6. Das Kind braucht Zeit
Jeder Mensch hat seine eigene Zeit, um eine Traumatisierung zu verarbeiten. Symptome können sich sehr schnell oder erst nach vielen Jahren zeigen. Der Körper entwickelt sein eigenes intelligentes Modell, mit großer Belastung umzugehen. Insofern ist es sehr wichtig, nichts beschleunigen zu wollen, wo ein Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Lassen sie dem Kind Zeit, sein Tempo zu entwickeln. Es wird deutlich zeigen, wann und welche Unterstützung es braucht.
7. Das Kind braucht einen Platz, der das Geschehene nicht bewertet
Ein Kind ordnet für sich seine Traumatisierung mit seinem kindlichen Verständnis ein. Wir als Erwachsene sehen die Tragweite und das Geschehene viel deutlicher. Ebenso können wir die Folgen für sein weiteres Leben anders beurteilen. Sehr wichtig ist jetzt, dem Kind gegenüber keine Bewertungen abzugeben. Es lebt im Hier und Jetzt. Aussagen in Bezug auf Folgeschäden können es sehr ängstigen. Eine zeitliche Perspektive haben jüngere Kinder noch nicht entwickelt. Es ist sehr wichtig, ihm seine Zeit zu lassen, um eigene Bewertungskriterien zu entwickeln.
8. Das Kind braucht Normalität
So schrecklich das Erlebte war, das Leben geht weiter – im Kindergarten, in der Schule, in der Freizeit. Normalität und Alltag stabilisieren und geben Halt. Kinder, die traumatisiert sind, brauchen gerade das sehr dringend. Außerdem ist eine natürliche und altersadäquate Behandlung nötig, die sich nicht oder nur wenig von der von Gleichaltrigen unterscheidet. Keinem Kind tut eine sehr exponierte Position gut. Kinder wollen in der Gruppe mit ihren Freunden spielen und sich entwickeln.
9. Das Kind braucht nach Bedarf therapeutische Angebote
Nicht jedes Kind braucht sofort ein therapeutisches Angebot. Oftmals ist ein Judoverein hilfreicher, um Selbstbewusstsein aufzubauen, der Fußballclub, den die Freunde besuchen und Halt geben oder die Jungschar im Ort, die Stabilität gibt, die bessere Alternative zur Therapie. Alltagsstabilisierung, das sich-in-der-Welt-wiederfinden sind die wichtigsten und ersten Schritte, damit ein Kind seine Traumatisierung verarbeiten kann. Natürlich sollte es immer Therapieangebote geben, wenn sich Symptome zeigen, die im Alltag hinderlich sind und das Kind einen Leidensdruck spürt und dringend eine professionelle Unterstützung braucht. Aber nicht für alle Kinder ist sofort die therapeutische Begleitung das Richtige.
Keinem Kind tut eine sehr exponierte Position gut. Kinder wollen in der Gruppe mit ihren Freunden spielen und sich entwickeln.
10. Das Kind braucht Geduld
Kinder zeigen ihre traumatische Symptomatik sehr unterschiedlich. Oftmals ist sie sehr versteckt und wird nicht verstanden. Vergesslichkeit wie auch Vermeidungstaktik können Hinweise sein. Vergessene Hausübungen, Kleidungsstücke, die nicht mehr auffindbar sind, Ängstlichkeit, wo nie Angst bestanden hat, sind einige Symptome, die Erwachsene oft zum Verzweifeln bringen. Das Allerwichtigste ist viel Geduld. Im Gehirn wird nach einer Traumatisierung alles umgebaut und es braucht Zeit, Liebe und Geduld, bis wieder alles an einem guten Platz ist.
Fazit
„Jedes Kind ist einzigartig und verfügt über einzigartige Potenziale zur Ausbildung eines komplexen, vielfach vernetzten und zeitlebens lernfähigen Gehirns. Ob und wie es ihm gelingt, diese Anlagen zu entfalten, hängt, wie die neueste Gehirn- und Bindungsforschung zeigt, ganz wesentlich davon ab, ob ein Kind ein Gefühl von Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit in intensiven Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen entwickeln kann. Sind solche optimalen Entwicklungsbedingungen vorhanden, lernt es neue Situationen und Erlebnisse nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung zu bewerten, und die in seinem Gehirn angelegten Verschaltungen auszubauen, weiterzuentwickeln und zu festigen.” (vgl. Prof. Hüther: Die Bedeutung emotionaler Sicherheit für die Entwicklung des kindlichen Gehirns, In: Kinder brauchen starke Wurzeln. Karl Gebauer/Gerald Hüther, 2005, S.5 ff).