Rechte und Pflichten während einer Prozessbeschäftigung
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Im Lauf eines erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens vereinbarten die Parteien unter der Überschrift „Vertragliches Prozessarbeitsverhältnis“ eine durch die rechtskräftige Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen im Arbeitsvertrag geregelten Bedingungen.
Während der Prozessbeschäftigung kam es zu Unstimmigkeiten über die maßgeblichen Arbeitsbedingungen. Der Kläger war bis zum 12.03.2019 arbeitsunfähig. Die Beklagte forderte ihn am 22.03.2019 telefonisch auf, seine Tätigkeit am 25.03.2019 wieder aufzunehmen. Noch am 22.03.2019 übersandte ihr der Kläger um 23:17 Uhr per E-Mail einen Antrag auf Erholungsurlaub für die Zeit vom 25.03.2019 bis zum 25.04.2019 und bat um „schriftliche Genehmigung … bzw. um Ablehnung unter Nennung der Gründe auf gleichem Wege“. Der Kläger erschien weder am 25.03.2019 noch an den Folgetagen zur Arbeit.
Die Beklagte kündigte - nach Anhörung des Betriebsrats - darauf „den mit Ihnen geschlossenen Arbeitsvertrag“ unter dem 04.04.2019 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich.
Die den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Klage gegen die Kündigungen vom 04.04.2019 hat das ArbG durch Schlussurteil (nur) hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien entsprochen. Auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Berufung des Klägers hat das LAG die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Revision des Klägers zum BAG ist unbegründet.
Entscheidung
Das BAG hat im vorliegenden Urteil vom 20.05.2021 - 2 AZR 457/20 - den Unterschied zwischen einer bloßen Beschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (dies stand vorliegend v.a. deswegen nicht in Rede, da ein Weiterbeschäftigungsanspruch für diesen Zeitpunkt nicht vorläufig vollstreckbar tenoriert war) und einer Prozessbeschäftigung im Rahmen eines vertraglichen Prozessarbeitsverhältnisses herausgearbeitet.
Das BAG stellt klar, dass mit einem solchen vertraglichen Prozessarbeitsverhältnis kein zweites Arbeitsverhältnis neben das gekündigte gestellt wird. In einem solchen Fall bewirkt der spätere (etwaige) rechtskräftige Erfolg der Kündigungsschutzklage lediglich, dass das in dieser Weise vorläufig fortgesetzte ursprüngliche Arbeitsverhältnis unbedingt fortbesteht.
Das BAG stellt klar, dass eine wegen weiterer Pflichtverletzungen während einer Prozessbeschäftigung ausgesprochene Kündigung das ursprüngliche Arbeitsverhältnis und nicht lediglich das Prozessrechtsarbeitsverhältnis erfasst.
Bei einer auflösend bedingten Fortsetzung des gekündigten Arbeitsvertrages bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage bestehen die gleichen Rechte und Pflichten wie in einem gekündigten, aber noch nicht beendeten Arbeitsverhältnis. Dies umfasst auch das Verbot der Selbstbeurlaubung.
Hierzu verdeutlicht das BAG, dass für die wegen der unerlaubten Selbstbeurlaubung ausgesprochenen Kündigungen auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB bestanden habe. Der Kläger habe durch den eigenmächtigen Antritt eines von der Beklagten nicht gewährten Urlaubs eine erhebliche Pflichtverletzung begangen, die „an sich“ geeignet sei, eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
Dem Kläger habe kein Selbstbeurlaubungsrecht zugestanden. Im Betracht käme dies allenfalls nach grundloser Ablehnung eines Urlaubsantrages bzw. übermäßig lange ausbleibender Reaktion des Arbeitgebers sowie drohendem Verfall der betreffenden Urlaubsansprüche.
Vorliegend habe der Kläger allerdings durch eine (zu) späte Antragstellung eine Prüfung seines Urlaubsantrags und gegebenenfalls Urlaubsgewährung vor seinem Fernbleiben von der Arbeit gerade vereitelt. Er habe im Verfahren ausdrücklich eingeräumt, ihm sei bewusst gewesen, eine unmittelbar bestandsgefährdende Pflichtverletzung zu begehen. Dabei komme es nicht darauf an, dass der Kläger geglaubt haben wolle, durch die Selbstbeurlaubung allein ein vermeintlich separates Prozessarbeitsverhältnis zu riskieren.
Schließlich habe es keiner vorherigen Abmahnung bedurft, weil es sich um eine so schwere Pflichtverletzung gehandelt habe, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen gewesen sei. Der Beklagten sei auch nicht zuzumuten gewesen, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen.
Praktische Bedeutung
Das vorstehende Urteil zeigt, dass eine (für den Arbeitgeber günstigere) bloße Beschäftigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung nur möglich ist, wenn ein Weiterbeschäftigungsanspruch bereits erstinstanzlich tenoriert ist und die Vollstreckung klägerseits auch angedroht worden oder wenigstens zu erwarten ist.
Entscheiden sich die Vertragsparteien hingegen für ein auflösend bedingtes vertragliches Prozessarbeitsverhältnis, entsteht gleichwohl nicht etwa (neben dem gekündigten „schwebend unwirksamen“) ein weiteres Arbeitsverhältnis – vielmehr bestehen die arbeitsvertraglichen Pflichten auch während dieser Prozessbeschäftigung unverändert fort. Daher erfasst eine wegen weiterer Pflichtverletzungen während dieser Prozessbeschäftigung ausgesprochene Kündigung das ursprüngliche Arbeitsverhältnis.
Das BAG verdeutlicht schließlich, dass die unerlaubte Selbstbeurlaubung durch den Arbeitnehmer – von Ausnahmefällen abgesehen – regelmäßig einen wichtigen Kündigungsgrund für eine außerordentliche Kündigung darstellt.