Mängelrechte des Bestellers
Recht & Verwaltung09 Februar, 2022

Mängelrechte des Bestellers auf den Punkt gebracht

Gelten die Mängelrechte des § 634 BGB grundsätzlich nur nach Abnahme? Und wonach richten sich die Mängelrechte, wenn beide Parteien VOB/B vereinbart haben?

Dr. Andreas Schmidt

Erläuterung

Beim Bauvertrag nach dem BGB können dem Besteller bei mangelhafter Leistung des Unternehmers folgende Rechte zustehen:

  • Nacherfüllung durch den Unternehmer (§ 634 Nr. 1, § 635 BGB),
  • Selbstvornahme der Mängelbeseitigung durch den Besteller und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen (§ 634 Nr. 2, § 637 BGB), ggf. in Form eines Vorschusses (§ 637 Abs. 3 BGB),
  • Rücktritt vom Vertrag nach §§ 634 Nr. 3, 636, 323, 326 Abs. 5 BGB,
  • Minderung der Vergütung (§ 634 Nr. 3, § 638 BGB),
  • Schadensersatz nach den §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 283 BGB,
  • Ersatz vergeblicher Aufwendungen nach § 634 Nr. 4, § 284 BGB,
  • Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich eines Teils des Werklohns bis zur Durchführung der Nacherfüllung (vgl. §§ 273, 320, 641 Abs. 3 BGB).

Stufenverhältnis der Mängelrechte des § 634 BGB

Die Mängelrechte des § 634 BGB stehen in einem Stufenverhältnis.

Stufenverhältnis der Mängelrechte des Bestellers

Abbildung 1: Das Stufenverhältnis der Mängelrechte des Bestellers

1. Stufe: Recht auf Nachbesserung:

Auf der ersten Stufe kann der Besteller regelmäßig nur Nacherfüllung verlangen (§§ 634 Nr. 1, 635 BGB). Man spricht hier auch von einem Recht des Bauunternehmers „zur zweiten Andienung“.

2. Stufe: Übrige Mängelrechte:

Die weiteren Mängelrechte des § 634 Nr.2 bis 4 BGB setzen in der Regel den erfolglosen Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung voraus. Auch dieser Grundsatz gilt indes nicht ohne Ausnahme. So können aufgrund von Mängeln bspw. Schäden entstehen, die sich durch Nacherfüllung gar nicht beseitigen lassen.

Beispiel: Ein Gebäude kann wegen Mängeln nicht genutzt werden kann, sodass Ersatzräume angemietet werden müssen. In diesen Fällen kann der Besteller ggf. auch ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung Ersatz für die entstandenen Schäden verlangen.

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Vorgabe einer zehnjährigen Verjährungsfrist für Mängelansprüche in den AGB des Bestellers

Liegt bei einer Baumaßnahme eine ausreichende Bemessung der Verjährungsfrist vor? Ist eine formularmäßige Vereinbarung einer längeren Verjährungsfrist mit § 9 AGBG vereinbar – oder nur in Ausnahmefällen?

Mängelrechte vor der Abnahme

Die Mängelrechte des § 634 BGB gelten grundsätzlich erst nach erfolgter Abnahme. Im Bauvertrag nach dem BGB sind vor der Abnahme bei Mängeln die Rechte nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht der §§ 280 ff., 323 ff. BGB anwendbar. Liegen also bei Fälligkeit der Bauleistung Mängel vor, kann der Besteller dem Bauunternehmer auch schon vor der Abnahme eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen. Läuft diese ergebnislos ab, können Schadensersatzansprüche (§ 281 BGB) und/oder ein Rücktrittsrecht des Bestellers entstehen (§ 323 BGB, hierzu OLG Hamburg, Urt. v. 16.08.2013, Az. 9 U 41/11).

Ungeklärt war hingegen lange Zeit die äußerst praxisrelevante Frage, ob dem Besteller nach dem BGB auch schon vor der Abnahme ein Recht zur Selbstvornahme oder auf Minderung zustehen kann.

Beispiel:
Es ist nicht zu einer Abnahme gekommen und der Besteller möchte die vorhandenen Mängel nun durch einen Dritten zu Lasten des Unternehmers beseitigen lassen. Die überwiegende Meinung ging dahin, dass die Mängelrechte der §§ 634 ff. BGB vor der Abnahme grundsätzlich nicht anwendbar sind (OLG Köln, Beschl. vom 12.11.2012, 11 U 146/12; OLG Koblenz, Urt. vom 18.10.2007, 5 U 521/07; Voit, BauR 2011, 1063).

Der Bundesgerichtshof hat diese Auffassung bestätigt und die Rechtslage geklärt: Der Besteller kann die Mängelrechte nach § 634 BGB grundsätzlich erst nach der Abnahme des Werks geltend machen. Diese Regel gilt aber nicht ohne Ausnahme. Denn zugleich hat der BGH erkannt, dass der Besteller berechtigt sein kann, Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme geltend zu machen, wenn er

  • nicht mehr die (Nach-)Erfüllung verlangen kann,
  • der Unternehmer das Werk als fertiggestellt zur Abnahme anbietet und
  • das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (BGH, Urt. vom 19.01.2017, VII ZR 235/15).

Solch ein Abrechnungsverhältnis entsteht bspw. dann, wenn der Unternehmer die Mängelbeseitigung endgültig ablehnt und der Besteller die Abnahme endgültig verweigert.

Besonderheiten bei vereinbarter VOB/B

Haben die Parteien die VOB/B vereinbart, so richten sich die Mängelrechte vor der Abnahme nach § 4 Abs. 6 und 7 VOB/B.

Gemäß § 4 Abs. 6 VOB/B sind Stoffe oder Bauteile, die dem Vertrag oder den Proben nicht entsprechen, auf Anordnung des Bestellers innerhalb einer von ihm bestimmten Frist von der Baustelle zu entfernen. Geschieht dies nicht, so kann der Besteller sie auf Kosten des Unternehmers entfernen oder auf seine Rechnung veräußern. Der Bauunternehmer hat im Gegenzug Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung.

Nach § 4 Abs. 7 VOB/B kann der Besteller schon vor der Abnahme die Beseitigung von Mängeln verlangen. Der Unternehmer hat dem Besteller zudem den Schaden zu ersetzen, der durch die mangelhafte Leistung entstanden ist, § 4 Abs. 7 Satz 2 VOB/B. Der Schaden muss also ursächlich auf den Mangel zurückzuführen sein. Voraussetzung ist ferner ein Verschulden des Unternehmers oder seiner Erfüllungsgehilfen, z.B. seiner Mitarbeiter oder Subunternehmer.

Kommt der Bauunternehmer seiner Pflicht zur Mängelbeseitigung nicht nach, kann der Besteller ihm eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung setzen und die Kündigung androhen, § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B. Läuft diese Frist ergebnislos ab, ist der Besteller zur Kündigung nach § 8 Abs. 3 VOB/B berechtigt. Nach erfolgter Kündigung – und erst dann – kann der Besteller die Mängel zulasten des Bauunternehmers durch einen Dritten beseitigen lassen (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B). Der Unternehmer hat dann die Mehrkosten zu tragen, die dadurch entstehen, dass ein anderer Unternehmer die Leistung teurer erbringt.

Häufig zeigen sich nach einer Kündigung noch weitere Mängel der Leistung des Bauunternehmers – also solche, die nicht bereits Grund für die Kündigung waren. Solche Mängel kann der Besteller nicht ohne Weiteres selbst beseitigen (lassen) und anschließend die Kosten vom Unternehmer ersetzt verlangen. Zuvor muss der Besteller wegen solcher Mängel dem Bauunternehmer eine Frist zur Mängelbeseitigung setzen (OLG Brandenburg, Urt. vom 17.05.2006, 4 U 208/98; OLG Naumburg, Urt. vom 04.09.2008, 6 U 179/01).

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Weiterführende Informationen zum Thema

Aufsatz

  • Mayr, von Berg, Mängelrechte vor Abnahme in AGB des Bestellers, BauR 2018, 877
    Nachdem es also keine gesetzlichen Mängelrechte vor Abnahme gibt, kommen die in § 634 BGB enthaltenen Grundgedanken als gesetzliches Leitbild für die AGB-Kontrolle derartiger Klauseln nicht (mehr) in Betracht. Ihre Wirksamkeit ist daher am allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB zu messen, durch das „die Interessen des Bestellers auch vor Abnahme angemessen gewahrt werden“.

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Gesetzgebung

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Andreas Schmidt

Dr. Andreas Schmidt

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Partner und Gesellschafter bei der SMNG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Köln. Zudem ist er Mitherausgeber und Autor des Online-Moduls »Praxiswissen Baurecht«
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