Das Thema Krieg in der Kita
Recht & Verwaltung13 Mai, 2022

Das Thema Krieg in der Kita

Viele von uns in Friedenszeiten aufgewachsene Menschen hätten nicht daran gedacht, dass bei all den schmerzlichen Erfahrungen, die Eltern und/oder Großeltern im Krieg oder in Kriegen gemacht haben, noch einmal in Europa ein Krieg ausbrechen würde. Mit all seinem Schrecken, Elend und seinen Folgen ist der Krieg in der Kita angekommen und ist mehr oder weniger direkt oder indirekt Thema. Wie damit umgehen?

Prof. Dr. Armin Schneider

Kindern Krieg erklären: Erste Gedanken und Ideen zum Umgang

In unterschiedlicher Art werden Kinder mit dem Thema Krieg, Armut und Flucht konfrontiert, teilweise über die Medien, über Diskussionen in der Familie oder aber sehr direkt, in dem sie selbst geflohen sind und/oder direkt in der Ukraine den Krieg erlebt haben. Sowohl ein Verdrängen als auch ein Triggern in Form eines direkten Nachfragens scheinen, zumindest aus psychologischer Sicht, nicht der richtige Umgang mit dem Thema zu sein. Hier wie auch in allen anderen Situationen des Umgangs mit kleinen Kindern, ist es wichtig, zu beobachten und die Themen von den Kindern selbst kommen zu lassen. Nicht jede und jeder kann (erst recht nicht in dem Alter, viele auch als Erwachsene noch nicht) Erlebtes in Worte fassen oder sich dazu äußern und trotzdem wirkt der Krieg in den Köpfen der Kleinen.

Nicht angebracht (auch bei anderen eher heiklen) Themen ist die Tabuisierung, etwa das Verbot des Redens über den Krieg in der Kita. Alles, was Kinder beschäftigt, berührt, sie neugierig, ängstlich macht, zu ihrer Lebenswelt gehört, sollte auch altersgerecht Thema in der Kita sein. Dabei ist es wichtig, die Kinder ernst zu nehmen, auch eigene Ängste zu benennen und Ungewissheiten deutlich zu machen. Es wäre falsch die eigenen Ängste zu überspielen oder zu vertuschen im Sinne eines „ist ja nicht so schlimm“. Manchmal hilft es auch, die eigenen Sorgen zum Ausdruck zu bringen und gemeinsame Rituale zu finden, mit dem Unbegreiflichen umzugehen, mit einem Schweigen, einem Gedenken, einem Gebet oder den Gedanken der Kinder in einer Morgenrunde freien Lauf zu lassen.

Eigene Erfahrungen reflektieren

Dass Kriege (leider auch nachhaltig) in uns wirken, merken wir in der eigenen Familie und deren Verwobenheit mit Krieg, Elend und Gewalt. Viele Erlebnisse, wenn sie denn überhaupt verarbeitet sind, finden sich in der eigenen Familiengeschichte wieder.

Ich erinnere mich an Erzählungen meines Großvaters über seine Aufmüpfigkeit gegenüber Obrigkeiten im Ersten Weltkrieg und auch später im Nationalsozialismus, die ihn knapp am Konzentrationslager vorbeikommen ließen. Meine heute 87-jährige Mutter kann sich noch genau erinnern, als sie 5 Jahre alt war, wo sie mit wem genau in der Küche saß, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Als Kind war ich neugierig auf die Erfahrungen meines Vaters in seiner Kindheit, die vom Krieg und der „armen Zeit“ geprägt war, in der meine Großmutter immer wieder zwei ihrer Kinder zu wohlhabenderen weiteren Verwandten schickte, damit sie zumindest dort gut mit Lebensmitteln versorgt wurden. Sehr lebendig ist mir aus meiner Kindheit selbst noch das Titelbild der Tageszeitung in Erinnerung, die den Überfall der Terrorist*innen auf das olympische Dorf in München 1972 zeigte. Für mich damals das erste Mal, dass ich in meiner Zeit brutale Gewalt medial mitbekam.

Sabine Bode beschreibt in ihrem Buch „Kriegsenkel“, wie sich die Erfahrung eines Krieges auch noch Generationen später auf das Leben auswirkt und auswirken kann: Oft sind es Verstrickungen von Schuld, Täterschaft, Scham, die das Sprechen über Krieg und Kriegserfahrungen mit Tabus belegen und zu schwierigen und belasteten Beziehungen, emotionalen Störungen usw. führen. Auf der anderen Seite zeigen sich aber in der Verarbeitung vielen Beispiele einer Resilienz, von Versöhnung, Verzeihung und ganz persönlichen Formen der Begegnungen. Beispielsweise ist mir das Beispiel eines alten Mannes bekannt, der selbst als Soldat im Zweiten Weltkrieg war (genaueres hat er nie dazu gesagt) und der sich rührend um die Kinder aus der Umgebung des havarierten Atomreaktors in Tschernobyl kümmerte und dazu seine im Krieg erworbenen Russisch-Kenntnisse nutzte.

Die eigene Familiengeschichte zeigt auch den Umgang mit dem Thema Krieg, wie behutsam, dramatisch, zurückhaltend, skandalös, traurig, heldenhaft oder wie auch immer. Dieser Umgang hat uns berührt und auch ein Stück weit geprägt. Wichtig ist es, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und das eigene Leben und die mit dem Krieg in der Nähe oder Ferne, in der Gegenwart oder der Vergangenheit verbundenen Erlebnisse zu reflektieren und auch zu überlegen, welchen Anteil sie (heute noch) haben. Wenn einem dies bewusst ist, wird zu einem deutlich, was Krieg und Reden darüber mit einem selbst gemacht hat und was Krieg auch mit den uns anvertrauten Kindern macht. Auch zeigt dies die Bedeutung, pädagogisch mit den Ängsten, Nöten, Enttäuschungen, aber auch Hoffnungen, Gefühlen, Solidaritäts- und Hilfserfahrungen umzugehen, damit der Krieg möglichst wenig Folgen für das gesunde Aufwachsen und die weitere Entwicklung hat.

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Nicht nur auf die Lauten hören

Nicht jedes Kind, das zu uns aus dem Krieg kommt, ist traumatisiert und es hilft auch nicht, alle Kinder „in Watte zu packen“. Auch hier gilt es, behutsam und genau zu beobachten. Wie in der Arbeit mit Trauernden gibt es auch und gerade bei Kindern die unterschiedlichsten Ausdrucks- und Verarbeitungsformen im Umgang mit Ungekannten und Bedrückendem: Wut, Trauer, Angst, Mut, Überheblichkeit, Rationalisierung usw. Und nicht immer sind es diejenigen, die ihre Gefühle laut herausschreien, die am meisten unter einer Situation leiden. Oft sind es die Stillen, die Unscheinbaren, die auch andere Formen der Ansprache, der Beschäftigung, des Miteinanders benötigen.

In der Flüchtlingssituation 2015 gab es Kinder, die sich aus Angst nicht in einem geschlossenen Raum aufhalten konnten, die durch bestimmte Laute an schreckliche Ereignisse erinnert wurden. Hier ist in erster Linie eine Sensibilität im Umgang mit den Kindern gefordert, ein behutsamer Versuch des Verstehens, aber auch ein Herausgehen aus bedrückenden Situationen, ein Eingehen auf unterschiedliche Bedürfnisse von Nähe und Distanz. Hier ist die professionelle Person gefordert, auch dergestalt, dass die Grenzen der eigenen Profession erkannt werden. Zum einen in die Richtung, dass nicht jedes ungewöhnliche Verhalten nach einem*einer Psycholog*in schreit (oft gibt es auch ganz einfache Erklärungen für zunächst ungewöhnlich erscheinenden Verhalten), zum anderen aber auch in die Richtung, dass eine pädagogische Fachkraft nicht therapeutische Leistungen erbringen kann. Zuweilen hilft es, sich in einem Team über einzelne Besonderheiten und Fälle auszutauschen und sich bzw. dem Kind und der Familie dann ggf. Hilfe bei spezialisierten Einrichtungen oder Diensten zu holen.

Konfliktlösung im Kleinen ist ein Beitrag zum Frieden

Ja, die Kita ist in Bezug auf den Krieg machtlos und ihm und seinen Folgen ausgeliefert. Aber die Kita kann im Kleinen ihren Beitrag dazu leisten, und das ist für viele die Motivation zum Beruf, die Welt ein kleines Stück besser zu machen und durch Erziehung und Bildung, so zumindest die Hoffnung, eine bessere Generation zu prägen. Das Erlernen und Einüben von sozialer Kompetenz, insbesondere die der friedlichen Lösung von Konflikten ist und bleibt eine wichtige Grundaufgabe schon in der Kita (vgl. Schneider 2019). Gerade in einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft kommt es entscheidend darauf an, mit widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung einer Menschenwürde aller Menschen in geregelten und wertschätzenden Verfahren umzugehen und zu Lösungen zu kommen, mit denen auch Minderheiten leben können.

Ein Konflikt ist dabei auch der Konflikt um die wenigen Plätze in der Kindertageseinrichtung. Wenn es uns ernst ist mit der Bedeutung der frühen Bildung, dann muss es auch ein gesellschaftliches Anliegen sein, den Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung und Erziehung auch und gerade für die geflüchteten Kinder aus der Ukraine sicherzustellen und mit aller Kraft, mit Finanzmitteln und Personal und einem großen Schuss an Kreativität umzusetzen. Diese Herausforderung ist auch zu meistern, indem gezielt auch pädagogische Fachkräfte aus den Heimatländern der geflüchteten Kinder angeworben werden. In Anbetracht der Not sollte sehr großen Wert auf pädagogische Qualitäten gelegt werden, die deutschen Sprachkenntnisse allein machen noch keine pädagogische Qualität aus. Es bleibt zu hoffen, dass es vielen Kitas gelingt, hier Fachkräfte, zumindest vorrübergehend zu gewinnen, die die Arbeit in der Kita bereichern und andere, neue und fremde Aspekte hineinbringen. Natürlich bedarf es dazu einer offenen Kultur und einer Leitung, die sich als Anwalt aller Kinder in einem Sozialraum versteht und der die Lösung von Herausforderungen wichtig ist als das Beharren auf dem „wie es immer war“. Vielfach zeigt sich gerade in Krisenzeiten wie diesen, dass Kitas, die in Qualität investiert haben, gute Möglichkeiten entwickeln, an Herausforderungen zu wachsen.

Kreativität als Verarbeitung

Der Mensch drückt sich nicht nur in Sprache aus, die Kommunikationskanäle gerade der kleinen Kinder sind vielfältig. Die Förderung dieser Vielfalt dient auch den Kindern mit Kriegserfahrungen zur Verarbeitung von Erlebnissen. Auch hierbei gilt es, Kindern eine sichere Atmosphäre zu bieten, in der sie ermuntert und bestärkt werden, sich in ihren unterschiedlichen Äußerungsformen einer Kreativität auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. Kaiser-Hylla sieht Kreativität als personale Ressource an: „Wenngleich die Resilienz einer Person über die Zeit und zwischen unterschiedlichen Situationen variiert, kann Kreativität die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, herausfordernde Situationen unbeschadet zu bewältigen und vielleicht sogar gestärkt daraus hervorzugehen“ (Kaiser-Hylla 2019, S. 144).

Gerade Kleinkinder sind oft Meister darin, sich im Sinne eines Flows ganz in eine Beschäftigung hinein zu geben, um sich herum die Welt zu vergessen und dabei ganz „bei der Sache“ zu sein. Vielleicht können wir von diesen Situationen als Erwachsene lernen, lassen wir uns doch durch ein oft gefordertes „Multitasking“ allzu oft und vielleicht auch allzu gerne aus „Flow-Situationen“ herausreißen. Angesicht der vielen Spielzeuge, mit denen schon die kleinsten Kinderzimmer gefüllt sind, sind es manchmal die einfachen Dinge, die für die Kreativität und damit für das Leben wichtig sind, denn auf lange Sicht wird es nicht darauf ankommen, dass Kinder „spielend bei den Sachen sind“, sondern viel eher „spielend bei der Sache“.

Fazit

Bei uns selbst herausfordernden Lebens- und Grenzsituationen wie dem Krieg ist es mehr als sonst erforderlich, bei sich selbst auch die eigenen Verarbeitungsformen und -geschichten zu reflektieren und mit den Kindern beobachtend und am Tempo der Kinder orientiert auf das Thema einzugehen, oder eben auch andere Themen oder Verarbeitungsmöglichkeiten zu nutzen und zu schaffen. Auf keinen Fall ist es sinnvoll, das Thema Krieg aus der Kita rauszuhalten oder zu stark in den Vordergrund zu bringen. Schließlich kann die Kita im Kleinen auch Frieden fördern und sollte dies auch als pädagogische Herausforderung sehen.

 

Ausführlich mit dem Thema „Krieg und Frieden in der Kita“ beschäftigt sich die Ausgabe September der Zeitschrift KiTa aktuell spezial, herausgegeben von Prof. Dr. Armin Schneider und Prof. Dr. Agnieszka Maluga von der Hochschule Koblenz.

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Bildnachweis: Animaflora PicsStock/stock.adobe.com
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