Gemeinschaftsunterkuenfte
Recht & Verwaltung08 Mai, 2024

Sachleistungsgewährung in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit | Teil 2

von: Herr Christopher Rein, Jurist und Sachbearbeiter für Grundsatzangelegenheiten, Rechtsstelle Jugend und Soziales  

Mit dem »Gesetz zur Anpassung des Zwölften und des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Gesetze« vom 22.12.2023 wurde § 142 SGB XII, der vorher Besonderheiten aus Anlass der COVID-19-Pandemie regelte, neubelegt. Insbesondere aufgrund der anhaltenden politischen Instabilität im Nahen Osten sowie des anhaltenden Angriffskrieges der Russischen Föderation auf die Ukraine ist in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl an Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften mit existenzsichernden Leistungen unter Anwendung des SGB XII zu versorgen.

Anmerkung der Redaktion:

Dies ist der zweite Teil des Beitrags »Sachleistungsgewährung in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit« von Herrn Christopher Rein. Den ersten Teil des Beitrags finden Sie hier.

Bereitstellung von Vollverpflegung
und Haushaltsenergie

Eine Vollverpflegung umfasst regelmäßig Frühstück sowie Mittag- und Abendessen zur Deckung des täglichen Energie- und Nährstoffbedarfs. Angeknüpft wird somit an die Abteilungen 1, 2 der §§ 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 RBEG bei einer Selbstversorgung in der Häuslichkeit; Speisen und Getränke, die darüberhinausgehend oder alternativ in Gaststätten, Mensen und Kantinen verzehrt werden, sind nicht Gegenstand der Definition (BT-Drucks. 20/9195, S. 42).

Was unter »Haushaltsenergie« zu verstehen sein soll, ist unklar. Denn dieser Begriff umfasst auch die auf Warmwassererzeugung entfallenden Anteile bei einer dezentralen Warmwasserversorgung. Dies geht bereits aus dem Regelungsverhältnis des § 27a Abs. 1 Satz 1 SGB XII zu § 30 Abs. 7 SGB XII hervor. Gemeint ist aber indes nur der in § 27a Abs. 1 Satz 1 SGB XII niedergelegte Anteil an Haushaltsenergie ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile, und dieser sogar weiter beschränkt auf die reine Position Verbrauchsstrom, was sich aus der Regierungsbegründung ergibt (BT-Drucks. 20/9195, S. 42).

Verpflegung und Haushaltsenergie müssen auch bereitgestellt werden, das heißt verfügbar sein. Eine rein abstrakt vorgesehene Versorgung ohne Möglichkeit der Entgegennahme bzw. Inanspruchnahme ist also unzureichend. Auf die tatsächliche Nutzung des Angebotes durch die Leistungsberechtigten kommt es indes nicht an (vgl. zum SGB II die Berücksichtigung von zur Verfügung gestellter Verpflegung als Einnahme: BSG vom 05.08.2021 - B 4 AS 83/20 R - Rn. 19 ff.). Aufgrund des klaren Wortlauts der Norm (»...wird ihr darin... «) ist, im Gegensatz zu § 68 SGB II, eine Bereitstellung von Verpflegungspaketen für den Fall des Verlassens der Gemeinschaftsunterkunft, z.B. durch ein »Lunchpaket«, die inhaltlich zwar einer Selbstversorgung in der Häuslichkeit entsprechen mögen, nicht von § 142 SGB XII umfasst.

Unentgeltlichkeit

Weitere Voraussetzung ist, dass Vollverpflegung und Haushaltsenergie unentgeltlich bereitgestellt werden. Dies ist der Fall, wenn weder durch den Sozialhilfeträger noch durch einen von ihm beauftragten Dritten, z.B. den Betreiber der Gemeinschaftsunterkunft, der auch Vollverpflegung und Haushaltsenergie bereitstellt, entsprechende Kosten gegenüber den Leistungsberechtigten geltend gemacht werden.

Problematisch hieran ist, dass § 142 SGB XII aufgrund dieses Tatbestandsmerkmals in einer Vielzahl der eingangs geschilderten Fallkonstellation nicht anwendbar ist. Soweit Sozialhilfeträger oder Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften nämlich in ihren Nutzungsverträgen Kosten für Vollverpflegung und Haushaltsenergie wenigstens kalkulatorisch einer Nutzungsgebühr zugrunde legen, liegt keine Unentgeltlichkeit im Sinne des § 142 SGB XII gegeben. Es bleibt dann nur noch die abweichende Regelsatzfestsetzung nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit den dargelegten Unzulänglichkeiten im Einzelfall. Gleiches gilt erst recht für die Fälle, in denen die Beträge in Nutzungsvereinbarungen ausgewiesen werden oder beauftragte Dritte die Versorgung übernehmen und direkt mit den Leistungsberechtigten abrechnen.

Die Rechtsfolgen

Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, so wird eine Deckung des Bedarfes als Sachleistung unwiderlegbar fingiert. § 142 SGB XII ist dabei eine Sondervorschrift im Sinne des § 10 Abs. 3 Var. 1 SGB XII in Bezug auf den Regelfall der Erbringung von Sozialhilfe als Geldleistung. Entschließungsermessen hinsichtlich der Möglichkeit, verwaltungsseitig auf eine abweichende Festsetzung zu verzichten, besteht nicht. Auch sind die Anrechnungsbeträge in § 142 Satz 2 SGB XII nach Regelbedarfsstufe differenziert festgelegt, sodass sich kein Auswahlermessen ergibt. Die Beträge sind dabei als Monatswerte zu verstehen.

Im Falle eines lediglich monatsanteiligen Leistungsbezuges ist allerdings eine Auslegung der Norm nach ihrem Sinn und Zweck dahingehend vorzunehmen, dass dann auch nur von einer monatsanteiligen Anwendbarkeit der Norm auszugehen ist, wobei hinsichtlich der Höhe entsprechende Teilbeträge anzusetzen sind. Diese ergeben sich aus einem Dreißigstel der in § 142 Satz 2 SGB XII genannten Beträge, multipliziert mit der Anzahl der Tage, an denen die Vorschrift anzuwenden ist. Zu einem solchen monatsanteiligen Leistungsbezug kann es dabei insbesondere aufgrund des § 146 SGB XII kommen.

Aus der starren Betragsnennung ohne weitere Ausdifferenzierung und Möglichkeit zur individuellen Abweichung können sich im Einzelfall jedoch neben der vorgenannten Konstellation noch weitere Probleme ergeben. Zu denken ist beispielhaft nur an die Fallgestaltung, in der die Leistungsberechtigten erst nach der Bereitstellung einer Mahlzeit ohne tatsächliche Möglichkeit deren Einnahme in einer Gemeinschaftsunterkunft eintreffen. § 142 Satz 2 SGB XII bietet hierfür keine Lösung an. Es erscheint hier sinnig, eine Auslegung der Norm dahingehend vorzunehmen, dass der entsprechende Tag vollständig in derartigen Konstellationen herauszurechnen ist, da sowohl eine Vollverpflegung als auch eine kontinuierliche Stromversorgung nicht tatsächlich bereitgestellt wird.

Nehmen Leistungsberechtigte hingegen aus freien Stücken eine bereitgestellte Verpflegung nur sporadisch ein, weil sie sich an anderen Tagen selbst versorgen- z.B. durch mitgebrachtes Essen von Dritten, Lieferdienste oder Sandwiches aus dem Kühlregal- so greift die Fiktion trotzdem. Denn nur die Bereitstellung, aber nicht die tatsächliche Einnahme entscheidend ist (siehe oben).

Im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob der Sozialhilfeträger die Bereitstellung von Vollverpflegung und Verbrauchsstrom in Eigenregie durchführt oder sich Dritter bedient, sogar eine reine Zustimmung ohne Vertragsverhältnis des Sozialhilfeträgers zu dem Dritten ist ausreichend. Daher ist es auch nicht von Relevanz, ob die Gemeinschaftsunterkunft selbst in Eigenregie betrieben oder dies Dritten überlassen wird. Dies stellt § 142 Satz 3 SGB XII klar. Beauftragt er solche Dritte oder stimmt er der Erbringung zu, so ist der Sozialhilfeträger verpflichtet, den in § 142 Satz 2 SGB XII genannten Betrag an die Dritten zu »erstatten« (§ 142 Satz 4 SGB XII). Hierbei handelt es sich indes mangels einer echten Erstattungslage nicht um eine Erstattung im Sinne der §§ 102 ff. SGB X, sondern um eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Weiterleitung der Beträge an die Dritten zum Zweck der Erfüllung der eingegangenen Zahlungsverpflichtungen durch Zustimmung oder Vertrag. Übersteigt diese den Betrag nach § 142 Satz 2 SGB XII, so ist die Differenz zur Zahlungsverpflichtung außerhalb des individuellen sozialrechtlichen Anspruches, d.h. insbesondere auch ohne Rückgriff auf den Leistungsberechtigten, zu begleichen. Soll dies- gerade im Falle einer Zustimmung- vermieden werden, so empfiehlt es sich, vorsorglich die Zustimmung dahingehend inhaltlich zu beschränken, dass sie nur insoweit gilt, als die in § 142 Satz 2 SGB XII genannten Beträge nicht überschritten werden bzw. inhaltlich nur bis zu deren Höhe. Wird er unterschritten, so sieht § 142 SGB XII keine Möglichkeit der lediglich anteiligen Weiterleitung vor; vielmehr ist der Betrag in diesem Zusammenhang als Pauschale zur Herstellung eines einheitlichen Abrechnungsmaßstabes zu verstehen (BT-Drucks. 20/9195, S. 41).

Die Fachlichen Weisungen der BA zur Parallelregelung des § 68 SGB II gehen davon aus, dass die zu erstattenden Beträge bis zu einer konkreten Rechnungslegung »zurückzuhalten« seien (S. 5). Indes bieten weder § 68 SGB II noch § 142 SGB XII nach hiesiger Auffassung eine rechtliche Stütze für eine solche Vorgehensweise in den Zustimmungsfällen, da ein Vertragsverhältnis zwischen SGB XII-Träger und dem privaten Dritten gerade nicht gegeben ist; § 142 Satz 4 SGB XII ähnelt in dieser Konstellation eher
§ 35a Abs. 3 SGB XII als einem klassischen Sachverschaffungsverhältnis.

Sonderproblem der Finanzierung

Höchst problematisch ist die Frage, inwiefern sich Sozialhilfeträger die im Falle des § 142 Satz 4 SGB XII an Dritte erstatteten Beträge selbst im Rahmen der landesrechtlichen Aufwendungserstattungen erstatten lassen können. Eine gleiche Interessenlage ist bei einer Selbstbewirtschaftung der Gemeinschaftsunterkunft anzutreffen, da der Sozialhilfeträger die Kosten der Bewirtschaftung unmittelbar selbst tragen muss und ihm hieran gelegen sein dürfte, diese Kosten ebenfalls zur Erstattung anzumelden.

Wie bereits dargestellt enthält § 142 SGB XII die Fiktion einer Sachleistungserbringung, mit der Folge, dass es sich bei der Norm um eine Sondervorschrift im Sinne des § 10 Abs. 3 Var. 1 SGB XII handelt. Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung folgt daraus zunächst, dass der eindeutige Wortlaut des § 46a Abs. 1 SGB XII, wonach den Ländern nur die Nettoaufwendungen für Geldleistungen (!) erstattet werden, dagegen eine bundesrechtliche Kostenerstattung nicht stattfindet. Da die Ausführungsgesetze zum SGB XII der Länder wiederum hinsichtlich der Weiterleitung der Erstattungszahlungen des Bundes an die Sozialhilfeträger regelmäßig eine Regelung beinhalten, wonach nicht mehr weitergeleitet wird, als durch die Bundeserstattung selbst empfangen wurde (vgl. exemplarisch § 13 Abs. 1 AG-SGB XII Bbg.), findet eine Kostenerstattung für die Leistungsanteile, welche von der Fiktion erfasst sind, auch auf der Ebene Land zu Sozialhilfeträger nicht statt. Aus dieser Auslegung würde insbesondere folgen, dass die Sozialhilfeträger die Nettoaufwendungen für die nach § 142 Satz 4 SGB XII weiterzuleitenden Beträge selbst aus eigenen Mitteln tragen müssen.

Gegen diese Auslegung und für eine Kostenerstattung des Bundes an die Länder und der Länder an die Sozialhilfeträger kann der mit der Neufassung des § 46a SGB XII ab dem Jahr 2014 verfolgte Sinn und Zweck angeführt werden. Dieser soll die versprochene 100%-Finanzierung der Nettoausgaben in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch den Bund (vgl. BT-Drucks. 17/10748 S. 12, 16 ohne Beschränkung auf Geldleistungen!) vollumfänglich gewährleisten. Dafür streitet auch die entsprechende Praxis bei Leistungsberechtigten in stationären Einrichtungen, bei denen die Kosten ebenfalls vom Bund plus den Barbetrag übernommen werden (vgl. §§ 136, 136a SGB XII). Dass durch § 142 SGB XII eine Kostenverlagerung vom Bund auf die Sozialhilfeträger erfolgen sollte, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, vielmehr wurde dieser Aspekt wahrscheinlich übersehen.

Wie die Frage letztlich zu entscheiden ist und wer die Kosten trägt, ist derzeit offen. Eine Klärung kann hierbei erfolgen entweder durch

  • das BMAS, indem es erklärt, die Kosten zu übernehmen,
  • eine entsprechende bundes- sowie anschließende landesgesetzliche Klarstellung oder
  • im Rahmen eines Erstattungsstreits durch das BSG

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