Öffentliche Auftraggeber: Überprüfungspflicht bei der Angebots- und Eignungsprüfung?
Recht & Verwaltung04 Februar, 2022

Öffentliche Auftraggeber: Überprüfungspflicht bei der Angebots- und Eignungsprüfung?

Papier ist geduldig - so auch bei Vergabeverfahren. Bieter können in ihrem Angebot viel versprechen und noch mehr erzählen. Doch inwieweit hat der öffentliche Auftraggeber eine Pflicht, die Angaben von Bietern in deren Angeboten zu überprüfen?

RA Henning Feldmann

Problemabriss

Ein jedes Vergabeverfahren baut darauf auf, dass die Bieter in ihren Angebotsunterlagen Erklärungen über sich, ihr Unternehmen, ihre bisherigen Erfahrungen mit den ausgeschriebenen Leistungen und ihre Leistungsfähigkeit abgeben. Sie erklären nicht nur (diese Aufzählung ist nicht abschließend), über welches Personal sie verfügen, sondern benennen auch Referenzaufträge und legen dar, welche bisherige vergleichbaren Leistungen sie erbracht haben. Außerdem geben sie eine Erklärung ab, wonach ihr Unternehmen keine Ausschlussgründe nach §§ 123 und 124 GWB verwirklicht hat und versprechen, sich an Mindestlohnregelungen zu halten.

Dies betrifft die gesetzlich vorgegebene (vgl. § 122 GWB) Eignungsprüfung. Außerdem geben die Bieter mit Angebotsabgabe ein Leistungsversprechen ab: sie sagen zu, die Leistung so wie ausgeschrieben zu erbringen, also etwa die beschriebenen Dienstleistungen mit dem geforderten und entsprechend geschultem Personal zu erbringen, die ausgeschriebene technische Ausstattung zu liefern oder die geforderte Brücke zu bauen.

Ein jedes Angebot eines Bieters ist für einen öffentlichen Auftraggeber daher auch ein Stück weit wie ein Blick in eine Glaskugel: kann ich den Angaben der Bieter vertrauen? Darf ich ihre Angaben überprüfen? Oder muss ich das sogar, d.h. besteht eine Überprüfungspflicht?

Überprüfungspflichten nur teilweise gesetzlich geregelt

Prüfpflichten der öffentlichen Auftraggeber sind gesetzlich nur ganz vereinzelt geregelt. Beispielhaft ist hier § 19 Abs. 3 und 4 des Mindestlohngesetzes (MiLoG) zu nennen. So müssen öffentliche Auftraggeber etwa nach § 19 Abs. 3 MiLoG entweder selbst beim Gewerbezentralregister Auskünfte über rechtskräftige Bußgeldentscheidungen wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz anfordern oder eine Eigenerklärung über das Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer entsprechenden Vergabesperre von den Bewerbern verlangen.

§ 19 Abs. 4 MiLoG verpflichtet öffentliche Auftraggeber, ab einem Auftragswert von mindestens 30.000 Euro vor der Erteilung des Zuschlags eine Gewerbezentralregisterauskunft nach § 150a GewO jedenfalls für den Bestbieter einholen. Hiermit soll verhindert werden, dass Aufträge an Bieter vergeben werden, die nachweislich bereits z.B. gegen ihre Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns oder gegen gewerberechtliche Vorschriften verstoßen haben.

Regelfall: keine grundsätzliche Überprüfungspflicht

Im Regelfall besteht hinsichtlich der Angaben, die Bieter in einem Vergabeverfahren machen, aber keine Überprüfungspflicht. Nach der Rechtsprechung geben die Bieter mit Angebotsabgabe vielmehr ein Leistungsversprechen ab und sagen zu, die Leistung so zu erbringen wie gefordert. Öffentliche Auftraggeber dürfen sich grundsätzlich ohne Überprüfung hierauf und auf die Angaben der Bieter verlassen und sind nicht verpflichtet zu überprüfen, ob alle im Rahmen der Eignungsprüfung gemachten Angaben wahr sind oder ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden (vgl. etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2020 - 15 Verg 2/20).

Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Rechtsprechung zurecht davon ausgeht, dass die Überprüfungsmöglichkeiten eines öffentlichen Auftraggebers während eines Vergabeverfahrens sowohl personell als auch zeitlich beschränkt sind. Vergabeverfahren sollen zügig abgeschlossen werden, weil ja ein bestehender Beschaffungsbedarf beim öffentlichen Auftraggeber gedeckt werden muss. Mit anderen Worten: ein öffentlicher Auftraggeber hat während eines laufenden Vergabeverfahrens weder die Zeit noch das Personal, um sämtliche Angaben eines Bieters in einem Vergabeverfahren zu überprüfen. Das OLG Düsseldorf hierzu (Beschluss vom 02. Dezember 2009 – VII Verg 39/09):

Die Anforderungen an den Grad der Erkenntnissicherheit sind aber nicht nur an den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit, sondern auch am Interesse des öffentlichen Auftraggebers an einer zügigen Umsetzung von Beschaffungsabsichten und einem raschen Abschluss von Vergabeverfahren zu messen. Dem öffentlichen Auftraggeber kommt insoweit zugute, dass sich aus dem auch im Vergaberecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben Zumutbarkeitsgrenzen für Überprüfungs- und Kontrollpflichten ergeben […]. Die Grenzen der Zumutbarkeit werden durch den kurzen Zeitraum, in dem die Entscheidung über die Auftragsvergabe zu treffen ist sowie durch die begrenzten Ressourcen und administrativen Möglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers, weitere Überprüfungen vorzunehmen, bestimmt […].

Diese Sichtweise verdient - im Sinne einer zügigen und effizieren Beschaffung - sicherlich Zustimmung.

Nachforderungspflicht bei „Auffälligkeiten“ oder „konkreten Anhaltspunkten“

Eine Überprüfungspflicht des öffentlichen Auftraggebers besteht nur dann, wenn es Auffälligkeiten gibt oder wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters oder dessen Angaben als nicht plausibel erscheinen lassen (vgl. etwa VK Bund, Beschluss vom 11. Juni 2021, VK 2-53/21). Dies gilt sowohl hinsichtlich des Leistungsversprechens der Bieter, d.h. der Erfüllung von Anforderungen einer Leistungsbeschreibung, als auch in Bezug auf die Angaben zur Eignung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020, Verg 20/19 sowie OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 16. Juni 2015, 11 Verg 3/15).

In der Praxis stellt sich die Frage, was dies für Auffälligkeiten sein können oder woraus sich konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an dem Angebot eines Bieters wecken, ergeben können.

Einmal können sich derartige Auffälligkeiten bereits aus dem Angebot selbst ergeben. So lag es beispielsweise in dem Vergabeverfahren, das Gegenstand der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 5. November 2014 (VII Verg 21/14) war. Hier waren für bestimmte Dienstleistungen an Schleusen und für das Festmachen und Lösen von Schiffen in den Schleusen insgesamt mehrere Wachen im Schichtdienst mit jeweils elf bis dreizehn Mitarbeitern gefordert.

Ein Bieter hatte jedoch im Rahmen der Eignungsleihe lediglich auf ein Unternehmen verwiesen, das nur 5 solcher Mitarbeiter beschäftige und den eigenen Personalstamm mit „0“ angegeben. Dass es in diesem Fall „konkrete Anhaltspunkte“ für Zweifel gibt, ob der Bieter die vertraglichen Verpflichtungen auch tatsächlich erfüllen kann, liegt auf der Hand.

In den meisten Fällen dürfte dies aber auf Hinweise anderer Bieter zurückgehen, die eine Absagemitteilung nach § 134 GWB erhalten haben und sich nun gegen die Zuschlagserteilung an einen anderen Bieter wenden. Soll ein Bieter den Zuschlag erhalten, von dem die Wettbewerber wissen, dass er beispielsweise nicht über die geforderten Erlaubnisse oder Genehmigungen verfügt oder dass er die geforderten Referenzaufträge nicht erbracht haben kann, werden sie dies an dieser Stelle mittels einer Rüge vorbringen. Sofern die Einwände des Wettbewerbers dann plausibel sind, muss der Auftraggeber ihnen im Rahmen des Zumutbaren nachgehen.

Der Auftraggeber muss sich in dem Fall „gesicherte Erkenntnisse“ verschaffen, um über den Ausschluss des Bieters zu entscheiden. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber sämtliche in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausschöpft, um die gemachten Angaben zu verifizieren; er muss aber im Rahmen des Zumutbaren den Vorwürfen der Wettbewerber nachgehen und sollte dies auch im eigenen Interesse sorgfältig tun.

Insbesondere bei Referenzen wird in einem solchen Fall eine stichprobenartige Prüfung der vorgelegten Referenzen durch die Vergabestelle in der Form, dass die dort benannten Referenzauftraggeber kontaktiert werden, als ausreichend, aber auch als notwendig, angesehen (VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. April 2009, Az. VK 9/09).

Bieter müssen an Überprüfung mitwirken

Entscheidet sich ein Auftraggeber dazu, im Falle von Auffälligkeiten oder Zweifeln Bieterangaben zu prüfen, müssen und sollten die Bieter hieran mitwirken. Es besteht eine Obliegenheit, daran mitzuwirken, bestehende Zweifel auszuräumen, andernfalls riskieren sie den Ausschluss ihres Angebots. Dies gilt auch für Referenzen: die Bieter müssen im Angebot (wenn gefordert) Referenzauftraggeber mit Name und Telefonnummer nennen, um eine Überprüfung zu ermöglichen.

Nach der Rechtsprechung muss eine Referenz nicht gewertet werden, wenn sie nicht überprüft werden kann (VK Hessen, Beschluss vom 18. Dezember 2017, 69d-VK-2-38/2017). Bieter können sich nach der Rechtsprechung der Nennung der Referenzauftraggeber auch nicht unter Verweis auf datenschutzrechtliche Vorgaben (etwa: „Eine Nennung der Referenzauftraggeber erfolgt aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.“) entziehen. Denn in der Rechtsprechung ist anerkannt (OLG München, Beschluss vom 13. März 2017, Az. Verg 15/16),

„dass ein sachliches, im Vergaberecht (national und europarechtlich) allgemein anerkanntes Interesse des öffentlichen Auftraggebers an der Benennung eines Ansprechpartners für Referenzobjekte besteht, da andernfalls die behaupteten Referenzen und damit die Eignung des Bieters nicht überprüfbar wären. Dass sich daraus für die Bieter die Notwendigkeit ergibt, bei den Auftraggebern ihrer Referenzprojekte um die Einwilligung in die Weitergabe von Kontaktdaten nachzusuchen, macht die Anforderung nicht unzulässig.“

Überprüfungspflicht bei Referenzen nach der VK Lüneburg?

Die VK Lüneburg hat in einem Fall aus dem Jahr 2020 (Beschluss vom 18. Mai 2020, VgK-06/2020) eine Pflicht des Auftraggebers gesehen, den Referenzangaben bei jedem Bieter nachzugehen und sie z. B. durch telefonische Nachfrage bei den Referenzauftraggebern zu überprüfen. Es stellt sich die Frage, ob sich aus dieser Entscheidung eine generelle Überprüfungspflicht für Referenzen ableiten lässt?

Diese Entscheidung und dessen Aussagen kann nach Auffassung des Verfassers aber nicht verallgemeinert werden. Denn in diesem Fall, über den die VK Lüneburg zu entscheiden hat, hatte der dortige Auftraggeber bei einer Ausschreibung im Bereich Leistungen zur Errichtung eines passiven Breitbandnetzes nur eine einzige Referenz verlangt, die nicht nur „vergleichbar“, sondern sogar „einschlägig“ sein musste. Dieser einen Referenz kam also ein besonderes Gewicht bei, weswegen die Vergabekammer es als erforderlich und auch zumutbar ansah, für jeden Bieter die Referenz mit der nötigen Tiefe zu überprüfen, mit dem Referenzauftraggeber zu erörtern und dann zu entscheiden, ob der Referenzauftrag die ausgeschriebenen Leistungen abdeckt oder nicht.

Sonderfall: Angebotsabgabe einer Bietergemeinschaft

Ein weiterer Sonderfall ist im Falle der Angebotsabgabe durch eine Bietergemeinschaft gegeben. Zwar sind Bietergemeinschaften grundsätzlich zulässig (vgl. nur § 43 Abs. 2 VgV). Die Bildung einer Bietergemeinschaft und die Abgabe eines gemeinsamen Angebots kann aber gegen § 1 GWB verstoßen, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn Bieter ein gemeinsames Angebot als Bietergemeinschaft abgeben, obwohl sie grundsätzlich auch jeder für sich genommen ein Angebot abgeben könnten (denn dann reduziert sich die Anzahl der Angebote von zwei Angebote von Einzelbietern auf ein Angebot einer Bietergemeinschaft).

Die Bietergemeinschaft muss daher darlegen, dass ihre Bildung und Angebotsabgabe nicht gegen § 1 GWB verstößen. Dies muss zwar nicht bereits mit der Abgabe des Angebots erfolgen, sondern erst auf eine entsprechende gesonderte Aufforderung des Auftragsgebers zur Erläuterung der Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft. Eine solche Aufforderung durch den Auftraggeber muss nach der Rechtsprechung dann erfolgen, wenn es jedenfalls Anhaltspunkte dafür gibt, dass es sich bei dem Bieter um eine unzulässige Bietergemeinschaft handeln könnte.

Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die beteiligten Unternehmen gleichartige, in derselben Branche tätige Wettbewerber sind und auf den ersten Blick nichts dafürspricht, dass sie mangels Leistungsfähigkeitsobjekt objektiv nicht in der Lage gewesen wären, unabhängig voneinander ein Angebot zu machen (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - VII-Verg 22/14).

Fazit

Eine generelle Überprüfungspflicht für Bieterangaben besteht nicht. Doch sind öffentliche Auftraggeber gehalten, „Auffälligkeiten“ oder „konkreten Anhaltspunkten“ dafür, dass eine Bieterangabe nicht der Wahrheit entspricht, nachzugehen. Dies sollten sie auch bereits im eigenen Interesse tun, denn ansonsten laufen sie Gefahr, einem Bieter den Zuschlag zu erteilen, der entweder nicht geeignet ist oder von dem sie nicht die Leistung erhalten, die sie ausgeschrieben haben.

Bildnachweis: Alexander Limbach/stockadobe.com
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