Nach dem OLG Rostock (Urteil vom 02.02.2021 – 4 U 70/19, nicht rechtskräftig) können Mängelrechte bereits vor der Abnahme verjähren und sind dann endgültig nicht mehr durchsetzbar.
RA Claus Rückert
Nach dem OLG Rostock (Urteil vom 02.02.2021 – 4 U 70/19, nicht rechtskräftig) können Mängelrechte bereits vor der Abnahme verjähren und sind dann endgültig nicht mehr durchsetzbar.
RA Claus Rückert
Ein Bauunternehmer (im Folgenden: AN) wird mit der Errichtung eines schlüsselfertigen Einfamilienhauses beauftragt. Nach dem mit dem Grundstückseigentümer (im Folgenden: AG) geschlossenen Vertrag beträgt die vereinbarte Bauzeit 3 Monate.
Der AN beginnt mit den Bauarbeiten im Juni 2008. Nach Baubeginn kommt es zwischen den Vertragspartnern zu Meinungsverschiedenheiten, ob der AN seine Leistungen ordnungsgemäß ausgeführt hat. Der AG bezahlt daher mehrere Abschlagsrechnungen des AN über insgesamt 100.347,00 € nicht. Der AN stellt daraufhin seine Arbeiten ein. Außerdem klagt er die aus seiner Sicht offenen Abschlagsrechnungen gerichtlich ein. In dem Prozess kommt es zur Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses ergibt, dass die Leistungen des AN erhebliche Mängel aufweisen. Das Landgericht Frankfurt/Oder weist daher mit Urteil vom 14.03.2013 die Klage des AN ab.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.03.2013 lässt der AG aufgrund der Mängel den Rücktritt vom Vertrag erklären und ihm vorsorglich den Auftrag nach §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B entziehen. Er lässt das Einfamilienhaus im Wege der Ersatzvornahme fertigstellen und zieht dort am 19.06.2015 ein.
Im Jahre 2017 klagt er beim Landgericht Rostock unter anderem eine angebliche Überzahlung ein. Diese errechnet er auf der Grundlage des Wertes der erbrachten Leistungen abzüglich der aufgewandten Mängelbeseitigungskosten und der geleisteten Abschlagszahlungen. Weiter macht er u.a. Kosten für die Zwischenlagerung der Küchengeräte, Mietkosten für die bisherige Wohnung sowie Bereitstellungszinsen geltend.
Der AN wendet Verjährung ein. Er ist der Auffassung, dass die Ansprüche innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist bereits verjährt sind.
Nach Ansicht des AG sind die Forderungen hingegen nicht verjährt. Es handelt sich durchgehend um Schäden, die aus Baumängeln resultierten. Hierfür gilt nach seiner Auffassung eine 5-jährige Verjährungsfrist. Eine Abnahme ist nicht erfolgt. Daher hat die Verjährungsfrist nach Ansicht des AG noch nicht zu laufen begonnen.
Nach der Auffassung des OLG Rostock sind die Ansprüche verjährt. Eine Abnahme ist nicht erfolgt. Auch liegen kein Abnahmesurrogat (z.B. § 640 Abs. 1 Satz 3 BGB) oder ein Übergang des Vertragsverhältnisses in ein Abrechnungsverhältnis vor. Daher stehen dem AG nur die ihm bezüglich des Erfüllungsanspruchs aus §§ 631 Abs. 1 1. HS, 633 Abs. 1 BGB nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zustehenden Rechte zu (BGH, Urt. v. 19.01.2017 – VII ZR 235/15, NJW 2017, 1607).
Das OLG setzt sich mit den Entscheidungen des OLG Hamm (Urt. v. 30.04.2019 – 24 U 14/18, NJW 2019, 3240) und des OLG Stuttgart (Urt. v. 30.03.2010 – 10 U 87/09, IBR 2010, 283) auseinander. Nach deren Auffassung verjähren Mängelansprüche nicht vor Ablauf der 5-jährigen Gewährleistungsfrist ab Abnahme bzw. Übergang in ein Abrechnungsverhältnis. Im Ergebnis sieht das OLG Rostock keinen Grund, dem Besteller für Mängelansprüche vor der Abnahme eine längere Verjährungsfrist als die dreijährige Regelverjährung gemäß §§ 195, 199 BGB zuzugestehen.
Die 5-jährige Verjährungsfrist soll dem Umstand Rechnung tragen, dass bestimmte Mängel erst nach längerer Zeit erkennbar werden. Sieht man von der 10-jährigen (kenntnisunabhängigen) Höchstfrist gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB ab, beginnt auch die regelmäßige Verjährung erst mit Kenntnis (oder grob fahrlässiger Unkenntnis) der anspruchsbegründenden Tatsachen zu laufen. Daher hat es der Besteller nach Ansicht des OLG Rostock selbst in der Hand, rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Verjährungshemmung zu ergreifen.
Hier hatte der AN die Arbeiten im Juni 2008 begonnen. Nach der vertraglichen Bauzeit von 3 Monaten hätten die Arbeiten dementsprechend bis September 2008 fertiggestellt werden müssen. Der Anspruch ist daher Ende September entstanden. Der AG hatte sich bereits während der Bauzeit auf die Mängel berufen und daher mehrere Abschlagsrechnungen des AN nicht bezahlt. Somit hatte er auch Kenntnis von den Mängeln. Daher hat nach Auffassung des OLG Rostock die Verjährungsfrist bereits mit Ende des Jahres 2008 zu laufen begonnen.
Das OLG Rostock prüft in diesem Zusammenhang, inwiefern ein Verjährungsneubeginn aufgrund eines Anerkenntnisses gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 letzte Alternative BGB und die Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen nach § 209 BGB in Betracht kommen. Selbst unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist jedenfalls am 01.07.2012 Verjährung eingetreten. Daher war im Übrigen schon der am 28.03.2013 vom Besteller erklärte Rücktritt gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Das OLG Rostock hat die Revision zugelassen (beim BGH derzeit anhängig unter dem Az.: VII ZR 149/21).
Der BGH hatte für das alte Schuldrecht (also für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 01.01.2002) festgestellt, dass die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Mängeln einer Werkleistung grundsätzlich erst mit der Abnahme beginnt und sich der Lauf der Verjährungsfrist nach § 638 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. bestimmt (BGH, Urt. v. 24.02.2011 – VII ZR 61/10, NJW 2011, 1224).
Für das neue Schuldrecht hat der BGH bislang ausdrücklich offengelassen, ob Erfüllungsansprüche wegen Mängeln vor Ablauf der 5-jährigen Gewährleistungsfrist verjähren können (vgl. die Revisionsentscheidung des BGH zum vorangegangenen Urteil des OLG Hamm vom 30.04.2019 – 24 U 14/18: BGH, Urt. v. 28.05.2020 – VII ZR 108/19).
Darüber hinaus wird unabhängig hiervon teilweise die Auffassung vertreten, dass jedenfalls Ansprüche wegen Mängeln, die bereits vor der Abnahme beseitigt worden sind (z.B. Ansprüche auf Ersatz von Verzugsschäden und Erstattung der Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens) der regelmäßigen Verjährung unterliegen (Raab-Gaudin in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.07.2021 zu § 634a BGB Rn. 149 ff.).
Vor diesem Hintergrund sollte sicherheitshalber für Mängel vor der Abnahme die regelmäßige Verjährungsfrist notiert werden. Anknüpfungspunkt ist hierbei grundsätzlich der vertraglich vereinbarte Fertigstellungstermin.
Darüber hinaus empfiehlt es sich, nach Fertigstellung der Leistungen eine förmliche Abnahme durchzuführen. Hierbei müssen bekannte Mängel und ggf. der Anspruch auf Geltendmachung der Vertragsstrafe im Abnahmeprotokoll ausdrücklich vorbehalten werden. Mit einer förmlichen Abnahme begegnet der Besteller auch den Problemen, die sich aus der aktuellen Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf Mängelrechte vor der Abnahme ergeben.
Demnach ist der Besteller vor der Abnahme, dem Eintritt eines Abnahmesurrogat (z. B. nach § 640 Abs. 1 S. 3 BGB) oder dem Übergang in ein Abrechnungsverhältnis auf die allgemeinen Leistungsstörungsrecht zum Erfüllungsanspruch beschränkt (BGH, Urt. v. 19.01.2017 – VII ZR 235/15, NJW 2017, 1607). Durch die Abnahme endet die Erfüllungsphase und beginnt die Gewährleistung. Dem Besteller stehen dann die Mängelrechte nach § 634 BGB zur Verfügung.
Mit der Durchführung der förmlichen Abnahme begegnet der Besteller außerdem der für ihn problematischen Rechtsprechung, wonach bei einem nachträglichen stillschweigenden Verzicht der Vertragspartner auf eine im Bauvertrag vorgesehene förmliche Abnahme die Inanspruchnahme der Gewährleistungsbürgschaft ausgeschlossen sein kann (vgl. OLG München, Beschl. v. 20.12.2010 - 13 U 3970/10, IBRRS 2011, 0513 m. w. N.).
Autor
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in der auf das Baurecht spezialisierten Kanzlei Ulbrich § Kollegen mit Sitz in Würzburg.