Die BRAO Reform
Recht & Verwaltung01 Juli, 2022

Die BRAO Reform: Neue Pflichten und Freiheiten (Teil 1/3)

Christian Dahns, Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer und Rechtsanwalt 
Am 01.08.2022 tritt die größte Reform des anwaltlichen Berufsrechts seit fast 30 Jahren in Kraft. Das vorrangige Ziel dieser Reform ist die Schaffung eines kohärenten Gesellschaftsrechts für den Anwaltsberuf. 

Kohärenz bedeutet für den Gesetzgeber in diesem Zusammenhang in erster Linie, dass der Anwaltschaft eine gesellschaftsrechtliche Organisationsfreiheit gewährt wird, aber auch die interprofessionelle Zusammenarbeit erleichtert wird. Während Bezugspunkt, der im Jahre 1959 in Kraft getretenen BRAO der einzelne Berufsträger war, wird nunmehr die Berufsausübungsgesellschaft als zentrale Organisationsform anwaltlichen Handelns anerkannt. Dies umfasst eine eigene Postulationsfähigkeit, bedingt gleichzeitig aber auch, dass die Berufsausübungsgesellschaft Bezugssubjekt berufsrechtlicher Regulierung wird. 

Konkreten Handlungsbedarf für den Gesetzgeber gab es aber auch aufgrund zweier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Mit zwei Beschlüssen aus den Jahren 2014 und 2016 hat das BVerfG Regelungen zum zulässigen Gesellschafterkreis (Zusammenarbeit eines Rechtsanwalts mit einer Ärztin und Apothekerin) und den Mehrheitserfordernissen in interprofessionellen Berufsausübungsgesellschaften unter Beteiligung von Anwälten (Zusammenarbeit mit Patentanwälten) für zumindest teilweise verfassungswidrig erklärt.

1. Definition der Berufsausübungsgesellschaften

§ 59b BRAO-neu beantwortet die Frage, welche Rechtsformen in Zukunft für anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften zulässig sind. Zunächst wird in Absatz 1 dieser Norm klargestellt, dass sich Anwälte zur gemeinschaftlichen Berufsausübungsgesellschaft verbinden dürfen; zweifelsohne eine Selbstverständlichkeit seit vielen Jahrzehnten. 


Erweiterung der zulässigen Rechtsformen

Das neue Berufsrecht erklärt ausdrücklich alle Gesellschaften nach deutschem Recht - einschließlich der Handelsgesellschaft - für zulässig. Damit wird beispielsweise auch die KG als Gesellschaftsform möglich. Obwohl das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts erst zum 01.01.2024 in Kraft treten wird, stehen die Handelsgesellschaften der Anwaltschaft bereits ab dem 01.08.2022 zur Verfügung, weil § 59b Abs. 2 Nr. 1 BRAO-neu vom Gesetzgeber als lex specialis zu § 105 Abs. 2 HGB begriffen wird. Dies ergibt sich auch explizit aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/27670, S. 177). Indem der Anwaltschaft nun auch die GmbH & Co. KG zur Verfügung steht, wird ein Gleichlauf mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern hergestellt, die schon seit längerer Zeit diese Rechtsform nutzen dürfen. Erstmals gibt es eine vollhaftungsbeschränkte Personengesellschaft für Anwaltskanzleien. 


Ausländische Berufsausübungsgesellschaften

Berufsrechtlich anerkannt werden ferner europäische Gesellschaften und Gesellschaften, die in der EU bzw. im europäischen Wirtschaftsraum zulässig sind. Für ausländische Berufsausübungsgesellschaften, die nicht Mitglied der EU oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum sind, gilt eine eigenständige Vorschrift (§ 207a BRAO-neu). Diese Norm sieht vor, dass eine Berufsausübungsgesellschaft, die ihren Sitz in einem Mitgliedstaat der WTO hat, über eine Zweigniederlassung in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsdienstleistungen erbringen darf. Zur Beratung und Vertretung im deutschen Recht sind solche Gesellschaften aber nur befugt, wenn mindestens ein deutscher Rechtsanwalt Gesellschafter ist und dieser die Zweigniederlassung in Deutschland verantwortlich leitet. 

2. Definition der Bürogemeinschaft

Obwohl Bürogemeinschaften im anwaltlichen Alltag inzwischen üblich sind, behandelte die Bundesrechtsanwaltsordnung diese besondere Arte der gemeinsamen Berufsausübung bisher überraschender Weise nicht. § 59q BRAO-neu definiert und reguliert nun erstmals die Bürogemeinschaft. 

Größere Freiheiten als bei Sozietäten
Klargestellt wird, dass sich Rechtsanwälte zu einer Gesellschaft verbinden dürfen, die der gemeinschaftlichen Organisation der Berufstätigkeit der Gesellschafter unter gemeinschaftlicher Nutzung von Betriebsmitteln dient, jedoch nicht selbst als Vertragspartner von anwaltlichen Mandatsverträgen auftreten soll. Anders als bei der echten Berufsausübungsgesellschaft ist der Personenkreis, mit der eine Bürogemeinschaft eingegangen werden kann, nicht auf einen bestimmten Kreis von Berufen begrenzt. Da die Berufsausübung selbst nicht gemeinschaftlich erfolgt, hat die Bürogemeinschaft nach Auffassung des Gesetzgebers keinen Einfluss auf die Unabhängigkeit der in ihr tätigen Berufsträger. Mithin wäre die für die Berufsausübungsgesellschaften vorgenommene Einschränkung auf freie Berufe nicht verhältnismäßig. 

Im Ergebnis ist eine Bürogemeinschaft daher nur noch mit solchen Berufen ausgeschlossen, die mit dem Anwaltsberuf per se unvereinbar sind. Denn aufgrund der gemeinsamen Organisation könnten ebenso wie bei einem Zweitberuf Interessenkonflikte entstehen. Nicht vereinbar mit dem Anwaltsberuf sind nach ständiger Rechtsprechung des BGH inzwischen im Grunde genommen nur noch makelnde Tätigkeiten wie die Tätigkeit eines Grundstücks- oder Finanzmaklers. 

3. Neue Berufspflichten 

Aus Sicht des Gesetzgebers ist es erforderlich, im Rahmen des neuen Sozietätsrechts einen neuen Anknüpfungspunkt für geltende Berufspflichten zu schaffen und außerdem die Berufsaufsicht im Zusammenhang mit der gemeinschaftlichen Berufsausübung neu zu regeln. 

Zukünftig unterliegen der Berufsaufsicht einerseits natürliche Personen, mithin Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, zudem zugelassene Berufsausübungsgesellschaften und darüber hinaus auch Mitglieder von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen dieser Berufsausübungsgesellschaften. 

Ferner ist geregelt, dass alle nichtanwaltlichen Gesellschafter im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Berufsausübungsgesellschaft auf die Wahrung des anwaltlichen Berufsrechts achten müssen. Insbesondere werden diese originär zur Verschwiegenheit verpflichtet. Über § 203 Abs. 1 Nr. 3 a) StGB-neu erfolgt eine Strafbewehrung sowohl für Organe als auch für Mitglieder von Organen. Unter letztere fallen beispielsweise Gesellschafter als Mitglieder der Gesellschafterversammlung. Eine weitere Berufsaufsicht der nichtanwaltlichen Gesellschafter findet nur mittelbar statt, indem Rechtsanwälte als Mitgesellschafter, alle Leitungsorgane und die zugelassene Berufsausübungsgesellschaft selbst in die Pflicht genommen werden. 


Erweiterte Berufsaufsicht 

Zur Durchsetzung der berufsrechtlichen Bestimmungen werden auch die Regelungen zur Berufsaufsicht erweitert. So kann eine Rechtsanwaltskammer nunmehr auch eine Berufsausübungsgesellschaft als solche rügen (§ 74 Abs. 6 BRAO-neu). 

Die Berufsausübungsgesellschaft kann ferner auch anwaltsgerichtlich verfolgt werden (§ 113 Abs. 3 BRAO-neu), wenn eine Leitungsperson oder sonst für die Gesellschaft tätige Person schuldhaft gegen Berufspflichten verstoßen hat. Eine zugelassene Berufsausübungsgesellschaft ist nach neuem Recht selbst den wesentlichen Berufspflichten unterworfen (§ 59e BRAO-neu). Dabei hat sie durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass berufsrechtliche Verstöße frühzeitig erkannt und abgestellt werden. Die Benennung eines Compliance-Officers wird allerdings nicht vorgeschrieben, da dies nach Auffassung des Gesetzgebers in kleineren Gesellschaften nicht immer zielführend sei. In der Gesetzesbegründung wird gleichwohl darauf hingewiesen, dass bei großen Gesellschaften die Benennung eines Compliance-Officers sehr sinnvoll sein könne. Diese erfülle ihren Zweck allerdings nur dann, wenn durch weitere geeignete Maßnahmen sichergestellt sei, dass Verstöße gegen das Berufsrecht erkannt und abgestellt werden können. 


Gesellschaftsvertrag

Außerdem wird es erforderlich sein, im Gesellschaftsvertrag bzw. der Satzung bestimmte Vorkehrungen für die Einhaltung des Berufsrechts zu treffen. Beispielsweise regelt § 59d Abs. 5 BRAO-neu, dass im Gesellschaftsvertrag der Ausschluss von Gesellschaftern vorzusehen ist, die in schwerwiegender Weise oder wiederholt gegen Berufspflichten verstoßen haben. Zukünftig wird aber nicht jede Berufspflichtverletzung eines Gesellschafters automatisch zu einer Sanktionierung der Gesellschaft führen. Erforderlich wird vielmehr sein, dass entweder eine Leitungsperson gegen Berufspflichten verstößt oder die Verstöße der Gesellschaft wegen unzureichender Organisations- und Aufsichtsmaßnahmen zurechenbar sind. 

So geht es weiter im zweiten Teil unserer Artikelserie zur BRAO-Reform ...

Im zweiten Teil unserer Artikelserie zur BRAO-Reform erklärt Ihnen unser Experte, welche Berufe künftig sozietätsfähig sind, wer von dem erweiterten Zulassungsverfahren betroffen ist und welche gesellschaftsrechtlichen Freiheiten durch die Änderung der Mehrheitsregelungen entstehen. Jetzt lesen

Bildnachweis: rogerphoto/stock.adobe.com
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