In realen Alltagssituationen sind diese Spieltypen selten klar voneinander abgrenzbar und es werden sich auch viele Mischformen finden. Dennoch gibt diese Übersicht einen Eindruck über die Vielfältigkeit und den Facettenreichtum des Spiels von Kindern. Grundsätzlich spielen alle genannten Spieltypen für die frühe naturwissenschaftliche Bildung eine Rolle, denn Teamwork und damit soziale Fähigkeiten (siehe z.B. Kommunikationsspiel und Rollenspiel) oder ein Bewusstsein über die Grenzen und Funktionen des eigenen Körpers (siehe z.B. Motorisches Spiel oder Rauhes Spiel) sind natürlich für die Arbeit in naturwissenschaftlichen Feldern oder das Verständnis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse wertvoll. Einige dieser Spieltypen haben jedoch einen noch deutlicheren Bezug und Wert für die frühe naturwissenschaftliche Bildung und wurden aus diesem Grund in der Tabelle hervorgehoben.
Stellen Sie sich die folgende Situation und ihr Potential für die frühe naturwissenschaftliche Bildung vor:
In einer Kombination aus Kreativem-, Rekapitulations-, Objekt- und Erkundungsspiel bauen Kinder gemeinsam eine Hütte auf einer naturnahen Spielfläche. Der Boden hat unterschiedliche Beschaffenheiten und ist uneben. Die Kinder finden um sich herum viele Naturmaterialien wie Stöcke, Steine, Blätter oder Früchte, die sie auf ihre Eigenschaften hin untersuchen und frei in ihr Spiel integrieren können. Hier ergeben sich viele Fragen und Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Wie kann ich mein Umfeld für den Bau der Hütte nutzen? Welche Materialien eignen sich für die Wände der Hütte? Welche Rolle spielt der Untergrund für die Stabilität? Welche Eigenschaften brauchen Materialien, um als Dach für die Hütte zu dienen? Konflikte entstehen, werden mit anderen ausgehandelt und auf unterschiedliche Weise gelöst. Neue Fragen und Ideen werden entwickelt und weiterführende Projekte entstehen.
Anhand dieser Situation wird schnell klar: Das freie Spiel hat ein enormes Potential für die Entwicklung naturwissenschaftlicher Denk- und Handlungsweisen, und die Spielhandlungen knüpfen genau an dem an, was die Kinder gerade interessiert und brauchen.
Der Spielraum spielt mit
Doch auch eine weitere Sache wird durch die gegebene Übersicht schnell deutlich und ist so simpel wie herausfordernd: Während einige Spieltypen schon alleine mit dem eigenen Körper (z.B. Motorisches Spiel und Vorstellungsspiel) oder gemeinsam mit anderen Kindern oder Erwachsenen umgesetzt werden können (z.B. Raues Spiel und Kommunikationsspiel), benötigen Kinder für die Auslebung anderer Spieltypen eine entsprechende Umgebung. So können etwa nur Objekte untersucht werden, die im eigenen Umfeld zur Verfügung stehen und wenn es den Kindern überhaupt erlaubt ist, diese zu untersuchen. Dürfen sich Kinder beispielsweise lediglich mit glatten Holz- oder Plastikspielzeugen ohne Ecken und Kanten beschäftigen oder wenn ihnen von außen vorgegeben wird, dass es für diese Objekte nur eine Verwendung zu geben hat, so ist absehbar, dass von diesen Materialien langfristig kein großer Reiz ausgehen wird. Auch die Vielfalt und die Eigenschaften von diversen Materialien werden ihnen so verborgen bleiben. Das gleiche gilt für die anderen, besonders für die naturwissenschaftliche Bildung relevanten, Spieltypen wie dem Kreativen Spiel, dem Beherrschungsspiel, dem Rekapitulationsspiel und dem Erkundungsspiel. Diese Spieltypen können ohne eine entsprechende Lernumgebung nicht oder nur in geringem Maße und geringer Vielfalt ausgelebt werden. Einer ganzen Reihe von Spieltypen können die Kinder dann in ihrem Alltag nicht nachgehen und wichtige Erkenntnisse, Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten bleiben ihnen so möglicherweise verwehrt. Der Lebens- und Spielraum der Kinder spielt für die Auslebung ihrer Spielbedürfnisse und damit für ihre Entwicklungschancen im Allgemeinen und die frühe naturwissenschaftlichen Bildung im Speziellen eine entscheidende Rolle. Erwachsenen kommt daher selbst im freien Spiel der Kinder große Bedeutung zu, da meist sie es sind, die entscheiden wo, mit wem, womit und wie Kinder spielen dürfen und wie entsprechende Spielräume gestaltet sind. Kinder spielen überall da, wo man sie spielen lässt.
Das Außengelände als Schatzkammer der frühen naturwissenschaftlichen Bildung
Naturwissenschaftliche Phänomene können draußen meist direkt und unverstellt von den Kindern beobachtet und erkundet werden. Das Wissen über und die Beziehung zu den Jahreszeiten etwa können durch Bücher oder Bastelarbeiten ergänzt aber nur im Freien wirklich erfahren werden. Die Außengelände von Bildungseinrichtungen bieten Kindern nicht nur die Möglichkeit ihren Bewegungsdrang freier auszuleben, sondern auch anderen Spielformen in besonderer Weise nachzugehen. Aber auch hier gilt wieder: der Ort entscheidet auf welche Art und Weise. In Studien konnte beobachtet werden, dass Kinder auf naturnahen Spielflächen konzentrierter, kreativer und sozialer spielen als auf Spielplätzen (Reidl et al., 2005). Sie vertiefen sich außerdem länger in ihr Spiel, beschäftigen sich intensiver mit ihrer Umgebung und berichten enthusiastischer über ihre Spielaktivitäten (Reidl et al., 2005). Auf Spielplätzen wirken Kinder hingegen schneller gelangweilt und vertiefen sich weniger in ihr Spiel (Reidl et al., 2005). Auch konnte beobachtet werden, dass naturnahe Spielräume Kindern die Auslebung einer größeren Bandbreite an Spieltypen sowie eine facettenreichere Auslebung derselben ermöglichen (Weiser, 2022). Dies gilt insbesondere für die Auslebung der für die frühe naturwissenschaftliche Bildung relevanten Spieltypen wie etwa dem Erkundungs-, Beherrschungs- und dem Rekapitulationsspiel (Weiser, 2022).
Fazit
Nicht der Spielplatz an und für sich, sondern seine Beschaffenheit und Ausstattung spielen eine entscheidende Rolle. Viele Spielplätze sind etwa mit Klettergerüsten, Oberflächenstrukturen und Materialien ausgestattet, die den Kindern wenig Raum für die Umsetzung eigener Ideen, Bauprojekte und Untersuchungen geben. Spielgeräte sind der Sicherheit wegen meist fest verschraubt, haben glatte Oberflächen und lassen nur bestimmte Nutzungsmöglichkeiten zu. Um eine Übersichtlichkeit und Ordnung auf dem Gelände zu gewährleisten, sind die Spielräume für Kinder draußen oft zu großen Teilen mit glatten Bodenbelägen und wenig Bepflanzung ausgestattet. Auch der Zugang zu Wasser oder unterschiedlichen Bodentypen ist nicht immer gegeben. Mit einfachen Anpassungen würde sich jedoch erreichen lassen, dass die Kinder auf den Außengeländen von Bildungseinrichtungen ihrer Vielzahl an Spieltypen intensiv nachgehen und gleichzeitig viele essentielle naturwissenschaftliche Erkenntnisse und ganzheitliche Erfahrungen aus erster Hand sammeln könnten.
Tipps zur Gestaltung
Bäume, Büsche und Naturmaterialien
Im Idealfall handelt es sich um robuste Pflanzen, die verschiedene Rindenstrukturen, Blattformen und (essbare) Früchte entwickeln. Die Kinder können diese Pflanzen mit allen Sinnen erkunden, in soziale Spiele integrieren, sich hinter ihnen zurückziehen und sie als Ruheort nutzen und die diversen Naturmaterialien, die diese im Jahresverlauf abwerfen (z.B. Zweige, Früchte und Blätter) frei in ihre Spiele integrieren. Auch der Wechsel der Jahreszeiten und andere Naturphänomene sowie durch die Pflanzen angelockte Tiere wie Insekten oder Eichhörnchen und Vögel können von den Kindern beobachtet werden. Auch liefern die Pflanzen ein angenehmes Klima und Schatten in heißen Sommern, befestigen den Boden und ermöglichen die Speicherung von Regenwasser. Von Ausflügen oder Waldspaziergängen können Sie die Kinder weitere Naturmaterialien, die die Kinder auf dem Boden finden wie Zapfen, Muscheln, Steine oder Stöcke mitbringen lassen, die an einer Sammelstelle gelagert und von dort immer wieder in Spiele integriert werden dürfen. Die natürlichen Abbauprozesse dieser Materialien machen den Kindern natürliche Kreisläufe deutlich und schaffen immer wieder Platz für neue Spielobjekte, die keinem Lebewesen schaden.
Tipp: Je nach Lage und klimatischen Bedingungen Ihrer Einrichtung können sich hier unterschiedliche Arten anbieten. Damit Sie und die Kinder lange etwas von den Pflanzen haben, achten Sie darauf, dass die Pflanzen langfristig gut mit dem lokalen Wetter zurechtkommen (z.B. hohe Sonneneinstrahlung im Sommer oder eher schattige und feuchte Lage Ihres Außengeländes). Die Früchte, Blüten oder Blätter der Pflanzen können zusätzlich Teil von jahreszeitlichen Koch-, Bastel- oder Kunstprojekten werden!
Zugang zu Wasser
Wasser benötigen alle Lebewesen zum Überleben. Noch dazu ist es spannend zu erkunden, denn Wasser hat viele außergewöhnliche Eigenschaften und einen großen Einfluss auf unsere Umwelt. Wie Wasser unsere Landschaften formt, können Kinder durch das Spielen mit Wasser schon im Sandkasten erkunden: Nasser Sand ist fester, Wasser spült selbst stabile Bauwerke davon, nimmt immer den leichtesten Weg oder formt Schneisen im Sand wie in einem Flussbett. Mit dem freien Zugang zu Wasser und der Möglichkeit zur freien Erkundung seiner Eigenschaften in verschiedenen Situationen können die Kinder viel über sich und über die Umwelt lernen: Welche Objekte schwimmen und sinken? Warum wird der Arm kühl, wenn er nass ist und der Wind über ihn weht? Wie baut man einen Staudamm? In welchem Boden wird Wasser am längsten gespeichert?
Tipp: Vielleicht haben Sie die Möglichkeit eine Pumpe und einen geschlossenen Kreislauf zu installieren, sodass das Wasser immer wieder aufgefangen und neu genutzt werden kann. Sie können über das Jahr auch Regenwasser sammeln und speichern, welches die Kinder dann frei in ihr Spiel integrieren dürfen, um die Kosten zu reduzieren. Ist manchmal durch den Mangel an Regen kein Wasser zum Spielen zur Verfügung, bekommen die Kinder gleich noch ein Bewusstsein für den besonderen Wert des Wassers.
Unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten und Oberflächen
Selten haben Menschen für ihren Untergrund einen zweiten Blick übrig – doch der lohnt sich! Böden entscheiden darüber, welche Nährstoffe für Pflanzen zur Verfügung stehen, wie tief oder leicht man graben kann, wie stabil etwas darauf steht, wie viel Wasser in ihm gespeichert werden kann oder ob das Wasser gleich wieder abfließt und welche Tiere und andere Organismen in ihm leben. Böden fühlen sich unterschiedlich an, haben verschiedene Farben und Bestandteile, riechen anders und können so für Kinder eine rundum anregende und lehrreiche Spielgelegenheit bieten. Auf asphaltierten Flächen können Kinder zwar gut mit Fahrzeugen fahren doch sind sie in der Masse wenig abwechslungsreich und anregend, verhindern die wichtige Speicherung von Regenwasser und erhöhen im Sommer die Temperatur auf den Spielflächen für alle unangenehm.
Tipp: Selbst auf kleinen Außengeländen kann durch die Einbindung verschiedener Bodentypen und Oberflächen wie Sand, Gras, Erde, Kies, Holzschnitzel und Stein das Spiel und die sinnliche Wahrnehmung der Umgebung angeregt und die Fläche in verschiedene Zonen unterteilt werden. Versuchen Sie auch verschiedene Höhen und Tiefen bzw. Unebenheiten oder Hindernisse wie ein Holzstamm oder Klettersteine in der Bodenbeschaffenheit zu integrieren, die ungefährlich aber abwechslungsreich sind. Das schafft für die Kinder einen spannenden und motorisch anspruchsvollen Spielraum, in dem sie lernen ihre Körper zu koordinieren. Selbst erfahrene Spielplatzgestalter weisen darauf hin, dass sich Kinder auf solchen Flächen potentieller Risiken bewusster werden und entsprechend aufmerksamer spielen. Gummiböden hingegen vermitteln eine scheinbare Sicherheit und können damit zu unvorsichtigerem Spielen und somit auch zu häufigeren Verletzungen führen.