Der BGH kommt zum Zug – und gibt ab an den EuGH „zum Dritten“
Endlich jedoch legten zwei von widersprüchlichen OLG-Entscheidungen (Celle und Hamm) negativ betroffene Parteien Revision zum BGH ein. Nun würde, so dachte man sich, das oberste deutsche Zivilgericht Klarheit schaffen. Jedoch sah sich der BGH an der Herbeiführung eben dieser Klarheit nun wieder durch Europarecht gehindert.
Folgerichtig verwies er die ganze Problematik mittels Vorlagebeschluss vom 14.05.2020 (VII ZR 174/19) nach Straßburg und schickte den EuGH somit in die dritte Runde. Der BGH bemühte sich aber sorgfältig, seine Fragen so zu formulieren, dass diesmal eine Klärung zum weiteren Preisrecht für sog. „Altverträge“ eigentlich nicht mehr zu „umgehen“ war.
Die mündliche Verhandlung hierzu fand im Frühsommer 2021 in Straßburg statt. Der Generalanwalt stellte seinen Antrag am 14.07.2021. Wie zu erwarten, setzte er die strenge, schon aus dem Vertragsverletzungsverfahren bekannte Linie fort und plädierte für eine sofortige und quasi auch rückwirkende Nichtanwendung des europarechtswidrigen Preisrahmenrechts. Entsprechend vielen die Erwartungen der betroffenen Fachkreise aus.
2022: Der EuGH klärt – wieder nicht ohne große Überraschung
Doch nun beschränkte der EuGH seine Überraschung nicht auf die Begründung, sondern lieferte sie auch im Ergebnis: er folgte dem Antrag des Generalsanwalts nicht. Der EuGH entschied, dass es keine europarechtlichen Regeln gäbe, die Gerichte zwingen würden, die Regelungen eines nationalen Gesetzes ab sofort nicht mehr anzuwenden – auch wenn es diese Regelungen eigentlich gar nicht geben dürfte, wäre der nationale Gesetzgeber seiner Pflicht zur fristgerechten Umsetzung von EU-Recht (Dienstleistungsrichtlinie von 2006) pünktlich nachgekommen.
Die praktische Folge für Planungsverträge
Hat ein Planer in einem bis zum 31.12.2020 abgeschlossenen Vertrag eine Honorarvereinbarung geschlossen, die zu einem geringeren Honorar führt als eine Berechnung nach dem Mindestpreisrecht der HOAI 2009 oder 2013, kann er nun doch noch einen „Nachschlag“ (Aufstockung) verlangen und unter Berufung auf die Mindestsätze nach HOAI neu abrechnen (sofern der Vorgang nicht bereits durch rügelose vollständige Bezahlung der Schlussrechnung oder ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen ist).
Alle zwischen Juli 2019 und dem 18.01.2022 ergangenen Gerichtsurteile, die den Planern diesen Rückgriff auf das Mindestpreisrecht der HOAI mit der Begründung versagt haben, dieses Preisrecht dürfe lt. EU-Recht nicht mehr angewendet werden, erweisen sich nun mithin als rechtsfehlerhaft. Bitter für die betroffenen Planer, Glück für die verklagten Auftraggeber.
Nichts anderes wird aber auch im Rechtsverhältnis mit öffentlichen Auftraggebern gelten. Dass der EuGH den aktuellen Urteilsspruch explizit auf einen Rechtsstreit zwischen Personen des Privatrechts bezieht (damit sind auch gewerbliche Rechtspersonen, z.B. Kapitalgesellschaften, gemeint), hängt allein damit zusammen, dass das Ausgangsverfahren beim BGH ein solches zwischen Personen des Privatrechts war und sich die Fragen des BGH deshalb nur hierauf beziehen konnten.
Erst recht der öffentliche Auftraggeber wird sich aber nicht zum eigenen Vorteil darauf berufen dürfen, er habe die Dienstleistungsrichtlinie verspätet umgesetzt, deshalb dürfe das Preisrecht keine Anwendung mehr finden und deshalb brauche er nun kein HOAI-Mindesthonorar zu bezahlen.
Das wäre widersinnig und ein widersprüchliches Verhalten. Davon abgesehen ist auch die öffentliche Hand, wenn sie einen Planungsvertrag abschließt, ein „normaler“ Vertragspartner wie andere auch. Will sagen: die öffentliche Hand wird hier gerade nicht als Staat, also hoheitlich, tätig. Sie handelt vielmehr fiskalisch, nämlich als eine Person des Zivilrechts. Deshalb wird sie dabei auch behandelt wie jede andere Person des Zivilrechts. Dieser Grundsatz ist fester Bestandteil der deutschen Rechtsordnung.
Honorarnachschlagszahlung als Schadensersatz aus Amtspflichtverletzung
Sehr interessant ist eine weitere Aussage des EuGH: wer durch die weitere Anwendbarkeit der europarechtswidrigen HOAI einen Schaden erleide, könne ggf. den Staat auf Schadensersatz in Anspruch nehmen; es stelle nämlich eine staatliche Pflichtverletzung dar, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht fristgerecht umgesetzt wurde und das Preisrecht deshalb solange in Kraft blieb.
Man liest nun bisweilen, die Architekten und Ingenieure könnten nun den Staat verklagen. Das stimmt aber nur dann, wenn sie ein Honorar oberhalb der Höchstsätze vereinbart hatten und nun durch Fortgeltung des HOAI-Preisrechts auf den Höchstsatz „gedrückt“ werden. Das wird in der Praxis kaum vorkommen. Geschädigt sind vielmehr die (privaten) Auftraggeber, die nun das Honorar aufstocken müssen: wäre die neue HOAI ohne verbindliches Preisrecht termingerecht gekommen, wären die Honorarvereinbarungen wirksam geblieben, da es keine Rechtskontrolle nach HOAI-Preisrecht mehr gegeben hätte (so auch die heutige Rechtslage nach HOAI 2021).
Nun verlieren die Auftraggeber die günstigere vertragliche Vereinbarung und müssen die Differenz zum HOAI-Honorar nachzahlen. Dies ist ein Schaden, der durch staatliches Unterlassen verursacht wurde und damit als Amtshaftungsanspruch erstattungsfähig sein kann – so der EuGH.