Insolvenz
Recht & Verwaltung20 Juli, 2023

Das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) und seine Bezüge zur Insolvenz

Privatdozent Dr. Stefan F. Thönissen, LL.M. (Yale)
Der Zivilprozess erlebt gegenwärtig einen erheblichen Umbruch durch die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie. Die 2020 erlassene EU-Verbandsklagenrichtlinie hätte ursprünglich bereits bis Ende 2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen; das Inkrafttreten war für Juni 2023 vorgesehen. Nachdem die EU-Kommission im Januar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und andere Staaten eingeleitet hat, wurde die Verbandsklagenrichtlinie nunmehr aufgrund Bundestagsbeschlusses vom 07. Juli 2023 durch das Verbandsklagerichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) in deutsches Recht umgesetzt. Zentraler Bestandteil der Umsetzungsgesetzgebung ist die Schaffung des neuen Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG), in dem neben der Musterfeststellungsklage auch die neu eingeführte Verbandsabhilfeklage geregelt wird. Erstmals wird es danach im deutschen Recht einen kollektiven Rechtsbehelf zur Geltendmachung von Leistungsbegehren geben. Erhoben werden die Klagen durch Verbände; betroffene Verbraucher und Kleinunternehmen melden sich in einem Klageregister an. Abhilfeklagen zielen darauf, dass sich Verbraucher durch Beteiligung an der Verbandsklage ohne Notwendigkeit einer nachfolgenden Individualklage Befriedigung verschaffen können. Die Einführung der Verbandsabhilfeklage wirft dabei auch die Frage auf, welche Bedeutung dieser für Insolvenzverwalter und Insolvenzverfahren zukommt. Dem wird im Folgenden nachzugehen sein.

Verbandsabhilfeklagen nach dem VDuG – Der Verfahrensablauf

In Umsetzung der Richtlinie sieht das neu geschaffene VDuG – Kernstück der Umsetzungsgesetzgebung – Verbandsabhilfeklagen vor. Die Verbandsunterlassungsklagen werden weiterhin in §§ 1 ff. UKlaG geregelt. Verbandsabhilfeklagen werden durch Verbände erhoben und zielen darauf, dass sich betroffene Verbraucher den Klagen anschließen und hierdurch ohne weitere eigene Leistungsklagen „Abhilfe“ erlangen können. Über den eigentlichen Anwendungsbereich der Richtlinie werden auch Kleinunternehmen (§ 1 Abs. 2 VDuG: weniger als 10 Mitarbeiter und 2 Mio. Euro Jahresumsatz/-bilanz) erfasst, die sich ebenfalls der Verbandsklage anschließen können. Vorausgesetzt wird die „nachvollziehbare Darlegung“ der möglichen Betroffenheit von mindestens 50 Anspruchsinhabern (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; § 5 Abs. 1 Nr. 1 VDuG).

Abweichend von der Verbandsklagenrichtlinie sieht die Umsetzungsgesetzgebung keine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf einen Katalog an einschlägigen Rechtsakten vor, sodass auch etwa allgemeine deliktische Klagen hiervon umfasst sind. Allgemein wurden Themen wie Produktmängelklagen, überhöhte oder rechtswidrig erhobene Bankentgelte, Klagen wegen ESG-Themen (Environmental Social Governance), Kartellschadensersatzansprüche oder auch Ansprüche wegen Verletzung des Datenschutzrechts als wahrscheinliche Anwendungsbereiche genannt. Die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf geht indes offenbar von einem engeren Anwendungsbereich aus, was vor allem mit dem vorgesehenen Kriterium der Gleichartigkeit (§ 15 VDuG) zu tun hat; als Beispiele werden insoweit etwa Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung (BT-Drucksachen 60/6520, S. 77) genannt. Nachdem der Regierungsentwurf hier noch einen engeren Maßstab der Gleichartigkeit vorgesehen hatte, wurde dies aufgrund eines Änderungsbegehrens des Bundesrates sowie der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses nun erweitert (BT-Drucksachen 20/7631, S. 111). Erforderlich ist nur noch, dass die Ansprüche „im Wesentlichen gleichartig sind“, d.h. „die im Wesentlichen gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind“ (§ 15 Abs. 1 VDuG). Welche Rechts- und Themengebiete sich tatsächlich für die Geltendmachung im Rahmen der Verbandsklage eignen und die Voraussetzungen der Gleichartigkeit erfüllen, wird noch von der Rechtsentwicklung in der Praxis abhängig sein – die Beschlussempfehlung tendiert zur Notwendigkeit einer Einzelfallbetrachtung. Naheliegend erscheint, dass sich bestimmte Konstellationen und Fallgruppen herauskristallisieren werden, in denen die Verbandsabhilfeklage zulässig und gangbar sein wird.

Neben der Gleichartigkeit gibt es indes auch weitere Hindernisse, die einer größeren Relevanz der Verbandsabhilfeklage (der Regierungsentwurf geht von jährlich 15 Verbandsabhilfeklagen aus, die an die Stelle von 22.500 Individualklagen treten; BT-Drucksachen 60/6520, S. 134) zunächst entgegenstehen dürften; unter anderem die Frage nach der Prozessfinanzierung durch Dritte, die in § 4 Abs. 2 u. 3 VDuG näher geregelt ist, ist hier zu nennen.

Grundsätzlich wird zwischen auf einen kollektiven Gesamtbetrag gerichteten Klagen und Klagen an namentlich bezeichnete Verbraucher unterschieden; ferner gibt es noch Klagen zur Verfolgung von nicht auf Geldzahlung gerichteten Begehren (§ 16 VDuG). Das Verfahren der auf einen kollektiven Gesamtbetrag gerichteten Verbandsabhilfeklage ist zweigeteilt. Zunächst findet das gerichtliche Verfahren statt, das bei Obsiegen mit Abhilfegrund- und Abhilfeendurteil endet. Das Abhilfegrundurteil legt die Voraussetzungen und Berechtigungsnachweise fest, die im anschließenden Umsetzungs- und Verteilungsverfahren durch die Verbraucher beizubringen sind, damit sie an der Verteilung beteiligt werden (§ 16 Abs. 2 VDuG). Im Umsetzungsprozess war lange umstritten, bis wann sich betroffene Verbraucher zur Klage anmelden können. § 46 Abs. 1 VDuG sieht jetzt eine Anmeldung bis drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor.

An das gerichtliche Verfahren schließt sich bei erfolgreicher Klage ein Umsetzungsverfahren an, das unter Leitung des Sachwalters als Verteilungsverfahren ausgestaltet ist (§§ 22 ff. VDuG). Wird durch das Abhilfeurteil ein kollektiver Gesamtbetrag ausgeurteilt, so wird dieser nun an die Verbraucher durch den Sachwalter verteilt. Die Verbraucher haben die hierfür nach dem Abhilfegrundurteil erforderlichen Berechtigungsnachweise beizubringen. Hiernach entscheidet der Sachverwalter über die Berechtigung. Gegen diese Entscheidung ist zunächst der Widerspruch zum Sachwalter möglich. Während nach dem Regierungsentwurf keine gerichtliche Anfechtbarkeit dieses Beschlusses mehr vorgesehen war, sieht § 28 Abs. 4 VDuG nunmehr vor, dass gegen die Widerspruchsentscheidung des Sachwalters eine gerichtliche Entscheidung beantragt werden kann.

Position des Sachwalters – neues Betätigungsfeld für Insolvenzverwalter?

Neu geschaffen wird dabei wie erwähnt die Position des Sachwalters. Seine Aufgaben sind in § 27 VDuG näher umzeichnet. Vor allem geht es hier um die Verteilung des Gesamtabhilfebetrags an die betroffenen Verbraucher. Der Sachwalter hat nach § 27 Nr. 3 VDuG zu prüfen, ob die Verbraucher die erforderlichen Berechtigungsnachweise beibringen und die Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung erfüllen. Ist dies der Fall, so hat er die Höhe festzulegen und eine Auskehr des jeweiligen Betrags vorzunehmen. Können die Voraussetzungen nicht nachgewiesen werden, hat er die Forderung zurückzuweisen (§ 27 Nr. 11 VDuG). Die Verbraucher sind dann auf den Weg einer individuellen Klage verwiesen (§ 39 VDuG), sofern ihnen nicht bereits nach § 28 Abs. 4 VDuG abgeholfen wird.

Es zeigt sich, dass die Position des Sachwalters Parallelen zum Insolvenzverwalter aufweist. Angesichts dessen, dass es hier um die rechtsförmige Befriedigung einer Vielzahl betroffener Personen geht, zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten zur Insolvenzverwaltung. Insolvenzverwalter sind in besonderer Weise mit der rechtsförmigen Bewältigung von Massenverfahren betraut. Im Hintergrund steht, dass das VDuG aufbauend auf dem Umsetzungsgutachten von Bruns (Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie in deutsches Recht, Tübingen 2022) Anleihen bei der Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsordnung genommen hat (z.B. BT-Drucksachen 20/6520, S. 85), die ihrerseits dem Insolvenzrecht nachgebildet ist.

Aufgrund der ähnlichen Abläufe und der strukturellen Vergleichbarkeit kann sich für Insolvenzverwalter hier ein neues Tätigkeitsfeld ergeben. Nähere Regelungen zu der Qualifikation des Sachwalters sowie der Vergütung finden sich gegenwärtig indes noch nicht. Insofern ergeben sich hier noch verschiedene offene Fragen, die im Gesetzgebungsverfahren vorgebracht worden sind (Stellungnahme Bruns zum VRUG aus Anlass der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Bundestags), indes keine Berücksichtigung gefunden haben (s. lediglich § 38 Abs. 3 S. 2 VDuG); so fehlt auch etwa eine Anordnung der Insolvenzfestigkeit der Sachwaltervergütung.

Bedeutung für Insolvenzverfahren

Das VDuG hat dabei auch im Übrigen unmittelbare Bedeutung für Insolvenzverfahren. § 38 VDuG regelt in verschiedener Hinsicht das Verhältnis zur Insolvenz. Dabei geht es vor allem um die Konstellation, dass nach Abhilfeendurteil und Einleitung des Umsetzungsverfahrens die Insolvenz eintritt, d.h. bevor das Umsetzungsverfahren abgeschlossen ist. Grundsätzlich ist hier der in den Umsetzungsfonds eingezahlte kollektive Gesamtbetrag bereits den betroffenen Verbrauchern zugewiesen, d.h. es handelt sich nicht mehr um zur Insolvenzmasse gehöriges Vermögen.

Anders ist dies hingegen dann, wenn eine Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO hinsichtlich der Leistung des Gesamtabhilfebetrags besteht. In dieser Konstellation soll dann eine Einstellung des Umsetzungsverfahrens und Rückzahlung an die Insolvenzmasse erfolgen, wenn das Anfechtungsrecht nach Auffassung des Sachwalters nicht offensichtlich unbegründet ist (§ 38 Abs. 1 u. 2 VDuG). Stellt sich heraus, dass das Anfechtungsrecht nicht bestanden hat, so ist eine Sondermasse zu bilden, aus der heraus die Befriedigung der an der Verbandsabhilfeklage beteiligten Verbraucher stattfinden soll (§ 38 Abs. 3 S. 1 HS. 1 VDuG). Das Gesetz sieht für diesen Fall vor, dass die Verteilung der Sondermasse durch den Sachwalter als Sonderinsolvenzverwalter erfolgen soll (§ 38 Abs. 3 S. 2 VDuG).

Nicht näher geregelt ist indes, nach welchem Verfahren sich die Verteilung der Sondermasse richtet; die besseren Gründe sprechen für die Anwendung der Vorschriften des VDuG (dazu und zum Folgenden näher Thönissen KTS 2023, S. 205 ff.). Unterlag die Zahlung in den Umsetzungsfonds hingegen der Anfechtung, so wird keine Sondermasse gebildet; da hier dann keine Rechtfertigung mehr für eine Bevorrechtigung der Verbraucher besteht, sind diese nur wie sonstige Insolvenzgläubiger am Insolvenzverfahren zu beteiligen. Ungeachtet dessen stellt sich die weitergehende Frage, ob Verbandsklagen auch zur Geltendmachung von Insolvenzforderungen, Masseverbindlichkeiten sowie von Ab- und Aussonderungsrechten in Betracht kommen. In der Vergangenheit wurde in diesem Kontext bereits die Anwendbarkeit der Musterfeststellungsklage im Rahmen des Insolvenzforderungsfeststellungsverfahrens diskutiert (dazu OLG München NZI 2020, 912; ablehnend Thole NZI 2020, 411). Während für Insolvenzforderungen angesichts des spezifischen Forderungsfeststellungsverfahrens der §§ 174 ff. InsO Einiges gegen die Anwendbarkeit in der Insolvenz spricht, können Masseverbindlichkeiten wohl im Wege der Verbandsabhilfeklage geltend gemacht werden; gleiches dürfte grundsätzlich auch für die Geltendmachung von Aus- und Absonderungsrechten gelten, wobei hier die Klageart (das VDuG ermöglicht nur Leistungs- und Musterfeststellungsklagen, hingegen keine Feststellungsklagen) entscheidend sein dürfte.

Schließlich trifft § 38 Abs. 5 VDuG noch Regelungen zum Verhältnis der Verbandsabhilfeklage zu StaRUG-Verfahren: zum einen soll für die an einer Verbandsabhilfeklage Beteiligten bei Einbeziehung in den Restrukturierungsplan eine eigenständige Gruppe zu bilden sein; zum anderen wird die Abwicklung der durch den Restrukturierungsplan gestalteten Forderungen auf den Restrukturierungsbeauftragten übertragen.  

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