sonst erforderlich, bei sich selbst auch die eigenen Verarbeitungsformen und -geschichten zu reflektieren und mit den Kindern beobachtend und am Tempo der Kinder orientiert auf das Thema einzugehen, oder eben auch andere Themen oder Verarbeitungsmöglichkeiten zu nutzen und zu schaffen. Auf keinen Fall ist es sinnvoll, das Thema Krieg aus der Kita rauszuhalten oder zu stark in den Vordergrund zu bringen. Schließlich kann die Kita im Kleinen auch Frieden fördern und sollte dies auch als pädagogische Herausforderung sehen.